Muriel. T.D. Amrein

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Muriel - T.D. Amrein Krügers Fälle

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Danner erwachte erst gegen zehn Uhr am nächsten Vormittag. Er trank zwar ab und zu ein Glas Rotwein, jedoch nicht den größeren Teil von zwei Flaschen. Er erinnerte sich daran, dass er mit der Dame vom Bootsverleih, Madame Muriel, zurück aufs Boot geschlendert war.

      Eine fast leere Weinflasche stand immer noch auf dem Tisch in der Kajüte. Eine aus seinem Vorrat. Die musste ihm den Rest gegeben haben, ausgerechnet an diesem Abend! Nie hätte er erwartet, dass diese aufregende Frau sich mit ihm abgeben würde. Dass sie mit zurück zum Boot gekommen war … Diese Haut, die wunderbar geformten Brüste, die unglaublich schönen Beine … Und was machte er daraus? Neben ihr eingepennt. Super!

      Bisher hatte er immer gedacht, solange man sich im Geist jung fühlt, ist man nicht alt. Seine Schwäche der letzten Nacht verwies auf das Gegenteil. Fehlte bloß noch, dass er mit offenem Mund geschnarcht hatte. Stirnrunzelnd betrachtete er sich im Spiegel. Eigentlich doch ganz passabel, für seinen Jahrgang. Sie hatte ihm immerhin ebenfalls ab und zu nachgeschenkt. In ihrem Alter sollte man doch eigentlich wissen, ab wann es prekär werden konnte. Trotzdem würde er sich bei ihr mit einem riesigen Blumenstrauß entschuldigen. Schließlich hatte er ihr einen schönen Sommerabend gestohlen, den sie sicher viel lieber anders verbracht hätte.

      ***

      Heute sollte die Bestandsaufnahme auf dem Bootswrack des Clochards zu Ende gehen. Megane hatte geduldig gewartet, bis sich der Letzte der Spurensicherer verabschiedete. Erst danach sah sie sich die Bleibe dieses Mannes noch mal in Ruhe an. Sie musste ein paar Mal tief durchatmen, um sich mit dem Geruch zu versöhnen, der ihr Übelkeit bereitete und sich wie ein Film über ihre Gedanken legte. Sie stand nicht zum ersten Mal in einer zugemüllten Wohnung, deshalb kannte sie den Gestank, der aus der Mischung von ungewaschenen Kleidern, vergammeltem Essen und Schimmel resultierte. Hier jedoch fehlte etwas. Zu eintönig, irgendwie flacher, als er sein sollte.

      Sie betrachtete den Müll zu ihren Füßen. Leere Lebensmittelverpackungen jeder Art, aber außer einigen dunklen Rückständen in Pizzaschachteln keinerlei Essensreste. Die müsste man in allen Stadien der Verwesung erwarten bei jemandem, der kein fließendes Wasser zur Verfügung hatte. Ob sich ein Messie die Mühe machte, die Sachen im Fluss zu waschen, um sie danach zurück zum übrigen Müll zu legen? Ausschließen konnte man bei solchen »Sammlern« kaum etwas, aber realistisch erschien ihr das nicht.

      Überhaupt schien die Zusammensetzung der Abfälle kurios. Wenn ein Mensch aufgrund einer psychischen Störung Müll hortete, bezog sich das anfangs auf Dinge von Wert – Gebrauchswert in erster Linie. Einen Stuhl, den er jahrelang benutzt hatte, den konnte so jemand nicht einfach wegschmeißen. Megane grinste. Fast so, als hätte er eine Art Gnadenbrot verdient. Genauso Bücher, die man liebte. Danach zum Beispiel Zeitschriften mit interessanten Inhalten. So entwickelte sich das weiter. Das Sammeln von richtigem Müll stand am Schluss einer Messie-Karriere. Wenn sich die Person sozusagen ergeben hatte.

      Plötzlich fühlte sie sich beobachtet. Aber hier war niemand, sie hatte alle fortgeschickt. Und wenn jemand gekommen wäre, sie hätte ihn auf jeden Fall gehört. Trotzdem, auch der Geruch wirkte unvermittelt wieder intensiver. Schweiß, dachte sie. Abgestandener Männerschweiß. Die Schwaden schienen nach ihr zu greifen. Unaufhaltsam krochen sie in ihre Kleider, fluteten ihre Nase.

      Er konnte seit der Festnahme nicht mehr hier gewesen sein. Außerdem hatte man ihm frische Kleidung gegeben. Ihr Herz pochte bis zum Hals. Kein Gedanke mehr an sorgfältiges Nachdenken vor Ort.

      So schnell wie möglich kletterte Megane nach draußen.

      ***

      Muriel feilte den ganzen Tag über an ihrer Strategie. Sie musste die Zeit nutzen, die Meinrad Danner vor Ort blieb. Er hatte seine Penichette seit gestern nicht weiterbewegt, das zeigte das GPS. Sollte sie die Gelegenheit nutzen, oder würde ihm das auffallen? Gut, eigentlich wollte sie ihm auffallen. Allerdings konnte sie heute nicht früher Feierabend machen. Wahrscheinlich würde sie zum gemeinsamen Abendessen zu spät eintreffen. Aber egal. Mit Zaudern ließ sich nichts gewinnen.

      Gegen acht am Abend rollte Muriel auf dem Treidelpfad an Danners Hausboot, der Chantal, vorbei. Alles dunkel. Er schien nicht an Bord zu sein. Sie drehte das Fahrrad um und radelte zum Restaurant. Dort wollte sie aus einiger Entfernung einen Blick durchs Fenster werfen. Wenn er wieder am gleichen Tisch saß wie mit ihr gestern, konnte sie ihn sehen, bevor sie das Lokal betrat.

      Er lehnte tatsächlich lässig am Fenster und genoss offenbar eine Crème brûlée. Muriel durchfuhr es heiß, denn ihm gegenüber saß eine alte Schlampe mit großzügigem Ausschnitt. Selbst auf die Entfernung ließen sich die tiefen Falten in den Brustansätzen deutlich erkennen. Und erst der Hals … Muriel entfuhr ein leises »merde«.

      Warum bloß hatte sie ihm gestern nicht sofort alles klargemacht? Natürlich wusste sie genau, warum. Er sollte sie nicht für eine Hure halten, die sich gleich von jedem bespringen ließ. Das wären ganz schlechte Voraussetzungen für ihr Vorhaben. Aber diese vulgäre Hexe, die sich ihm jetzt so offensichtlich anbot, würde sich bestimmt nicht vornehm zurückhalten. Das erkannte Muriel auf den ersten Blick.

      Sie musste etwas tun. Verhindern, dass ihr Meinrad auf dem welken Fleisch dieser alten Zicke landete. Es wirkte nicht so, als ob er sich vor ihr ekelte. Männer verhielten sich in dieser Beziehung oft äußerst seltsam, das wusste Muriel aus Erfahrung.

      Nun konnte sie nur noch eines tun, ihm einen kleinen Schreck einjagen. Kurz entschlossen radelte sie zurück zur Chantal. Meinrad hatte das Landungsbrett offenbar irgendwo versteckt, stellte sie genervt fest. Deshalb konnte sie nicht einfach an Bord gehen, um die Enden der auf dem Boot festgemachten Leinen zu lockern. »Selbst schuld«, murmelte sie vor sich hin. Dann würde sie eben aufs Ganze gehen. Anstatt sich bloß ein wenig in die Strömung zu drehen, sollte der Kahn völlig abtreiben. Sie zog das Boot an den Leinen zu sich, um die Schlingen an den Ankerstäben zu lockern und leicht abstreifen zu können. Mit einem kräftigen Schubs beförderte sie die Chantal danach wieder vom Ufer weg. Natürlich würde es eine Weile dauern, bis die entlang der Uferböschung schwache Strömung das Boot in Bewegung setzte. Und es würde an dieser Stelle weder besonders weit kommen noch irgendeinen Schaden erleiden. Schließlich hatte Muriel solche Pannen schon des Öfteren erlebt und kannte sich aus. Hauptsache war: Meinrad verlor durch den Schreck für heute Abend die Lust, eine faltige Kröte zu begatten. Ab morgen würde sie ihn mit der Aussicht auf ihre jungen, knackigen Formen davon abhalten.

      ***

      Nach dem Essen schlenderte Meinrad Danner allein an den Anlegeplatz zurück. Dort blieb er wie angewurzelt stehen. Wo war das Boot? Er hatte es doch hier festgemacht, sicher vertäut! Seine Hand fuhr zum Bootsschlüssel in der Hosentasche. Noch da. Auch die Eisen, an denen er festgemacht hatte, steckten noch in der Erde. Hatte es jemanden gestört, dass er schon so lange am gleichen Platz lag? So viele gut zugängliche Anlegeplätze gab es nun mal nicht am Ufer.

      Höchstens zwei Kilometer Luftlinie bis zur nächsten Schleuse, und die war um diese Zeit geschlossen, überlegte er. Der Fluss führte am Abgang des nächsten Kanalstücks eine starke Biegung nach links aus, und die Strömung wurde an dieser Stelle durch eine breite Schwelle abgeschwächt. Das Wehr regulierte nicht bloß den Abfluss, sondern hielt auch die Höhe des Wasserspiegels konstant. Unabdingbar für ein Schleusensystem. Die Chantal würde durch die schräg zum Fluss laufende Überlaufkante sicher zurück ans rechte Ufer und damit in den Kanal geführt werden. Strömung entstand dort nur, solange eine Schleusenkammer gefüllt wurde. Normalerweise bewegte sich dieses Wasser jedoch nicht vorwärts. Also müsste auch ein Boot ohne Antrieb darin stehenbleiben.

      Meinrad erwartete allerdings, dass seine Penichette lange vorher von einem der zahlreichen im Fluss liegenden Bäume aufgehalten worden sein dürfte. Er hatte die Strecke flussabwärts in den letzten Tagen mehrmals zu Fuß auf dem Treidelpfad zurückgelegt und sich dabei die Bäume,

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