Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe. Peter Urban

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Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe - Peter Urban

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Leichnam des Alchemisten und seinem einfachen Eichensarg dort unten in ihrem Loch und unter der schweren Steinplatte verschwand.

      Der junge Ritter hatte es offenbar geschafft, seinen Dolch in einen etwas größeren Spalt zu zwängen. Sidonius sah genau, wie der Grabschänder sich mit aller Kraft auf die Waffe stemmte und die Platte aus ihrer Verankerung hob. Der Blonde schnaufte schwer vor Anstrengung. Schweißperlen tropften von seiner glatten Stirn über sein hübsches Engelsgesicht hinunter auf den kalten, grauen Boden.

      Der Mann kannte keine Scham. Er stieg in die Gruft hinunter. Bald darauf splitterte Holz. Er musste mit seinem Schwert entweder den Sargdeckel zerschlagen haben oder einen Sprunt an der Seite. Als er nach einer ganzen Weile wieder nach oben kletterte, sah Sidonius, wie der Dieb das Wunderbuch fest gegen seine Brust presste. Ein verklärtes Lächeln lag über seinem Gesicht. Noch bevor er sich wieder daran machte, seinen schändlichen Akt vor den Augen der Welt zu verbergen und die Grabplatte an ihren ursprünglichen Platz zu rücken, küssten seine Lippen das Diebesgut, ganz so als ob es eine schöne Frau wäre.

      Sidonius zog den Hals ein. Es war widerlich. Er hatte während der Beisetzung einen kurzen Blick auf den Einband von Flamels Buch erhascht: Lauter nackte Kreaturen mit Menschenleibern und Tierköpfen waren es gewesen, die ausgesehen hatten, als ob sie tanzten.

      Während der junge Ritter arbeitete und schwitzte, überlegte der Benediktiner was er nun tun sollte. Den Provos von Paris aufsuchen und ihm von der Grabschändung berichten und ihm den Schänder beschreiben? Wen kümmerte es schon in einer Stadt, die man gerade in Schutt und Asche legte, ob da ein wilder Kriegsmann ein Grab schändete. Und gewiss hatten sie den Tanguy de Châtel bereits totgeschlagen. Er war einer der fanatischsten Anhänger des grausamen Armagnac gewesen und außerdem ein übler Schinder, Schlächter und Teufelsanbeter. Nôtre Dame? Der Erzbischof? Bestimmt war der bereits über alle Berge und irgendwo außerhalb der Stadt in Sicherheit. Senlis lag einen Tagesritt von Paris entfernt, genauso, wie Dreux

      Sidonius schüttelte den Kopf. Er war einfach zu leichtgläubig und zu blind: Wenn ein Mann es wagte bewaffnet in ein Gotteshaus einzudringen und kaltblütig ein Grab zu schänden, womit er seine Seele den Feuern der Hölle aussetzte und vor weltlicher Gerichtsbarkeit im besten Fall mit einem schmerzhaften, langsamen Tod rechnen konnte, dann musste der Preis das Risiko wert sein. Dies konnte nur bedeuten, dass sämtliche wilden Gerüchte über das Buch von Meister Flamel Wahrheit waren. Es war ein Zauberbuch, ein Grimoarium, ein magischer Text; vielleicht sogar einer voller schwarzer Magie, genauso wie der, dessen Tanguy de Châtel sich Gerüchten nach bediente, um Nachtens Untote und Spektren zu beschwören, die in seinem Auftrag schändliche Mordtaten an Feinden der Armagnac-Fraktion ausübten.

      Sidonius beschloss, ohne sich noch länger mit Grübeln und wilden Theorien aufzuhalten, diesem blonden Ritter zu folgen und herauszufinden, was er mit dem Teufelsbuch wirklich vorhatte. Falls sich Gelegenheit ergab, würde er es ihm vielleicht wegnehmen und in die Flamelsche Gruft zurückbringen können. Wenn nicht, dann würde er nach Hause nach Cornouailles verschwinden und seinem Herrn Ambrosius Arzhur davon erzählen.

      Ambrosius Arzhur würde genau wissen, was mit einem Teufelsbuch zu tun war. Seine Magie war mächtig. Er entzündete die Bealltainn-Feuer und schenkte seinem Land damit neues Leben, reiche Ernten und einen guten Fang draußen auf dem Meer. Er beherrschte die Elemente, seine Hand heilte und er wusste um die Weisheit und den Weg der alten Götter. Ambrosius Arzhur war der Drouiz Meur. Er stand auf der Seite des Lichtes und hatte stets die dunklen Mächte bekämpft und sein Land und die Kinder von Penn-Ar-Bed beschützt.

      Sidonius trug zwar die schwarze Kutte des Orden des Heiligen Benedikt am Leib, doch unter dem schweren, warmen Wollstoff hatte das Herz von Szenec, dem Sohn von Juizig dem Fischer von Cap-Coz in der Waldbucht direkt vor Concarneau nie aufgehört zu schlagen.

      Leise schlich der junge Mönch im Schutz der Dunkelheit hinter dem blonden Ritter her, der sein schändliches Werk inzwischen erledigt hatte. Da er die Kirche von Saint Jacques verlassen glaubte, bemühte der Blonde sich nicht mehr, leise zu sein. Er achtete lediglich darauf, die großformatige Schrift in ihrem schweren Einband aus Leder und Messing sorgfältig unter seinem weiten Umhang zu verbergen.

      V

      Sidonius hatte keine Zeit verloren. Er war dem Ritter durch die Straßen der Hauptstadt gefolgt, wie ein Schatten. Nachdem er sicher war, dass der Grabschänder nicht sofort aufbrach, sondern sich erst ausruhte, war er zu seiner eigenen Unterkunft zurückgekehrt und hatte seine Habseligkeiten zusammengepackt. Dann war es ihm gelungen, kaltblütig ein kräftiges Pferd zu stehlen. Während die neuen Herren von Paris noch feierten, mordeten, plünderten und brandschatzten, war er im Schutz seiner Ordenskleidung durch die Porte de Clichy verschwunden. Er hatte sich diskret mit dem Pferd zwischen ein paar Büschen verborgen und den Ausgang der Stadt beobachtet. In der Tat war der blonde Dieb bei Sonnenaufgang erschienen. Er ritt einen hübschen, dunkelbraunen Roussin und führte an einem langen Strick ein solides Packpferd auf dem seine Waffen und seine Rüstung verstaut waren.

      Sidonius hatte einen ganzen Tag gebraucht, um sich wieder daran zu erinnern, wie man vernünftig ritt. Die Klosterschule von Sankt Hennebont und die Holzbänke des Collegium Sorbonianum zusammen mit der großzügigen Börse seines Herren Ambrosius von Cornouailles hatten ihn etwas träge und rundlich gemacht. Doch als Kind war er oft zusammen mit seinem Freund Sévran, dem jüngsten Sohn von Ambrosius Arzhur geritten. Als sie noch klein gewesen waren, hatten sie meist einträchtig zusammen auf dem schweren Ackergaul gesessen, der den Wagen seines Vaters zwei Mal in der Woche zum Markt nach Concarneau gezogen hatte. Dann waren sie miteinander durch den Wald bis zur Küste zurückgerannt, um zu spielen, während Meister Juizig und die Mutter den Fang zum Verkauf anboten. Später hatte Sévran ihn auf Finn reiten lassen, dem kleinen, schneeweißen Hengst aus Irland, den er von seiner ältesten Schwester, der Gemahlin des Königs von Thomond geschenkt bekommen hatte. Sévran hatte sich immer durch die Pforte für die Dienstleute aus der Festung weggeschlichen und war durch die Nacht zusammen mit Finn zu ihrer Hütte am Cap Coz gekommen. Sidonius hatte einen Weg übers Dach gefunden, auf dem er der Wachsamkeit seiner Mutter entrinnen konnte, wenn der Vater mit dem Boot auf See war. Und dann waren sie zusammen mit Finn verschwunden…in den Wald hinein oder an die Küste hinunter, wo es einen wunderbaren langen Sandstrand gab, der zum wilden Galoppieren einlud.

      Sidonius schmunzelte: Er war seiner Mutter meist unbemerkt entwischt. Die Gute hatte immer schon einen gesegneten Schlaf gehabt. Doch sein Freund Sévran hatte regelmäßig Schelte von Aodrén Jaouen Kréc’h Elis bezogen, der trotz seines sagenhaften Alters offenbar die Augen einer Eule und die Ohren eines Luchses besaß. Sévran sollte lernen, nicht sich am Strand herumtreiben und Steine übers Wasser springen lassen oder, wie ein Bauernlümmel durch die Nacht streunen. Trotzdem war er jedes Mal zur Stelle gewesen, wenn sie eines ihrer kindlichen Abenteuer verabredet hatten.

      Der blonde Dieb hatte von Paris aus den Weg nach Chartres eingeschlagen. Der Mann schien in schrecklicher Eile zu sein. Er bemerkte nicht einmal dass er verfolgt wurde. Selten suchte der blonde Ritter bei Einbruch der Dunkelheit nach einem Gasthof, in dem er vernünftig ausruhen konnte. Meist stellte er seine Pferde in irgendeiner Scheune unter und schlief selbst im Stroh oder er übernachtete gar unter freiem Himmel. Sidonius dankte dem Allmächtigen für seine Kinder- und Jugendjahre an der rauen Küste von Cornouailles. Saint Hennebont, die Benediktiner und das Studium in Paris hatten ihn zwar etwas füllig gemacht, doch sie hatten ihn weder verweichlicht, noch seine Sinne und Reflexe beraubt: Während der Dieb sich Nachtens regelmäßig mit kümmerlicher Kost und Wasser zufrieden geben musste, fand er immer einen leichtsinnigen Igel oder ein unvorsichtiges Eichhörnchen für eine warme Mahlzeit.

      Als Kind hatte er mit der Mutter oft Beeren und Pilze gesammelt oder manchmal auch Sévran und den gestrengen Aodrén begleiten dürfen, wenn sie Kräuter holten. Der Wald hinter Chartres war trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit noch reich

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