Muriel. T.D. Amrein

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Muriel - T.D. Amrein Krügers Fälle

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eines fiel ihm auf: Megane schien es nicht zu mögen, wenn eine ihr möglicherweise ebenbürtige Konkurrenz auftauchte. Ein eher männliches Verhalten, fand Guerin, nur ohne das übliche Gehabe. Es gab auch weder Gehässigkeiten noch Sticheleien; Megane legte sich höchstens noch mehr ins Zeug.

      4. Kapitel

      Muriel saß an der Rezeption und sah nachdenklich dem Rentner Meinrad Danner hinterher, der sich gerade verabschiedet hatte. Der Mann schien das ideale Opfer zu sein. Er hatte letztes Jahr schon ein Boot gemietet und kannte den Fluss und die Penichette.

      Tatsächlich war er in diesem Jahr ohne die nervige Begleiterin erschienen, die Muriel damals davon abgehalten hatte, sich ihm zu nähern. Auf sanftes Nachfragen hin hatte der Alte durchblicken lassen, dass sich seine Lebensgefährtin aus dem Staub gemacht habe. Dämliche Kuh! Aber um so besser für Muriel. Nur eins ließ sie zögern: Der Mann stammte aus dem knapp hundert Kilometer entfernten Basel. So kurz nach der Polizeiaktion, die sie mit ihrer letzten »Sichtung« ausgelöst hatte, schien ohnehin erhöhte Vorsicht geboten. Normalerweise bevorzugte sie Herren aus Norddeutschland oder wenigstens aus dem Osten der Republik. Allerdings lief ihr die Zeit davon. In sechs Wochen würde der Tourismus an der Saône deutlich abflauen. Dann sanken nicht nur die Temperaturen, sondern auch die Preise. Mit armen Schluckern, die sich die Hauptsaison nicht leisten konnten, wollte sie sich nicht abgeben. Im Fluss mochte man dann auch nicht mehr baden, geschweige denn die Nächte draußen verbringen.

      Muriel straffte sich. Sie vermochte sich durchaus eine Ehe mit einem vermögenden Herrn vorzustellen – wenn sie nicht zu lange dauerte und er sie dafür mit einem ansehnlichen Erbe entschädigte. Allerdings hatte sie diese Möglichkeit eher für später vorgesehen, wenn ihre Reize langsam zu schwinden begannen. Jetzt wollte sie ihren Winterwohnsitz im Elsass noch nicht aufgeben. Andererseits, vornehm in Basel leben? Sie nahm sich vor, an einem freien Tag einmal hinzufahren und sich anzusehen, wo und wie der alte Danner wohnte. Die Adresse hatte er natürlich angegeben, wie alle, die bei ihr ein Hausboot mieteten. Besser einen alten Mann erdulden als einen kargen Winter, dachte sie. Immerhin wusste sie schon ziemlich viel über ihn. Auf jeden Fall ein großzügiger Typ. Seine Verflossene hatte vor Schmuck und teuren Kleidern nur so gestrotzt, und er hatte Muriel bei der Schlüsselübergabe eben mehr als deutlich gezeigt, dass er ihren Verlockungen keineswegs abgeneigt gegenüberstand. Außerdem hatte er zuvor mehr über sich preisgegeben, als klug für ihn gewesen wäre. Auch das es keine lästigen Nachkommen gab, die einer Lebensgefährtin das Erbe streitig machen konnten.

      ***

      Guerin schlenderte durch eine Bootswerft, die er sich früher schon mal kurz angesehen hatte. Sie lag neben einem Jachthafen, der über rund vierzig moderne Anleger für Haus- und Sportboote verfügte. Das Areal der Werft wirkte ziemlich überfüllt. An Wasser wie an Land lagen alte Lastkähne in diversen Stadien des Verfalls herum. Das Gelände erinnerte Guerin mehr an einen Schrottplatz als an eine Werft. Das Geschäft mit den Flusstransporten lag schließlich schon längst darnieder. Wenigstens sorgte der Hausboottrend für neues Einkommen in der Gegend. Gearbeitet wurde in den Hallen der Werft ausschließlich an eleganten, teuren Booten; die alten Frachtkähne lagen nicht nur sinnbildlich auf Halde. Der ideale Ort, um über ein herumliegendes Stück Ankerkette zu stolpern, deswegen war Guerin hier.

      Außerdem hatten sich bei seinem letzten Besuch kaum alle Angestellten im Werk aufgehalten. Und obwohl er und Megane ein Foto des Toten ans Schwarze Brett der Firma genagelt hatten, bedeutete dies nicht, dass es sich jeder Mitarbeiter auch genauer angesehen hatte. Er hatte sich beim Besitzer angemeldet, aber darum gebeten, das Personal nicht über den Grund seines Besuchs zu informieren.

      »Schauen Sie sich ruhig um. Ich hab nichts zu verbergen, und meine Leute auch nicht«, sagte der Mann, noch bevor er Guerin die Hand geschüttelt hatte.

      Guerin nickte erfreut. Kein richterlicher Beschluss nötig, das fand er sehr anständig. Er schätzte, dass die Beamten, um alle Räume und Boote zu durchsuchen, mehrere Tage bräuchten. Nun, wenn er eines hatte, dann Zeit, und eine angenehme Beschäftigung war besser, als bloß Däumchen zu drehen. Hauptsache, die Gedanken blieben am Ball beziehungsweise am Fall. Schon oft hatte sich bei solchen scheinbaren Routinedurchsuchungen etwas ergeben, das seinen Gedanken eine neue Richtung gab.

      Bald stellte Guerin fest, dass längst nicht alle auf dem Gelände herumstehenden Boote vor dem Verlassen geräumt worden waren. Unmengen von persönlichen Dingen wie Kleidung, Bücher, Kosmetikartikel und alte Lebensmittelkonserven füllten Regale und Schränke. Ein ausgezeichneter Platz für einen Clochard oder einen gesuchten Kriminellen, ging Guerin durch den Kopf. Was hier lagerte, reichte Monate oder sogar Jahre zum Überleben, inklusive Wohnen und Schlafen.

      Dass der Tote in diese Kategorie gehörte, glaubte Guerin jedoch nicht. Der Täter schon eher. Natürlich brauchte auch so jemand ab und zu Bargeld. Gelegenheiten, um einsame Wanderer oder Radfahrer auszurauben und im Fluss verschwinden zu lassen, gab es ohne Frage jede Menge. Der Täter könnte das spätere Opfer zur Übernachtung auf einem stillgelegten Boot in der Werft eingeladen haben – leichtes Spiel mit einem Schlafenden. Kurzer Weg ins Wasser. Einen an sich sinnlosen Kopfschuss, um eine falsche Spur zu legen. Genügend Zeug, um eine Leiche zu beschweren, lag auch herum, ohne dass sein Fehlen irgendjemandem auffiele. Je länger Guerin darüber nachdachte, desto plausibler erschien ihm das Ganze. Er würde sich damit beschäftigen müssen, ob hier mehr Leute verschwanden als im landesüblichen Durchschnitt. Oder zumindest an anderen Flüssen in Frankreich.

      ***

      Die Truppe rückte früh am nächsten Morgen in der Werft an. Guerin hatte zehn Beamte mitgebracht, die sich so auf dem Gelände verteilten, dass sich niemand ungesehen davonschleichen konnte. Er hielt die Augen offen, ob jemand auf einem der alten Boote übernachtet hatte. Systematisch durchsuchten sie eine Kajüte nach der anderen. Guerins Gefühl erwies sich als richtig. Insgesamt fünf Personen holten er und seine Gendarmen aus den Kojen, zwei Pärchen und einen einzelnen Mann, jeweils aus verschiedenen Booten. Die Pärchen, die sich ausweisen konnten und aus der Gegend stammten, ließ Guerin bald wieder laufen, den Mann ohne Papiere dagegen vorläufig festnehmen.

      Der verhaftete Typ schwieg eisern. Guerin ließ ihn erst mal in einem Einsatzwagen schmoren, während seine Spurensicherer weiter das Boot durchsuchten. Eine alte Peniche, die man schon vor langer Zeit auf Holzbalken ans Ufer gestellt hatte. Sie stand ganz hinten am Waldrand, umgeben von niederem Gebüsch. Ein deutlich erkennbarer Trampelpfad führte zwischen den Sträuchern hindurch zum Steg am Heck. Dass dieser Kahn nie wieder schwimmen würde, konnte sich auch ein Laie leicht ausrechnen. Durch die Ritzen der vermoderten Planken sah man teilweise ins Innere des Rumpfes. Da und dort wuchsen Grasbüschel auf dem Deck. An Stellen, wo Wind und Regen genug Material abgelagert hatten, um Wurzeln einen Halt und etwas Feuchte zu bieten, standen sogar kleine Stauden.

      Die Kabine hingegen hatte sich erstaunlich gut gehalten, auch wenn die Bettwäsche vor Dreck starrte und es nach altem Schweiß und Essensresten müffelte. Der Fußboden war bedeckt mit Wollmäusen, Papierfetzen und Styroporverpackungen, dazwischen leere Flaschen und offene Konservendosen. Guerin rümpfte die Nase. Ein echter Messie! Offenbar hauste er hier schon seit einiger Zeit. In den Schränken fanden sich tatsächlich Essensvorräte für mehrere Monate. Dass sich der Bewohner nicht bloß von Konserven ernährte, bewiesen die herumliegenden Fast-Food-Verpackungen und leeren Weinflaschen.

      Falls der Kerl Wertsachen besaß, bewahrte er sie allerdings woanders auf als hier. Außer einigen Münzen fanden sich weder Geld noch Schmuck oder Dokumente in der Kabine. Auch seine Hosentaschen enthielten abgesehen von Unrat und Kleinkram nichts von Belang. Seine für einen Obdachlosen recht umfangreiche Garderobe fand sich über mehrere Räume im Boot verteilt. Als Guerin sich ein Hemd genauer besah, stutzte er. Das Etikett war sauber herausgetrennt, nicht bloß abgeschnitten. Oft ein Hinweis auf gestohlene Ware oder auf Leute, die ihren normalen Aufenthaltsort zu vertuschen suchten.

      Dasselbe

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