Treffpunkt Hexeneiche. Claus Karst
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„Ich habe noch ein wenig gelesen, bin dann aber eingedöst. Als ich – es muss gegen 3 Uhr in der Frühe gewesen sein – wach geworden bin, beschlich mich ein ungutes Gefühl, und ich habe nachgeschaut, ob der Herr zurück war. Als um 7 Uhr von ihm immer noch nichts von ihm zu sehen war, habe ich die gnädige Frau geweckt und sie informiert.“
„Ist Herr von Saersbeck öfter abends im Park spazieren gegangen?“
„Das kann ich nicht bestätigen.“
„Haben Sie irgendeine Vermutung, was vorgefallen sein könnte, oder ist Ihnen etwas Außergewöhnliches gestern Nacht oder in den letzten Tagen aufgefallen?“
„Mir steht nicht zu, etwas zu vermuten. Ich sehe nur die Arbeit, die zu verrichten mir aufgetragen wird, mein Herr.“
„Wie lange sind Sie schon bei den Saersbecks beschäftigt?“
„Von Saersbeck, bitte! Seit Ewigkeiten, mein Herr.“
„Geht’s auch genauer?“
„Ich habe nie versucht, die unzählbaren Stunden der Ewigkeit zu zählen, mein Herr.“
Bei dieser Antwort schien es dem Kommissar, als würden ein paar Falten in der ansonsten undurchsichtigen Miene des Butlers den Versuch eines Schmunzelns wagen. Der Butler konnte ihm offensichtlich nicht weiterhelfen. Daher beendete er das Gespräch mit der Aufforderung: „Bitte informieren Sie mich, falls Ihnen noch etwas ein- oder auch auffallen sollte.“
Mit diesen Worten überreichte Cernik dem Butler seine Visitenkarte. Albert hielt ihm die Tür auf, verabschiedete ihn mit einem distanzierten Kopfnicken, und der Kommissar stieg, in Gedanken versunken, die Treppe hinab.
An seinem Wagen angekommen, holte er erst einmal tief Luft. Er war an diesem Morgen unvermittelt in eine Welt geraten, die nicht die Seine war und die er aus zutiefst verwurzelter Gesinnung verabscheute. Er kannte zwar keine Berührungsängste im Umgang mit den sogenannten hohen Tieren. Sein Beruf hatte ihn mit aller Deutlichkeit gelehrt, dass auch diese Spezies zur menschlichen Rasse zählt – mit all den Schwächen wie auch die der Normalsterblichen. Sein Besuch in der Villa Saersbeck, insbesondere das Auftreten der Dame des Hauses, hatte Spuren in seiner Vorstellungswelt hinterlassen.
Cernik startete seinen Wagen und fuhr los. Seine Gedanken wirbelten wild und ungeordnet durch seinen Kopf, darunter Gedanken, die er vorläufig noch für sich behalten wollte, sogar musste. Er hielt es für angezeigt, erst einmal Ordnung in die bisher gewonnen Erkenntnisse zu bringen. Um seine Gedanken sacken zu lassen, suchte er nach einer Parkgelegenheit, schaltete den Motor seines Wagens ab, kurbelte das Fenster hinunter, um frische Luft in das Innere des Wagen gelangen zu lassen, drehte die Rücklehne des Fahrersitzes in eine bequeme Liegestellung und überließ sich voll und ganz seinen Eindrücken. Er wollte sich nicht von Fiktionen leiten lassen, die sich bei ihm einzuschleichen begannen, kam aber nicht umhin, sich zuzugestehen, dass der offenkundige Reichtum der Saersbecks ihn mehr beeindruckt hatte, als ihm lieb war. Allerdings hatte dieses Vermögen Saersbeck nicht vor seinem bitteren Ende schützen können, vielleicht lag gar ein Tatmotiv vor.
Wann immer Cernik auf diese unnahbaren Kreise stieß, brodelten Kindheits- und Jugenderinnerungen hoch, die ansonsten verblasst oder verdrängt waren, und mahnten ihn, sich stets seiner Wurzeln eingedenk zu bleiben.
Er war als einziges Kind einer Arbeiterfamilie groß geworden. Seine Eltern hatten sich für ihn aufgeopfert, hatten ihm eine ordentliche Schulbildung ermöglicht, um ihm die Chance zu eröffnen, dem Dunstkreis der kleinen Leute zu entkommen.
Sein Vater, ein Fabrikarbeiter, wenn er denn überhaupt Arbeit hatte, war ein überzeugter Sozialdemokrat, der sich für die Interessen der Arbeiterschaft engagiert und auch als Aktivist in der Gewerkschaft hervorgetan hatte. Sein Standesbewusstsein, Genosse der Arbeiterklasse zu sein, hatte ihn geformt, und er war immer stolz darauf gewesen, ihr anzugehören. Die Vorstellung, mehr zu sein als ein Malocher, hatte nie seiner kleinen Welt entsprochen. Dennoch erhoffte er für seinen einzigen Sohn ein besseres Leben, als ihm selbst beschieden war.
Sein allzu schlichtes Gemüt hatte ihn, und damit begannen seine Probleme, die Zeichen der Zeit nicht erkennen lassen, denn er weigerte sich zu realisieren, dass Sozialdemokraten und Nationalsozialisten nicht dieselbe Sprache sprachen. Lange Zeit hatte auch er an ein neues klassenloses Deutschland unter der Führung eines Mannes aus seiner Gesellschaftsschicht geglaubt, bis ihm klar wurde, dass die neue Führungselite Deutschland in eine Lage hineinsteuerte, die er als überzeugter Pazifist nicht gutheißen konnte. Bei einer Arbeiter-Versammlung wurde er eines Tages in einer Kneipe von einer SA-Schlägergruppe derartig zusammengeprügelt, dass er danach lange Zeit arbeitsunfähig, anschließend nur noch bedingt belastbar war und letztlich sein Leben sogar im Rollstuhl beenden musste.
Cerniks Mutter entstammte einer armen halbjüdischen Familie, die sich so unauffällig wie möglich durchs Leben schlug. Sie war zwar im Rahmen des rassistischen Ausleseprozesses von den Nazibehörden aufs Korn genommen worden, zumal sie als Ehefrau eines fragwürdigen Sozialdemokraten ebenfalls als bedenklich einzustufen war, doch wollte ein gütiger Zufall, dass ihre Akte verlegt wurde. Erst 1944 gelangten ihre Unterlagen durch die Denunziation einer immer noch verblendeten Nachbarin wieder ans Tageslicht. Daraufhin wurde sie noch Ende 1944 in das Konzentrationslager nach Dachau verbracht, wo sie ein halbes Jahr später befreit wurde, von wo sie aber völlig gebrochen heimkehrte und bald darauf verstarb.
Cernik sah immer wieder, so auch jetzt, die großen sprechenden Augen seiner Mutter vor sich, als wollten sie ihn auf etwas Wichtiges hinweisen, wie so oft, wenn er einen Rat benötigte. Er nahm ihre Botschaft brav zur Kenntnis und fühlte sich in seinen Vermutungen bestätigt. Besonders, wenn Dinge die Vergangenheit berührten, erschien sie ihm, als wenn sie noch lebte, und er fühlte, wie ihre von harter Arbeit rauen Hände liebevoll über seinen Kopf streichelten.
Nie hatte er vergessen können, was ihm in seiner Kindheit widerfahren war. Er hielt seine Erinnerungen in Ehren. Trotz der bescheidenen Verhältnisse, in denen er aufgewachsen war, und der Unbilden, die der Krieg mit sich gebracht hatte, war es ihm als ausgesprochen fleißiger und strebsamer Schüler gelungen, die Schule mit dem Abitur abzuschließen. Danach war er zwar noch im letzten Kriegsjahr zur Wehrmacht eingezogen worden, doch schon nach wenigen Tagen in französische Gefangenschaft geraten und nach dem Krieg sofort freigekommen. Sein Leben lang war er seinen Eltern dankbar für ihre Opferbereitschaft, die ihm die Basis für eine Berufslaufbahn nach seinen Wünschen errichtet hatte.
In jungen Jahren schon hatte er sein eigenes Bild von Gerechtigkeit entwickelt und die Berufung verspürt, an der Errichtung einer Welt mitzuarbeiten, in der alle Menschen gleich behandelt werden, ohne Ansehen ihres Standes und Bankkontos, in der Verhältnisse wie in der Nazidiktatur keinen Platz hatten. Als Polizeibeamter glaubte er, am besten der Gerechtigkeit dienen zu können, und hatte demzufolge diesen Berufsweg zielstrebig verfolgt.
Bereits während seiner Ausbildungs- und ersten Berufsjahre war er seinen Vorgesetzten aufgefallen, die seine untrügliche Spürnase, seinen Scharfsinn und seine Arbeitsweise hoch einschätzten. Allerdings erkannten sie auch, dass er wohl zu der ungeliebten Gruppe der einsamen Jäger gezählt werden müsse, deren Erfolge zwar für sich sprechen, die sich jedoch in der Zusammenarbeit nicht immer als bequem erweisen. Sie sollten mit ihrer Einschätzung recht behalten, denn Cernik löste in den vergangenen Jahren erfolgreich eine Reihe durchaus kniffliger Fälle, meistens Gewaltverbrechen, besonders auch solche, die mit der Nazivergangenheit zu tun hatten. So entstand ein unanfechtbarer Nimbus um seine Person, der ihm eine gewisse Narrenfreiheit unter den Ermittlern sicherte.
Bereits mehrmals hatte Cernik Angebote erhalten, ins LKA oder gar BKA überzuwechseln. Zum Teil hatte er auch in Sonderkommissionen