Veyron Swift und der Orden der Medusa. Tobias Fischer
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Читать онлайн книгу Veyron Swift und der Orden der Medusa - Tobias Fischer страница 27
So melancholisch und nachdenklich hatte Tom seinen Paten schon lange nicht mehr erlebt. Tatsächlich blieb Veyron fast eine gefühlte Ewigkeit an Ort und Stelle stehen. Er tat nichts anderes, als das gewaltige Panorama zu bewundern. Die Luft war kalt und klar, der Blick reichte über ganz Fabrillian hinweg, von West nach Ost, nach Norden und Süden. Über ihnen zogen einige weiße Wolken gemächlich über den blauen Himmel. Erst als Tom Veyron auf die Schulter klopfte und ihn so aus seiner Starre weckte, ging der Marsch weiter.
Iulia wurde derweil immer langsamer, ihr Kopf wandte sich von einer Richtung zur anderen. Sie bestaunte die Himmelmauerberge und die Aussicht auf Fabrillian. Jane folgte ihr, da sie sichergehen wollte, dass ihnen die junge Frau nicht irgendwo verloren ging. Immerhin war sie ja der Grund für diese irrsinnige Expedition.
»Wie schön es hier ist. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie so nah an so großen Bergen. Seht nur, ich kann die Gletscher sehen, mit ihren glitzernden Ebenen und den tiefblauen Spalten, die sie wie die Falten einer uralten Frau durchziehen. So alt und so mächtig, so schön und edel. Aber ich werde froh sein, wenn ich wieder in meiner Heimat bin und dieses Abenteuer ein Ende hat«, sagte die Prinzessin.
Jane schnaubte verächtlich. »Ach, jetzt plötzlich? Warum haben Sie sich dann überhaupt auf dieses Abenteuer eingelassen?«
»Ich dachte, ich könnte etwas Gutes bewirken. Ich weiß, es war ein Fehler. Ich hätte zu Hause bleiben sollen und tun, was von mir erwartet wird. Ich bin eine kaiserliche Prinzessin, Enkeltochter des Augustus von Maresia. Ich bin nicht für Abenteuer geschaffen, Abenteuer sind nur etwas für Männer.«
Jane lachte auf, als sie das hörte. Meinte diese Iulia das tatsächlich ernst?
»Jetzt erzählen Sie mir bloß noch, dass Ihr Platz am heimischen Herd ist, dass es Ihre Aufgabe ist, Ihren Mann glücklich zu machen und seine Kinder großzuziehen«, verhöhnte Jane die maresische Prinzessin.
»Nein, das nicht. Mein Mann – mein ehemaliger Gatte – sitzt im Kerker auf Loca Inferna. Aber eines Tages werde ich von Neuem verheiratet, mit dem nächsten Erben des Kaiserthrones. Ich werde die Kaisergattin sein, die Augusta. Ich werde über eine Vielzahl von Sklaven und Sklavinnen gebieten, Feste und Empfänge vorbereiten. Ich werde zu entscheiden haben, wann und was bei den Mahlzeiten aufgetischt wird. Ich werde mich um die Ausbildung meiner Kinder kümmern, Lehrer und Philosophen auswählen um meine Söhne zu unterrichten und meine Töchter in der Hauswirtschaft anleiten. Sie müssen zu guten Ehefrauen erzogen werden, Lesen und Schreiben lernen, vielleicht noch Kunst und Philosophie, meine Söhne Rhetorik und Politik. Falls sie begabt sind, auch musischen Unterricht. Für all diese Dinge wurde ich erzogen, das ist es, was man von einer künftigen Augusta erwartet«, erklärte Iulia mit einem dermaßen erschreckenden Selbstverständnis, dass es Jane ein wenig fröstelte. Sie zog die dicke Daunenjacke enger um ihren schlanken Körper.
»Das verstehe ich nicht. Warum lassen Sie sich überhaupt verheiraten? Können Sie denn nicht wählen wie Sie Ihr Leben gestalten? Was ist mit Liebe? Warum heiraten Sie nicht jemanden, den sie lieben?«
Iulia warf Jane einen überraschten Blick zu.
»Das spielt keine Rolle. Ich werde den Mann heiraten, den mein Großvater für mich aussucht – einen Senator vielleicht, auf jeden Fall jemanden von allerhöchstem Adel. Eventuell sogar Consilian, falls der Augustus sich entscheidet, ihn zu adoptieren und zum Erben des Throns zu ernennen.«
Jane lachte verhalten und schüttelte den Kopf.
»Ich könnte das nicht«, sagte sie. »Sie leben praktisch in Gefangenschaft und lassen sich Ihr ganzes Leben von anderen Männern diktieren, oder von Ihrer Mutter, oder von sonst irgendjemand. Wo bleiben Sie bei der ganzen Sache? Was ist mit Ihren Wünschen, Ihren Träumen, Ihren Sehnsüchten? Ich könnte niemals so leben, ich lasse mir kein Schicksal aufzwingen. Ich entscheide selbst. Ich bin Polizistin geworden, obwohl mein Vater mich lieber irgendwo im Büro einer Bank gesehen hätte. Ich bin frei und treffe meine eigenen Entscheidungen.«
Iulia maß sie mit einem fast vorwurfsvollen Blick.
»Fernwelt ist ein sonderbarer Ort, mit sonderbaren Gebräuchen. Ich traf dort keine Frau, die einer Matrone Maresias entspräche. Fast alle Frauen Eurer Welt tragen Hosen, manche arbeiten sogar als Ärztinnen und wagen es, den Männern Anordnungen zu erteilen wie sonst nur den Sklaven. Es ist ein seltsames Leben, in der keine maresischen Konventionen gelten. Mir hat dies Angst bereitet.
Ich weiß, Ihr seid mit den Sitten Maresias nicht einverstanden, ich sehe es Euch an. Alles was ich sage, stört Euch, alles was ich tue, ruft ein Kopfschütteln hervor. Ihr seid so ganz anders, als ich es bin. Ich weiß, das sollte es nicht, aber Ihr fasziniert mich, Jane Willkins. Ihr seid wie eine Löwin, wild und ungezwungen. Ihr ordnet Euch niemanden unter, Ihr lasst Euch nichts gefallen, niemand kann Euch den Mund verbieten. Ihr seid wirklich frei, da sind keine hohen Erwartungen, die Euch fesseln. Darf ich Euch darum etwas fragen?«
Jane bejahte das. Natürlich konnte die Prinzessin sie alles fragen, solange es nicht zulange dauerte, um zu antworten. Sie wollte dieses Gespräch so schnell wie möglich hinter sich bringen. Die drei Jungs waren schon wieder weit voraus, Iulia und sie sollten nicht noch weiter zurückfallen.
»Seid Ihr glücklich?«
Jane überlegte. Sie war sofort versucht mit „Ja“ zu antworten, aber der intensive, erwartungsvolle Blick der Prinzessin ließ sie stutzen. Sie hatte sich diese Frage schon öfter selbst gestellt, im Stillen – vor allem in letzter Zeit. War sie glücklich?
»Willkins, Prinzessin Iulia! Wir haben es einigermaßen eilig, wenn ihr beide also bitte aufschließen würdet«, riss sie Veyrons Stimme aus den Gedanken.
Jane verdrehte verärgert die Augen und stapfte weiter, Iulia die Antwort schuldig bleibend. Die Prinzessin folgte ihr enttäuscht.
Faeringel erklärte ihnen, dass noch kein Mensch die Himmelmauerberge überschritten hatte, auch die meisten Elben nicht. Es gab jedoch ein paar geheime Pfade, über die man von einer Seite zur anderen gelangen konnte.
»Im Nordwesten führt die Regenbogengrotte unter dem Gebirge hindurch. Doch müssten wir zweihundert Meilen in den Norden marschieren und wären viele Tage unterwegs. Aber auch hier, im Südwesten, gibt es einen uralten Pfad, mitten durch einen Berg hindurch, nicht mehr als ein schmaler Spalt. Als vor dreitausend Jahren der Bruch entstand, der unser Land in zwei Hälften riss, da brach auch einer der Felsgiganten mitten auseinander und schuf diesen Weg. Keine vier Mann können dort nebeneinander gehen, darum ist er von außen nahezu unsichtbar. Wir Talarin nennen ihn „die Schlucht der Nacht“, denn nur einmal am Tag scheint das Licht der Sonne hinein, ansonsten ist es meist stockdunkel, wegen des Schattens des Berges. Aber wenn wir auf die andere Seite wollen, ist das der schnellste Weg.«
Der Aufstieg zum Eingang der Schlucht brauchte fast den ganzen Tag und vor sich hatten sie nun einen schwarzen Schlund, der mitten durch das Felsgestein führte. Links und rechts ragten senkrecht und glatt die Wände des gespaltenen Berges kilometerweit auf, in der Sprache der Talarin Min Carach genannt. Das Ende des Spalts lag irgendwo oben in den Wolken. Tom schauderte, auch Jane zeigte