Muriel. T.D. Amrein

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Muriel - T.D. Amrein Krügers Fälle

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ein Stück weit aus dem Wasser und warnten dadurch die Bootsführer. Doch wenn man nicht aufpasste, konnte man leicht hängen bleiben. Unter Umständen gereichte Meinrad dies jetzt zum Vorteil.

      Ohne besondere Eile spazierte er voran. Er hatte heute Abend ohnehin nichts mehr vor, und es würde bestimmt noch eine Stunde lang hell bleiben.

      Kaum fünfhundert Meter weiter bestätigte sich seine Vermutung. Der Bug ragte praktisch direkt auf den Pfad, sodass er sogar trockenen Fußes einsteigen konnte. Die Leinen lagen quer auf dem Deck, einfach über die Reling geworfen. Noch deutlich erkennbar die Stellen im Seilgewebe, wo sie um die Eisen geschlungen gewesen waren.

      Handelte es sich um einen Bubenstreich, oder hatte er einen Fischer verärgert? Egal. Morgen würde er ein Stück weiterfahren, schon um der aufdringlichen Alten zu entgehen, die ihn heute Abend beim Essen genervt hatte. Dabei hatte ihn gar nicht so sehr gestört, dass sie immer noch alles zeigen wollte, was sie früher einmal zu bieten gehabt hatte. Wenn sie dazu wenigstens eine Minute lang den Mund hätte halten können!

      6. Kapitel

      Polizeipräsidium Freiburg im Breisgau. Kommissar Max Krüger versuchte, das Gesicht des Toten auf dem Foto mit demjenigen im Personalausweis von Rainer Lau in Einklang zu bringen. Nicht, um die Identifizierung zu bestätigen; die war bereits gesichert. Krüger beschäftigte vielmehr, wie sehr der Tod ein Gesicht entstellen konnte. Außerdem fand er es wichtig, dass man bei Nachforschungen nicht bloß ein optisches Bild des Gesuchten im Kopf hatte. Auch ausgeprägte Eigenschaften wie zum Beispiel sympathisch oder aggressiv gehörten zur Person, in die er sich hineinzuversetzen versuchte, um ihre Gedankenwelt zu erahnen. Das galt natürlich sinngemäß auch für männlich oder weich, verschlagen oder seriös. Oder was sich sonst noch alles aus einem Bild herauslesen ließ, solange man über nichts weiter verfügte.

      Das Foto der Leiche eignete sich jedoch dazu kaum. Es erweckte in erster Linie Mitleid oder Ekel, je nach Befindlichkeit des Betrachters.

      Michélle riss ihn aus seinen Gedanken. »Können wir, Chef?«

      Sie waren im Begriff, ins 60 Kilometer entfernte Offenburg aufzubrechen. Dort hatte das Opfer zuletzt gewohnt. Da die Leiche im Ausland aufgefunden wurde, hatte man die Zuständigkeit nach Freiburg, das dem Fundort nächstgelegene deutsche Präsidium, verlegt. Erste Abklärungen und Befragungen von Zeugen hatten die Beamten am Wohnort bereits durchgeführt. Krüger brauchte die Ergebnisse bloß noch zu sortieren und zu bewerten. Selbstverständlich konnte er weitere Untersuchungen anregen oder auch persönlich ermitteln, wenn er es für notwendig hielt. Der Zweck der anstehenden Reise bestand darin, sich ein eigenes Bild von den beiden seltsam anmutenden Freunden des Opfers zu verschaffen. Die drei hatten einen gemeinsamen Urlaub auf einem Hausboot verbracht. Auf genau diesem Fluss in Frankreich, der Saône, aus der ein deutsches Touristenpaar, die Leiche von Rainer Lau gefischt hatte.

      In den Protokollen fand sich kein einziger konkreter Satz zum Sachverhalt, den Krüger als Ausgangspunkt für eine gezielte Vernehmung verwenden konnte. Und obwohl sie getrennt befragt wurden, erzählten sie ziemlich das Gleiche. Das Verschwinden ihres gemeinsamen Freundes wollten sie überhaupt nicht bemerkt haben. Er sei, wie vorgesehen, einige Tage früher zurückgefahren, um einen wichtigen Termin wahrzunehmen. Welcher Art und wo, wollten sie ebenfalls nicht gewusst haben. Auch keine Ahnung von eventuellen Freundinnen oder Verwandten. Genauso wenig wie von Vorlieben oder Abneigungen des Mannes. Schließlich habe man praktisch nie über Privates gesprochen. Und, dass ihnen erst jetzt am Stammtisch, nach fast zwei Monaten, beim gemeinsamen Betrachten des Polizeifotos eines unbekannten Toten aufgefallen war, dass es dem Kollegen ähnlich sah. Der im Übrigen, seit der Reise tatsächlich nie mehr aufgetaucht sei. Immerhin hatten sich die beiden schließlich dazu durchgerungen, sich mit ihrer Beobachtung bei einer Polizeiwache zu melden.

      Krüger konnte sich kaum vorstellen, dass ein erwachsener Mensch erwartete, dass ihm jemand eine solche Aussage abkaufte. Oder sogar davon ausging, mit einer dermaßen hanebüchenen Story unbehelligt durch eine Morduntersuchung zu kommen. Die beiden ließen sich jedoch auch durch gezieltes Nachfragen offenbar nicht beirren. Rainer Lau solle putzmunter und auf eigenen Füssen das Hausboot verlassen haben. Danach wurde er nie mehr gesehen. Der Kontakt sei ohnehin stets eher lose gewesen. Man habe sich nie verabredet, ausgenommen zur Bootstour, sondern sich immer bloß zufällig, am Stammtisch getroffen. Soweit die Kernaussage der Freunde, die sich natürlich gegenseitig bestätigen und decken konnten.

      Was auf den ersten Blick als Schwachsinn wirkte, erwies sich jedoch als unwiderlegbar. Die Buchung der Reise lag mehr als ein Jahr zurück. Die Begründung, dass es schwierig sei, für alle drei eine passende Zeit zu finden, deshalb die lange Vorlaufzeit, leuchtete zweifellos ein. Ein Jahr auf eine Gelegenheit warten, um mit jemandem abzurechnen, lag noch im Bereich des Vorstellbaren.

      Aber wenn sie ihn tatsächlich loswerden wollten, hätten sie ihn zum Beispiel betrunken ersäufen und das Ganze als Unfall melden können. Ein solches Vorgehen, dürfte kaum zu ernsthaften Ermittlungen geführt haben.

      Also entweder zwei unschuldige Idioten oder zwei Superschlaue. Oder steckte noch etwas Anderes dahinter?

      »Ich bin fertig, Michélle!«, bestätigte Krüger. »Also los!«

      ***

      Verstohlen musterte Manfred Grob die blonde Beamtin, die ihn in den Verhörraum der Dienststelle Offenburg geführt hatte. Jetzt schien sie vertieft in den Inhalt der Papiere, die sie mit ihren gepflegten, schlanken Fingern durchblätterte. Sie trug weder Uniform noch Namensschild, und für eine Polizeibeamtin im Dienst schien der Einblick in ihre Bluse etwas zu großzügig. Einzig das – zwar leere – Pistolenhalfter und ein Paar Handschellen an ihrem Gürtel ließen darauf schließen, dass sie die Staatsgewalt vertrat. Man hatte Manfred auch nicht zu einem Verhör vorgeladen, sondern darum gebeten, den überregional ermittelnden Beamten einige Fragen zu beantworten. Leider war sie nicht allein gekommen, denn es hieß, man warte noch auf »den Chef«, der sich offenbar so viel Zeit nehmen konnte, wie er wollte. Insgeheim hoffte Manfred darauf, dass es sich beim Chef auch um eine Frau handelte. Noch so eine mit reichlich Holz vor der Hütte, die ebenfalls wusste, was Männer gern betrachten. Schließlich hatte er selbst solche Methoden ab und zu auch schon angewendet. Besonders wenn es sich um ein richtig fettes Geschäft drehte, welche erfahrungsgemäß meistens von reiferen Herren entschieden wurden. Manfred Grob arbeitete als selbständiger Immobilienmakler. Wie viel Mehrertrag ihm die Mädels vom Escort Service inzwischen beschert hatten, wusste nicht einmal er selbst genau. Aber dass es sich lohnte, daran bestand kein Zweifel. Und hie und da blieb sogar noch ein wenig bezahlte Service-Zeit übrig, die er natürlich nicht ungenutzt verstreichen ließ.

      Das Geräusch schlurfender Schritte störte ihn bei seinen Gedanken, weil es absolut nicht dazu passte.

      »Krüger«, stellte sich der Mann mürrisch vor.

      »Hauptkommissar Krüger«, ergänzte die Blondine eifrig und lächelte dem gelangweilt abwinkenden Kommissar zu.

      Für Manfred war sofort klar, woher der Wind wehte. Die wollte bestimmt die langwierigen Dienstwege nach oben durch kleine Gefälligkeiten, soweit wie möglich, abkürzen.

      »Grob«, stellte er sich vor. »Manfred Grob.«

      »Danke, ich weiß, wer Sie sind«, brummte Krüger.

      Was sollte Manfred darauf antworten. Er zuckte resigniert mit den Schultern.

      »Ja, dann erzählen Sie mal!«, forderte Krüger auf. »Wie ist das gelaufen auf dem Boot. Als Sie Herrn Lau zum letzten Mal gesehen

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