TODESJAGD. Eberhard Weidner

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TODESJAGD - Eberhard Weidner Anja Spangenberg

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den sechsjährigen schwarzen Kater, den sie seit einem halben Jahr besaß, zu füttern und ihm für eine Weile Gesellschaft zu leisten.

      Nun hatte sie den Laptop des vermissten Studenten vor sich stehen und durchsuchte die Festplatte nach wichtigen Dokumenten.

      Sie fand auf Anhieb ein paar Briefe, die der junge Mann an seinem Computer geschrieben hatte, doch die waren zum größten Teil schon älteren Datums und hatten nicht das Geringste mit seinem Verschwinden zu tun. Mangels Passwörtern und PINs konnte sie darüber hinaus weder auf seinen E-Mail-Account noch auf sein Online-Bankkonto zugreifen. Es frustrierte sie, dass sie nichts fand und offenkundig ihre Zeit verschwendete. Doch da sie niemand war, der schnell aufgab, blieb sie hartnäckig und suchte weiter.

      Was blieb ihr auch anderes übrig? Sie hatte momentan nicht die geringsten Anhaltspunkte, was geschehen war. Mithilfe von Stumpfs Bankdaten, die sie sich notiert hatte, würde sie seine letzten Kontobewegungen überprüfen können. Vielleicht hatte er unmittelbar vor oder nach seinem Verschwinden einen größeren Bargeldbetrag abgehoben. Das würde darauf schließen lassen, dass er freiwillig verschwunden war, um sich möglicherweise eine Auszeit zu gönnen, nachdem seine Freundin ihm vor wenigen Tagen so überraschend den Laufpass gegeben hatte. Falls es andererseits keine verdächtigen Geldabhebungen gab und auch nach seinem Verschwinden nicht mehr auf das Konto zugegriffen worden war, konnte das wiederum ein Indiz dafür sein, dass er sich womöglich aus Liebeskummer etwas angetan hatte.

      Die einzig andere vielversprechende Spur, der Anja im Moment nachgehen konnte, war die Ex-Freundin Susanne Winkler. Anja wollte wissen, aus welchem Grund sie die Beziehung dermaßen abrupt beendet hatte. Außerdem interessierte es sie, ob die junge Frau unmittelbar vor oder nach Stumpfs Verschwinden Kontakt mit ihm gehabt hatte. Gegebenenfalls kannte sie auch das Passwort für Stumpf E-Mail-Account.

      Doch zunächst wollte Anja sicherstellen, dass sie die Festplatte des Laptops gründlich durchsucht und dabei nichts übersehen hatte. Sie würde das Gerät anschließend zwar ohnehin an die IT-Spezialisten der Kripo weiterleiten, damit diese es auf Herz und Nieren überprüften; doch je früher sie etwaige Hinweise fand, desto eher konnte sie ihnen nachgehen. Und in einem Vermisstenfall wie diesem, in dem zu befürchten stand, dass die vermisste Person sich etwas antat, konnten schon ein paar Stunden über Leben und Tod entscheiden.

      Die Kriminalbeamtin wollte bereits aufgeben und Susanne Winkler anrufen, um mit ihr ein Treffen zu vereinbaren. Doch da fand sie in einem Verzeichnis mit dem kryptischen Titel CdtG eine Datei, die den unmissverständlichen Namen Abschiedsbrief.docx trug. Sie stammte von dem Tag, an dem der Student verschwunden war.

      Sofort war sie wie elektrifiziert. Sie klickte die Datei hastig an, um sich ihren Inhalt anzusehen. Obwohl das Programm und das Dokument zügig geöffnet wurden, kam es ihr wie eine kleine Ewigkeit vor. Doch dann war es endlich soweit.

      Anjas Lippen bewegten sich unwillkürlich, als sie die Sätze las, die vermutlich das Letzte waren, was Christian Stumpf auf diesem Computer geschrieben hatte.

      An all diejenigen, die das hier lesen und die es überhaupt interessiert.

      ICH BIN TOT!

      Vielleicht wurde meine Leiche ja schon gefunden. Wenn nicht, dann wird das womöglich bald der Fall sein. Aber das ist ohnehin egal, denn mein lebloser Körper ist nicht mehr wichtig.

      NICHTS AUF DIESER WELT IST NOCH WICHTIG!

      WARUM?, fragt ihr, die ihr das lest, euch vielleicht.

      Nun, ich werde es euch sagen: Susanne, die LIEBE MEINES LEBENS, hat mich verlassen. Und ohne sie kann ich nicht weiterleben. Ich habe es in den letzten Tagen versucht. Doch dabei habe ich feststellen müssen, dass es einfach nicht geht.

      DESHALB HABE ICH BESCHLOSSEN, MEINEM LEBEN EIN ENDE SETZEN!

      Allein hätte ich diesen Schritt vermutlich nie gewagt. Es ist viel schwerer, als man zunächst denkt. Doch dann stieß ich zufällig auf den CLUB DER TOTEN GESICHTER. Dank der SUICIDE-CHALLENGE des Clubs wurde ich innerhalb von 23 Stunden durch 23 Aufgaben auf die finale Herausforderung vorbereitet, nämlich auf meinen eigenen selbst herbeigeführten Tod.

      JETZT BIN ICH ENDLICH BEREIT UND WERDE ES TATSÄCHLICH TUN.

      Die 23. und vorletzte Aufgabe bestand darin, diesen Abschiedsbrief zu verfassen. Nachdem ich ihn zum Beweis an NEMESIS, meinen TODESENGEL und dunklen Begleiter, geschickt habe, der mich bis zum Ende und schließlich ins Licht geleitet, wird er mir mitteilen, wo und wie ich mich umbringen soll.

      Ich bedanke mich hiermit bei NEMESIS und auch beim Administrator des CLUBS DER TOTEN GESICHTER. Ohne euch hätte ich es nie geschafft!

      Lebt wohl und seid nicht traurig über meinen Tod, denn es war meine eigene freiwillige Entscheidung.

      Euer CHRISTIAN

      Anja ließ sich in ihrem Stuhl zurücksinken und dachte über das soeben Gelesene nach.

      Es sah wahrhaftig so aus, als hätte Stumpf vorgehabt, sich aufgrund seines Liebeskummers das Leben zu nehmen. Fragte sich nur, ob er es bereits getan hatte und letzten Endes auch erfolgreich gewesen war. Denn offensichtlich wollte er längst tot sein, wenn dieser Brief gefunden wurde.

      Doch was hatte es mit dem Club der toten Gesichter, der ominösen Suicide-Challenge und dem erwähnten Todesengel und dunklen Begleiter namens Nemesis auf sich?

      Anja erinnerte sich, vor einigen Monaten einen Artikel über ein sogenanntes Selbstmordspiel aus Russland gelesen zu haben, das sich Blue Whale nannte. Durch dieses vorgebliche Social-Media-Spiel wurden Jugendliche, die an Depressionen litten, zum Suizid verleitet. Allein in Russland sollte das Selbstmordspiel nach offiziellen Angaben mehr als 90 Jugendliche das Leben gekostet haben. Weitere Fälle waren zunächst aus Kirgisien und Kasachstan, später aus Polen und den baltischen Staaten und schließlich auch aus Ungarn, Bulgarien und Frankreich bekannt geworden. Dann war es den Behörden gelungen, den Administrator der Seite zu verhaften.

      Das Selbstmordspiel Blue Whale funktionierte folgendermaßen: Sobald die Jugendlichen sich angemeldet hatten, stellte ihnen ein selbsternannter Vormund fünfzig Aufgaben; jeden Tag eine neue. Die Teilnehmer wurden beispielsweise aufgefordert, um 4:20 Uhr aufzustehen und aufs Dach des Hauses zu steigen. Oder sie sollten sich einen Tag lang Horrorfilme ansehen oder etwas in den Arm ritzen. Die Jugendlichen mussten die Erfüllung jeder Aufgabe durch Fotos oder Videos an ihren Vormund nachweisen. Erst dann ging es ins nächste Level des Spiels. Die Herausforderungen wurden mit jeder Stufe härter, um sie auf das Ziel, den Selbstmord nach fünfzig Tagen, vorzubereiten. Gewinner des Spiels war, wer alle Aufgaben absolvierte und sich schließlich das Leben nahm.

      Aus dem, was Stumpf in seinem Abschiedsbrief geschrieben hatte, ging Anja davon aus, dass es sich bei dem obskuren Club der toten Gesichter um etwas ganz Ähnliches handeln musste. Doch anstelle eines Vormunds gab es hier einen Todesengel namens Nemesis. Und die Suicide-Challenge dauerte auch nicht fünfzig Tage, sondern nur 24 Stunden. Allerdings schien es auch das Ziel dieses Clubs oder Spiels zu sein, dass der Spieler sich am Ende das Leben nahm.

      Da Anja es in ihrem Aufgabenbereich immer wieder mit selbstmordgefährdeten Menschen zu tun hatte – nicht nur junge Leute, sondern auch Erwachsene –, wusste sie, dass die allermeisten suizidalen Jugendlichen nicht wirklich sterben wollten. Allerdings konnten sie durch sogenannte Selbstmordspiele manipuliert werden. Zunächst wurden sie willkommen geheißen und umgarnt. Düstere Texte, traurige Musik und furchtbare Bilder vermittelten ihnen die Botschaft, dass es sich nicht lohnte, am Leben zu

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