Regen am Nil. Rainer Kilian
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Senenmut versuchte durch die Menge voranzukommen, aber niemand ließ ihn durch. Er schrie die Soldaten an, aber die zeigten nur achselzuckend zum Palast. Er hastete in den Innenhof zum Hauptportal des Palastes. Aber, anders als sonst, verwehrten ihm die Wachen des Palastes den Eingang. Er stieß die verdutzten Wächter zur Seite und rannte durch den langen Flur in die große Halle. Er riss die schweren, mit Bronze beschlagenen Türen auf. Hilfe suchend blickte er sich um, sah aber zunächst niemanden.
„Wer bist du, dass du es wagst, hier einzudringen?“ Schroff erklang eine Stimme von der Terrasse. Die Wachen hatten ihn eingeholt und zwangen ihn in die Knie. In seinen Augenwinkeln sah er einen schmächtigen Mann auf sich zu treten. Er war in golddurchwirkte Gewänder gekleidet und trug ein Kopftuch mit einem Stirnreif, der mit der Uräusschlange und dem Geier verziert war. Senenmut ahnte, wem er da in die Arme gelaufen war. Es konnte nur Thutmosis sein.
„Herr, ich bin der Verwalter der Kornkammern. Ihr habt den Befehl gegeben, die Verräter zu töten. Bitte hört auf damit!“ Thutmosis zog sein Schwert und schob damit Senenmuts Kopf nach oben.
„Du bist Senenmut, nicht wahr? Ich habe von dem Brand der Kornkammern gehört. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich dich sofort hinrichten lassen.“ Der Druck an Senenmuts Hals erhöhte sich. Er spürte, wie die Narbe, die von Imen-Re stammte, aufriss und blutete.
„Lass ihn sofort los!“, donnerte Hatschepsuts Stimme durch den Raum. Thutmosis zuckte zusammen. Senenmut fürchtete eine unbedachte Bewegung des Schwertes, erleichtert stellte er fest, dass Thutmosis es sinken ließ. Er sah die Furcht in Hatschepsuts Augen.
„Ich bringe diesem Flegel bei, was es heißt, den Befehl des zukünftigen Pharaos zu missachten!“
„Lass ihn sprechen!“, befahl Hatschepsut. „Noch bist du kein Pharao, und ich habe ihn beauftragt, nach den Verrätern zu suchen!“
Thutmosis lief rot an vor Wut, aber ein Hustenanfall verhinderte, dass er etwas sagen konnte. Senenmut nutzte die Gunst und klärte Hatschepsut auf.
„Beendet die Hinrichtungen sofort!“, schickte sie die Wachen los. Senenmut war erleichtert. Jetzt erst konnte er Thutmosis genauer sehen. Er war schmal und sah krank aus. Narben und entzündete Pusteln verunstalteten sein Gesicht. Er hielt sich ein Tuch vor den Mund. Senenmut sah, dass es blutige Flecken hatte. Er senkte sofort den Blick, als Thutmosis bemerkte, dass er ihn anstarrte.
„Geh jetzt und such den Verräter unter den Gefangenen aus. Wenn ihr ihn gefunden habt, sollen die anderen als Sklaven in die Silberbergwerke geschickt werden“, sprach Hatschepsut zu ihm.
„Ja, Herrin.“ Senenmut verneigte sich vor ihr und eilte aus dem Saal. Kaum dass er den Raum verlassen hatte, hörte er die wütenden Stimmen der beiden, unterbrochen von den Hustenanfällen des Thutmosis. Draußen wartete der Offizier auf ihn. „Wir haben den Beamten der Kornkammern, Herr!“ Senenmut war beruhigt.
„Bringt ihn in eine Zelle und sorgt dafür, dass er am Leben bleibt!“ Die Menge vor dem Palast hatte sich wütend zerstreut, nachdem klar war, dass das Schauspiel vorbei war. Der Richtblock war triefend von Blut. Senenmut stieg der Geruch der Getöteten in die Nase. Sklaven schleppten sie in den Nil, als Festessen für die Krokodile. Blitzartig schoss Senenmut das Bild des Schlachtfeldes in Mitanni in den Kopf. Angewidert wandte er sich ab.
Sorgenvoll ging er in sein Haus. Die Nacht war schon lange hereingebrochen. Senenmut setzte sich im Dunkeln auf die flache Dachterrasse und starrte in die Sterne. Er wusste, dass er nichts dagegen tun konnte, wenn es den Göttern gefallen sollte, dass dieser Mann als ein neuer Pharao über Ägypten herrschen würde. Blut würde wieder fließen, und diesmal würde es das Blut Ägyptens sein.
Assistent wider Willen
Ich weiß nicht, wie lange ich am Strand gesessen war und ihr nachstarrte. Meine Gedanken versuchten, die Gegenwart zu ergründen. Eine Hand klatschte auf meine Schulter. Schmerzhaft registrierte ich, dass ich mit dem Eincremen von Sonnenschutz etwas schlampig umgegangen war.
„Mach den Mund zu!“ Ralf war zurückgekehrt. „Ich sehe, du warst geschäftstüchtig. Danke erst mal. Als Lohn lade ich dich zu einer Runde Wasserski ein.“
Ich war wohl immer noch mit meinen Gedanken auf dem Wasser. „Du kennst Melina?“, wollte er wissen.
„Ja, ich kenne sie. Das heißt, eigentlich nicht. Aber sie erinnert mich an eine gute Bekannte.“
„Du Glücklicher! So eine Bekannte hätte ich auch gerne“, schwärmte er. „Aber bei Melina kannst du es vergessen. Sie kommt zweimal im Jahr und besucht ihre Familie. Natürlich auch zum Inselfest. Und ansonsten kennt sie nur ihre Arbeit.“
„Ja, solche Menschen gibt es“, erkannte ich.
„Und die verbummeln ihre schönsten Jahre mit Arbeit“, seufzte Ralf tief und folgte meinem Blick auf Melina, die gekonnt in der Bucht hin und her schoss.
Das mit den Fähren war ihr wohl bekannt. Als wieder eine in die Bucht fuhr, kam sie behände ans rettende Ufer zurück. Je näher sie kam, um so mehr verblüffte mich ihre Erscheinung. Eine sportliche, wundervolle Figur, die von einem passenden Badeanzug betont wurde. Lange, dunkle Haare. Und dann das Gesicht! Der Mund, die Nase, die Augen, wie aus einem Traum, aus meinem Traum.
Sie registrierte in diesem Augenblick, dass ich sie angestarrt hatte. Kommentarlos drückte sie mir das Board in die Hände und sah mich aus diesen großen, dunklen Augen an. Doch sofort drehte sie sich zu Ralf um und begrüßte ihn mit einem dicken Schmatzer. Plaudernd zog sie ihn zurück in den Schatten der Surfstation, während ich das Surfbrett hinter ihnen her schleppte. Selten war ich mir dämlicher vorgekommen. Ich stand einen Moment dabei und wartete, aber Ralf war wohl ebenfalls so abgelenkt, dass auch er mich nicht mehr registrierte. Mit einem leichten Grummeln im Bauch nahm ich meine Sachen auf und verdrückte mich an einen anderen Strandabschnitt. Bis die untergehende Sonne den Abend einleitete, blieb ich dort und ärgerte mich über dieses arrogante Weib.
Das Verhör
Senenmut war lange auf der Terrasse seines Hauses gesessen und hatte sich Gedanken gemacht über die Zukunft. Wenn der junge Thutmosis Pharao werden würde, kämen schwierige Zeiten auf Ägypten zu. Es war offensichtlich, dass er seinen schwächlichen Körper hinter einer despotischen Hand zu verbergen suchte. Kaum war er alleine in Theben, schon fühlte er sich als Herrscher. Die Hinrichtungen sollten wohl seine Stärke demonstrieren. Dabei wäre es wichtiger gewesen, die Verräter zu finden, die noch unter ihnen waren.
Erst spät in der Nacht hatte Senenmut Schlaf gefunden. Doch mit dem ersten Schrei der Hähne erhob er sich wieder. Er verrichtete sein Morgengebet und ging direkt ins Lager der Soldaten. Er fand den Offizier Hatschepsuts und dieser führte ihn direkt in den Raum, in dem sich der gefangene Beamte der Kornverwaltung befand. Offensichtlich hatte man schon mit dem „Verhör“ begonnen.
„Wir haben ihn schon befragt, Herr“, fügte der Offizier erklärend hinzu.
„Das sehe ich.“ Der Gefangene war übersät mit Wunden und Verbrennungen. Mit dem Gesicht nach unten war er mit seinen Armen und Beinen an Lederbänder gefesselt, die von der Decke herabreichten. So hing er mit grotesk durchgedrücktem Rücken frei schwebend neben einem Kessel mit glühenden Kohlen, den man zur „Befragung“ direkt darunter stellen konnte.
„Wir