Die Liebesfalle. Peter Splitt
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Zu diesem Zeitpunkt war Mutter noch eine wirkliche Schönheit. Das exotisch wirkende Gesicht, die hohen Wangenknochen, dazu die großen, traurigen Augen, der sanfte Mund und das volle, lange blonde Haar. Allmählich jedoch begann sich das harte und unbarmherzige Leben in ihrem Gesicht widerzuspiegeln. Trotzdem war ich stolz auf sie. Wenn da bloß nicht immer die Prügel wegen des Bettnässens gewesen wären. Für die Männer war Mutter verfügbar. In Wolfersdorf eilte ihr der Ruf voraus, eine leidenschaftliche Bettgefährtin zu sein. Doch ihr Charakter veränderte sich stetig. Sie konnte ohne besonderen Grund aufbrausen und in Wutausbrüche verfallen. Ich litt zunehmend unter ihren Gemütsschwankungen. Daher flüchtete ich mich immer öfter in eine Scheinwelt, erfand neue Freunde und Spielkameraden, die mich weder hänselten noch verspotteten.
Einmal kroch ich aus meinem Bett, schlich hinaus auf den Treppenabsatz und lauschte. Dabei stieß ich unabsichtlich mit meinem großen Zeh gegen die abgestoßene Holztür, die zu Mutters Kammer führte. Die Tür ging auf, und ich sah einen Mann ohne Kleider vor der Lampe stehen. Sein Ding stand heraus, rot und hart. Schnell legte ich eine Hand auf meinen Mund, um ein Kichern zu unterdrücken, so lächerlich sah der Mann aus. Und dann sah ich Mutter, die ebenfalls keine Kleider anhatte. Sie machte Paarung mit dem Mann, wie die Hunde auf der Gasse und die Katzen im Garten, oder auch die anderen Tiere aus dem Buch, das ich mir immer wieder anschaute.
Mein Bettnässen wurde langsam zu einem ernsten Problem. Immer öfter geriet ich deswegen mit Mutter in einen heftigen Streit.
„Ich steck dich in ein Heim, wenn das so weitergeht“, bekam ich zu hören. „Du bist doch bald ein großes Mädchen. Sieh nur zu, dass du dich auch dementsprechend benimmst.“
Aber ich wollte mich nicht benehmen, sah keine Notwendigkeit. Und dann kam der Tag, der mein noch so junges Leben von einem Augenblick zum anderen verändern sollte. Der Tag, an dem Mutter beschloss, mich in ein Heim zu stecken.
Er begann trüb und grau. Mutter kam in mein Zimmer, packte ein paar meiner Anziehsachen in einen alten Koffer und holte mich aus meinem Bett. In diesem Moment erstarrte ich zu Eis, alles in meinem Kopf begann sich zu drehen, während ich verzweifelt einzuordnen versuchte, was mit mir geschah. Frühstück bekam ich keins, ich wurde direkt zu dem Wagen des Nachbarn gebracht. Ich wusste immer noch nicht, wie mir geschah. Auf einmal saß ich in dem Wartburg von Herrn Schulze, wollte die Tür öffnen und Mutter fragen, ob es wirklich angehen konnte, dass sie mit ihrer Drohung ernst machte. Und tatsächlich drückte ich noch den Hebel nach unten und versuchte, die Wagentür zu öffnen, nur um ihr diese eine Frage zu stellen. Doch Mutter war nicht mehr da, und der Wartburg fuhr los.
Ich zögerte, hineinzugehen, blickte mich nach allen Seiten um. Erst, als ich mir vollkommen sicher war, dass hier niemand herumirrte, drückte ich meinen Arm gegen die schief hängende Tür. Sie gab sofort nach, ließ sich einen Spaltbreit öffnen. Das genügte mir, um hindurch zu schlüpfen. Dabei hielt ich inne. Die Erinnerungen an damals waren übermächtig.
August 1968
Das große Tor öffnete sich, und ich stand einfach nur da, mit einem alten Koffer in den Händen. Umgeben von hohen Mauern und Stacheldraht, dachte ich: Dies ist ein Gefängnis für Kinder, hier komme ich so schnell nicht wieder raus.
Ich trat zögerlich einen Schritt nach vorn. Jemand kam mir entgegen, schickte mich auf den Flur. Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Meine fragile Blase verlangte dringend nach einer Toilette, aber hier war keine. Endlich kam eine Erzieherin. Sie trug eine Uniform. Ich wollte sie fragen, wo sich die Toilette befand, bekam aber keine Antwort. Stattdessen schrie mich die streng dreinblickende Dame an und meinte, ich solle mich an eine Wand stellen. Eingeschüchtert, wie ich war, tat ich, was sie verlangte. Dabei kniff ich die Beine zusammen und stammelte einen undeutlichen Satz vor mich hin. „Aber ich wollte doch nur … ich meine, ich muss dringend auf die Toilette.“
Statt zu antworten, schlug die Erzieherin zu. Mit einem Bambusstock auf meinen Rücken. Ich klappte zusammen. Die Erzieherin hob abermals den Stock und schlug mich erneut. Und ein drittes Mal. Ich zitterte am ganzen Leib. Dabei spürte ich, dass ich nicht mehr einhalten konnte. Meine Notdurft lief in die Hose und auf den gebohnerten Fußboden. Dafür hagelte es weitere Schläge. Und damit war noch lange nicht Schluss. Die Erzieherin zog eine Schere aus der linken Uniformtasche, drückte mich brutal nach unten und schnitt mir die Haare ab. In Sekundenschnelle lagen meine schönen blonden Locken auf dem Boden – in meinem eigenen Urin. Und der Albtraum ging weiter. Ein männlicher Erzieher brachte mich in den Waschraum. So lief das hier. Die männlichen Erzieher kümmerten sich um die Mädchen und die weiblichen um die Jungs. Das war eine Frage der Würde. Sie sollte uns Neuankömmlingen genommen werden.
Der Waschraum war feucht und kalt. Ich fror und musste mich auch noch vor dem fremden Mann entkleiden. Ich wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken. Der Mann schmierte mich mit einem groben Scheuermittel ein und steckte mich unter die kalte Dusche. Anschließend rieb und tastete er meinen kleinen, jungen Körper ab, ehe er mich in eine Zelle steckte. Ich fühlte mich hundeelend und trotz der Behandlung mit dem Scheuermittel schmutzig. Mein Körper brannte und schmerzte, und ich war allein. Alleingelassen von meiner Mutter, von meiner Schwester, von der ganzen Welt. Dazu befand ich mich in einer Hölle, die sich Spezialheim nannte. Was hatte ich nur verbrochen, dass man mich derart bestrafte?
Nach einer Ewigkeit öffnete sich die Tür.
Vielleicht brachte man mir endlich etwas zu essen?
Weit gefehlt.
Vor mir stand derselbe Mann, der mich vorhin gesäubert und abgetastet hatte. „Meldung machen!“, verlangte er von mir.
Ich verstand nicht sofort, was er wollte. „Wie, Meldung machen?“, fragte ich vorsichtig.
„Ich denke, du solltest bereits wissen, was das ist“, antwortete der Mann barsch.
„Ich weiß nur, dass ich wissen wollte, wo sich die Toilette befindet und dafür Schläge bekommen habe“, erwiderte ich kleinlaut.
Die Antwort darauf kam prompt und beinhart.
„Hier wird nicht gefragt! Du hast zu warten, bis du Anweisungen von den Erziehern bekommst! Du gehörst zum ‚Strandgut der Gesellschaft‘. Du bist hier, um zu lernen, Anweisungen zu befolgen, dich ein- und unterzuordnen!“
Ich sank auf die harte Matratze und fing an zu weinen.
Wo war ich? Was passierte mit mir?
Bald darauf wusste ich es. Ich war in einer Disziplinierungseinrichtung gelandet, in der man mich fertigmachen und meinen Widerstand brechen wollte. Sowohl psychisch als auch körperlich. Und das alles zum Zweck der Umerziehung zu einer ‚sozialistischen Persönlichkeit‘.
Ich betrat den Gang, fragte mich, ob es nicht besser wäre, umzukehren. Der Gang war dunkel und roch nach Feuchtigkeit. Linker Hand befand sich der sogenannte Empfang. Hier hatte ich damals Meldung machen müssen, nachdem mich der Erzieher unsanft von der Matratze gestoßen hatte. Hier waren meine Daten aufgenommen worden.
Die Tür war morsch und stand halb offen. Ich stieß mit meiner Stiefelette dagegen. Sie öffnete sich sofort. Im Inneren des Raumes lag ein umgekippter Stuhl. Sein Metallrahmen war verrostet. Das Holzregal, in dem damals die Akten standen, lag zertrümmert