Der Fluch von Azincourt Gesamtausgabe. Peter Urban
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Im Verlauf der Zeit wurde Sidonius waghalsiger. Er folgte dem blonden Dieb dicht auf. Der Mann schien so von seinem Buch besessen, dass er nichts merken wollte. Sie folgten der Eure und Sidonius holte sich Krebse oder fette Forellen aus dem glasklaren Wasser, während der Blonde immer dünner und verklärter wurde. Abends las der Ritter im Schein seines Feuers in Flamels Zauberbuch, bis er vor lauter Müdigkeit einschlief. Er deckte sich nicht einmal zu, sondern schlotterte und zitterte in der Kälte. Nur das Buch presste er im Schlaf fest an die Brust.
Als sie endlich Le Mans erreichten, war der Blonde schließlich so erschöpft, dass er sich zwei Tage Pause in einem Gasthof gönnte. Er musste sein Kriegspferd neu beschlagen lassen und auch das Lasttier hatte ein Eisen verloren.
Sidonius erwischte einen Lehrjungen des Schmieds beim Wickel und überzeugte ihn mittels einiger Kupfermünzen davon, dass es gottgefällig war, Bescheid zu geben, sobald der Ritter weiterzog. Dann kratzte er sich sorgfältig den Bart aus dem Gesicht, zog eine der beiden kostbaren Kutten aus feinster Wolle über, die sein Herr Ambrosius Arzhur ihm zu Anfang des Frühjahres nach Paris geschickt hatte und suchte den Abt des Kapitels von Saint Vincent auf. Während sein Dieb in einem flohverseuchten, schmierigen Gasthof nächtigte, genoss Sidonius den Vorteil das wohlgekleidete Mitglied eines angesehenen Ordens zu sein. Er erzählte seinen Brüdern, das er auf dem Heimweg nach Saint Hennebont in Cornouailles war, hörte mit ihnen die Messe, lies es sich gehörig schmecken und verschwand, als der Lehrling des Schmiedes auftauchte genau so diskret, wie er zuvor gekommen war.
Die nächste Woche führte die beiden Männer zuerst durch einen finsteren, unheimlichen Wald und dann an die Ufer der Sarthe. Irgendwann konnte Sidonius vom Sattel seines Reittieres aus die dunklen Wasser der Loire erkennen. Der Ritter beschleunigte seine Reise. Er rastete nicht einmal mehr bei Anbruch der Dunkelheit, sondern nur noch, wenn seine Pferde nicht mehr weiterkonnten.
Genau einen Monat nach der Grabschändung von Paris senkten zwei bis an die Zähne bewaffnete Männer ihre Lanzen und ließen ihn über eine schwere Zugbrücke den langen Weg hinauf in eine bedrohlich wirkende Festung reiten.
Sidonius war inzwischen der Jagd beinahe überdrüssig geworden. Der Mann hatte von Paris aus die schwierigste Strecke hinunter in die Bretagne ausgewählt, wie einer der keine Ahnung hatte, wo er eigentlich hinwollte. Kein vernünftiger Mensch hätte sich je die Wälder und die Sarthe zugemutet, wo es doch über Alençon eine gute Straße und reichlich saubere Wirtshäuser gab. Sidonius zuckte nur mit den Schultern, wendete sein Pferd und trabte zum nächstliegenden Weiler, um sich zu erkundigen, welche Namen die Festung und ihr stolzer Herr trugen: Er hatte beschlossen noch ein paar Tage Wache zu stehen, um sicher zu sein, das sein blonder Dieb nicht entwischte. Der Weg nach Concarneau war nicht mehr weit. Er würde über Nantes und Vannes reiten.
Kapitel 1 Der Orden von Santiago
I
„Komm, Sévran. Es ist Zeit.“
Der junge Mann seufzte leise, dann erhob er sich von seinem Stein unter der Weide, um Aodrén zu folgen. Am Ufer des Aff blühten kleine, weiße Anemonen. Der Boden war bedeckt von frischem, neuem Gras, von Veilchen und von Waldmeister. Nur ein leiser Lufthauch drang durch die Blätter der Bäume und lies Blütenduft im warmen Wind verwehen. Der wirbelnde Schaum auf dem vom Frühlingsregen geschwollenen Bach sah aus, wie ein weißes Feengewand. Als er sich einen kurzen Augenblick von seinem Lehrer unbeobachtet glaubte, strich Sévran de Carnac sorgfältig das einfache rostbraune Gewand glatt, das er heute vielleicht zum letzten Mal tragen würde. Ein leises Lächeln umspielte seinen schmalen Mund und seine kohlrabenschwarzen Augen leuchteten. Hocherhobenen Hauptes schritt er auf den Steinkreis zu, in dem sie ihn erwarteten. Seine Schultern waren eckig und breit geworden und sein Körper war schlank und wohl bemuskelt. Trotzdem wirkte er auf den ersten Blick immer noch zierlich, wie ein Mädchen.
Sévran überragte seinen Lehrmeister Aodrén Jaouen Kréc’h Elis bereits um einen ganzen Kopf und an die Stelle eines schwächlichen, oftmals kränkelnden Kindes war im Verlauf der letzten drei Jahre im Heiligen Wald von Brocéliande ein zäher, sehniger und sehr selbstbewusster junger Mann getreten, der niemals müde zu werden schien. Als er sich schließlich vor den versammelten Drouiz leicht verbeugte, schenkten Konogan und Hegareg ihm ein aufmunterndes Lächeln. Lediglich Tugdual versuchte ernsthaft dreinzuschauen, doch so ganz gelang ihm die Übung nicht.
Der Sohn des Herzogs von Cornouailles spürte Zuversicht in sich aufsteigen: Unter der uralten Eiche, im Schatten und fast vor den Blicken der anderen verborgen saß Maod’ana. Sie musste sogar noch älter sein, als Aodrén. Üblicherweise bemühte die Bandrouiz sich nicht, wenn es lediglich darum ging zu entscheiden, ob einem jungen Mann das Recht zugesprochen wurde, den Titel eines Anruth zu führen, denn der Weg von Séna - der Ile de Sein- quer durch Cornouailles und Breizh war weit, gefährlich und beschwerlich. Es war eine große Ehre, der steinalten, von Sagen und Legenden umwobenen Hohepriesterin zu begegnen.
Maod'anas schlohweißes Haar verbarg ihr Gesicht, wie ein Schleier. Sie stützte ihre faltige, wettergegerbte Rechte auf die Schulter von Berc’hed, die eines Tages an ihre Stelle treten würde, wenn die Götter beschlossen, die Bandrouiz in die weiße Welt nach Tir na ù Ban zu rufen. Hinter den beiden Frauen stand noch eine Dritte im Schatten der Eiche. Sévran konnte aus der Entfernung ihr Gesicht nicht erkennen und sie schien ihm mehr Schatten, als Wirklichkeit. Im Gegensatz zu Maod’ana und Berc’hed war sie in dunkle Gewänder gehüllt und trug ihr schwarzes, hüftlanges Haar offen. Alles hatte den Anschein, als ob man ihn heute mehr einer Formalität, als einer echten Prüfung unterziehen wollte.
Er spürte, wie Aodrén ihm sanft die Hand auf die Schulter legte. Ohne Worte schien sein Lehrer ihm mitzuteilen, dass alles gut sein würde, am Ende dieses langen Tages. Der junge Mann blickte den Weiße Brüdern, die am Steinring im Hochwald von Brocéliande versammelt waren, um ihr Urteil über ihn zu sprechen fest in die Augen. Er brauchte sich nicht vor ihnen zu fürchten.
Als die feinen Morgennebel zerrissen und eine strahlende Sonne durch das Blätterwerk auf die Gruppe im Steinkreis fiel, hatte Sévran bereits das Schlimmste hinter sich: Aodrén hatte ihn immer dazu antreiben müssen, sich mit den Gesetzen zu beschäftigen und ihre Geschichte auswendig zu lernen.
Als Kind, als er sich noch gequält hatte, eine um die andere die fünf ersten Stufen der Weisheit zu erringen, da war ihm dieses Wissen verglichen mit den Abenteuern der Natur, den Geheimnissen der Gestirne, der Lehre von den Göttern und ihren Kräften und der Präzision der Mathematik immer wie schmückendes Beiwerk vorgekommen, obwohl er niemals den Zauber der Verse geleugnet hatte. Doch in diesem Augenblick, als Tugdual die Arme ausbreitete und der junge Mann im Zentrum des Steinrings auf die Knie fiel, um die Anerkennung der Drouiz für diesen Teil seiner Prüfung zu empfangen, sprach er die traditionellen Worte voller Stolz.
„ Ich weiß, warum die Erle purpurfarben ist,
warum der Hänfling grün ist,
warum die Zweige rot sind,
warum eine Frau nie zur Ruhe kommt,
warum die Nacht hereinbricht...
Ich weiß,
dass der Fuß des weißen Schwanzes schwarz ist,
ich weiß, dass die spitze Lanze vier Kanten hat,
ich weiß, dass