Muriel. T.D. Amrein
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Messer oder übrige Dinge, die man als Waffe bezeichnen konnte, fand Guerin nicht. Er vermutete jedoch, dass der Typ nicht so friedlich lebte, wie es den Anschein hatte. Die meisten dieser Kerle waren erfahren im Umgang mit Behörden und vorsichtig genug, sich nicht mit verdächtigen Gegenständen erwischen zu lassen. Dafür sprach auch, dass er absolut keinerlei Fragen beantwortete. Sprechen konnte er allerdings: »Lasst mich frei, ihr Schweine! Reine Willkür ist das! Ich hab nichts getan. Ihr Knechte eines faschistischen Polizeistaats, lasst mich frei!«
Der will sich als linker Spinner darstellen, vermutete Guerin, aber dem ging er nicht auf den Leim. Die fehlenden Etiketten gaben den Ausschlag. Zu typisch für Kriminelle. Solange die Spurensicherung zu keinem klaren Ergebnis gelangte, musste er den Kerl vermutlich trotzdem bald laufen lassen. Guerin brauchte eine Spur. Ein Indiz oder einen Gegenstand, die zu einem Haftbefehl führen konnten.
***
Muriel nutzte den späten Nachmittag für einen Besuch bei Meinrad Danner. Sie hatte kurz im Büro nachgesehen, wo seine Penichette, die Chantal lag. Immer noch bloß wenige Kilometer vom Bootsverleih entfernt. Danner schien keinen Ehrgeiz darauf zu verschwenden, möglichst weit zu kommen. Natürlich kannte Muriel die Stelle, an der er angelegt hatte. Ganz in der Nähe eines Restaurants, »dieses« Restaurants, aber das spielte für sie keine Rolle mehr. Inzwischen hatte das Haus täglich und fast rund um die Uhr geöffnet, ideal für Leute wie Meinrad, die sich gern kulinarisch verwöhnen ließen, ohne einen langen Weg nach Hause vor sich zu haben.
Auch Muriel selbst aß ab und zu dort. Man kannte sich schließlich und empfahl sich gegenseitig. So konnte sie Danner im Glauben lassen, dass sie einen Spaziergang mit anschließendem Bad geplant habe und bloß zufällig auf ihn gestoßen sei. Wie sie ihn einschätzte, würde er sie zum Essen einladen, sobald sie dieses Restaurant oder ein Hungergefühl auch nur erwähnte. Sie würde sich während des Besuchs entscheiden, wann es so weit war, auch darüber, wie der Abend enden sollte. Am Köder würde sie bei einem so dicken Fisch bestimmt nicht sparen.
Muriel stelle ihr Fahrrad beim Restaurant ab. Erst spazierte sie an Danners Penichette vorbei, die dieser vorschriftsgemäß am Ufer vertäut hatte.
Hohe Bäume beschatteten das Boot, sodass der Alte auf dem Oberdeck in einem Liegestuhl dösen konnte, ohne sich einen Sonnenbrand zu holen. Er reagierte nicht auf Muriel, die ihn aus den Augenwinkeln genau beobachtete, während sie vorbeischlenderte.
Ein kurzes Stück ging sie noch weiter, dann zog sie sich im Gebüsch um, also eigentlich aus. Den knappen Bikini hatte sie schon die ganze Zeit unter der Kleidung getragen. Sie gönnte sich ein ausgiebiges Bad, währenddessen sie immer wieder unauffällig zum Boot hinüberspähte. Danner regte sich die ganze Zeit über nicht.
Schließlich legte Muriel sich unter die Bäume. Strandtuch und Kosmetikartikel hatte sie in einer voluminösen Tasche bei sich. Als sie auf dem Handtuch lag und die Augen ihr zuzufallen drohten, sah sie vorsichtshalber auf die Uhr. Schon bald Essenszeit, dann würde sie ihn aufscheuchen. Wem sollte es verdächtig vorkommen, wenn sie zufällig einen Kunden am Fluss traf und sich nach seinem Befinden erkundigte? Seltsam könnte es eher anmuten, wenn sie einfach achtlos vorbeiginge.
***
Kommissar Guerin stand kurz vor dem Feierabend, als Megane ihn anrief. Offenbar hatten die Techniker gerade die Schatzkiste des Clochards gefunden. Guerin bestand darauf, dass die Arbeit ruhen solle, bis er eingetroffen sei. Vielleicht bot der Inhalt eine Möglichkeit, sich dem Mann zu nähern, der weiterhin jede Auskunft verweigerte. Er machte sich eilends auf den Weg zur Werft.
Die Männer von der Spurensicherung machten ihm respektvoll Platz. Guerin fragte sich, ob die Leute hier einfach nur auf Zack waren, oder ob sich die Gerüchte über seine spektakulären Fälle und phänomenale Aufklärungsquote bereits bis zu ihnen herumgesprochen hatten. Er schickte bis auf zwei Kollegen alle nach Hause. Wie erwartet, hatte der »Schatz«, in diesem Fall ein Alukoffer, nicht einfach in der Kajüte gelegen. Das Schiff hatte einmal einen Innenbordmotor besessen, und daher lagen viele Teile der technischen Ausrüstung wie Tanks für Wasser oder Treibstoff unterhalb des Kajütenbodens. Zugang zu diesem etwa achtzig Zentimeter hohen Unterdeck boten einige Klappluken. Man konnte sich dort unten bewegen, jedoch nur auf allen vieren. Als Guerin sich selbst ein Bild vom Fundort des Koffers machte, entdeckte er zudem einen vergleichsweise sauberen Schlafsack unter einem der Lukendeckel, der sich von unten verriegeln ließ. Vermutlich die letzte Zuflucht des Obdachlosen, wenn er jemanden kommen hörte. Hinter der vorgebauten Wand am Rand des Rumpfes fand sich eine Stelle, an der ein Mensch auch auf diesem Deck aufrecht stehen konnte. In dieser schrankartigen Konstruktion befand sich auf Augenhöhe ein Türspion, durch den man die gesamte Kajüte überblicken konnte. Den Alukoffer hatten die Spurensicherungsbeamten eher zufällig darin entdeckt, weil sie das Glas des Spions von außen entdeckt hatten und ihm nachforschten. Das Versteck an sich dürfte schon länger bestanden haben. Neu wirkte nur dieser Spion. Guerin überlegte sich, ob all der Müll in der Kabine bloß davon abhalten sollte, genauer hinzusehen. Alles in allem ein guter Platz, um sich auch für längere Zeit zu verstecken.
Das Spurensicherungsteam hatte den Koffer für den Kommissar wieder zugeklappt und an die Fundstelle zurückgelegt. Guerin ließ ihn ungeöffnet zum Justizpalast schaffen, dann schickte er die letzten Kollegen nach Hause. Endlich allein! Er wollte den Ort auf sich wirken lassen, und dazu musste er ebenso verlassen sein, wie der Landstreicher ihn normalerweise erlebte.
5. Kapitel
Irgendwann hatte Muriel genug davon, auf Danners Erwachen zu warten. Sie schlüpfte in ihre Kleider und rückte ihr ausladendes Dekolleté zurecht. Auch der geschlitzte Rock ihres Kleides, der den Blick auf ihre gebräunten Schenkel freigab, sollte seine Wirkung nicht verfehlen. Sie stellte sich neben das Boot und warf einen Kieselstein ins Wasser, um auf sich aufmerksam zu machen. Danner hob den Kopf, sah sich um.
»Hallo!« Sie winkte ihm lächelnd zu.
Er wirkte verschlafen. »Hallo«, gab er kraftlos zurück. Erst als er erkannte, wer ihn da geweckt hatte, schob er sich die Brille auf die Nase. »Sie, Madame?«
»Ich wollte Sie nicht stören«, entschuldigte sie sich.
»Aber nicht doch. Welch eine angenehme Überraschung. Kommen Sie bitte an Bord, Madame!« Er schien leicht verwirrt, aber auch sehr erfreut.
Gespielt zögerlich balancierte Muriel über das angelegte Landungsbrett. Danner hatte sich inzwischen erhoben, war vom Oberdeck heruntergestiegen und bot ihr seine Hand an. »Bitte, Madame!«
Sie griff beherzt zu und ließ sich an Deck ziehen, wobei sie den Rock etwas raffte und ihm viel Bein zeigte. Als sie sich extra weit vorbeugte, um ihre Tasche abzustellen, spürte sie seine Blicke auf ihrem Busen fast körperlich. Meinrad hatte ja keine Ahnung, dass er genau das tat, was sie bezweckte.
Mit leicht belegter Stimme sagte er: »Kann ich Ihnen etwas anbieten? Ein Glas Wein, vielleicht?«
Sie gab sich verlegen. »Ich vertrage Alkohol nicht besonders gut auf leeren Magen.«
Er reagierte sofort. »Aber natürlich, Madame. Das hätte mir auch direkt einfallen können. Ich esse jeden Abend in diesem ausgezeichneten