Regen am Nil. Rainer Kilian
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„Und jetzt räumt hier auf! Und seid gewiss, dass ich dem Pharao Bericht erstatte, wenn Ihr meinem Verwalter nicht gehorcht.“
„Ja, Herr. Ich stehe in deiner Schuld“, stammelte der Soldat verlegen.
Senenmut ging ins Verwaltungsgebäude und widmete sich den Aufzeichnungen. Er konnte von draußen die Stimme Chep-Ras vernehmen, dem es alle Freude der Erde bereitete, die Soldaten zu kommandieren. Schon nach kurzer Zeit brachten ihm andere Sklaven die Papyrusrollen mit den Aufzeichnungen. Den ganzen Tag lang folgte nun eine Kornlieferung nach der anderen. Langsam befürchtete Senenmut, dass die Lager voll seien, aber die neuen Kornspeicher erwiesen sich als sehr geräumig. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn trotzdem. Er rief Chep-Ra zu sich.
„Ich will wissen, ob das nubische Korn essbar ist!“ Chep-Ra blieb gelassen.
„Das habe ich auch bedacht, Herr. Ich habe zuerst den nubischen Sklaven davon zu essen gegeben. Wenn sie es vergiftet haben sollten, werden die Götter sie strafen.“
Senenmut war beruhigt. „Du hast meine Gedanken erraten, Chep-Ra. Du hast dir deine Freiheit verdient. Woher hast du den Faustkampf gelernt?“
„Von dem Sohn des minoischen Gesandten. Wir haben als Kinder zusammen gespielt. Aber Ihr versteht dagegen etwas davon, das Schwert zu führen, Herr. Der Soldat wäre jetzt bei Osiris ohne Euch.“
„Danke für dein Kompliment. Aber woher hast du den Sohn des minoischen Gesandten kennengelernt?“
„Wir haben uns als Kinder am Nilufer getroffen. Er ist plötzlich aus dem Papyrus aufgetaucht wie Sobek, der Nilgott. Er hat mir einen geheimen Gang gezeigt, aus dem er kam. Er endet im Palast!“ Senenmut staunte nicht schlecht. Scheinbar war der Geheimgang doch nicht so geheim.
Ihr Gespräch wurde von einem Diener aus dem Palast unterbrochen.
„Herr, ich habe frohe Botschaft für Euch. Unser aller Herr, der von den Göttern gesegnete Pharao Thutmosis, lädt dich zu einem Fest im Hof des Palastes heute Abend. Wir wollen den Sieg gebührend feiern.“ Mit einer tiefen Verbeugung entfernte er sich wieder. Senenmut war geehrt, an den Hof geladen zu sein. Es war das erste Mal. Rasch vollendete er sein Tagwerk und eilte in den Tempel, um sein Abendgebet zu verrichten. Danach ging er nach Hause, um sich zu waschen. Vor dem Eingang des Hauses wartete Inet, die Amme auf ihn. Sie drückte ihm ein großes, mit Leinen umwickeltes Bündel in die Hand.
„Meine Herrin schickt dir dies, mit Grüßen von ihr!“, erklärte sie geheimnisvoll und war schon wieder enteilt. Neugierig öffnete er es sofort, nachdem er die Tür verriegelt hatte. Ein kostbares, fein plissiertes Gewand kam zum Vorschein. Seine Farbe war strahlend weiß. Es war eine besondere Kunst in Ägypten, den Stoff so aufzuhellen, dass er fast leuchtete. Die Ränder und Säume waren dagegen mit Tiermotiven verziert, die aus farbigem Stoff und Perlen geschaffen waren. Die größte Überraschung aber war ein Halskragen, der im Stoff eingewickelt war. Er bedeckte die ganze Schulter sowie die Brust und war aus Gold und kostbaren Steinen hergestellt. Sie leuchteten in allen Farben um die Wette. Senenmut schlüpfte rasch in das Gewand, nachdem er sich gereinigt hatte, und legte den Halsschmuck an. Das Armband, das ihm der Pharao geschenkt hatte, trug er ebenfalls. Dann ging er voller Stolz zum Hof des Pharaos.
Schon von Weitem konnte er die Stimmen der Feiernden hören. Sie mischten sich mit den Instrumenten, die in hellen Tönen die Freuden des Sieges priesen. Der Innenhof des Palastes war erhellt von Fackelschein und war zum Bersten gefüllt mit den Festgästen, die aus allen Teilen des Reiches gekommen waren, um Thutmosis zu huldigen. Tänzer führten ihre mystischen Riten auf, die in den Sagen des alten Reiches ihren Ursprung hatten. Auf riesigen Feuerstätten wurden ganze Ochsen am Spieß gedreht. Der Duft des gebratenen Fleisches drang in Senenmuts Nase und machte Appetit auf mehr. Sklaven bedienten die Gäste und kamen kaum mit dem Füllen der Weinpokale nach. Gaukler und Artisten boten Kurzweil und vertrieben die Zeit, bis jeder etwas zu essen hatte.
„Seht hierher, Herr!“, wurde Senenmut von einem Magier abgelenkt. Er hielt Senenmut am Arm fest und deutete mit der anderen Hand nach oben. Eine weiße Taube flatterte plötzlich in seiner Hand und erhob sich in die Luft. Alle Umstehenden klatschten begeistert Applaus. Senenmut wollte weitergehen, aber der Magier hielt ihn fest.
„Wo ist denn dieses schöne Armband geblieben?“, fragte ihn der Zauberer. Senenmut erschrak und merkte, dass sein Arm leer war.
„Was habt ihr da?“ Schneller als er etwas sagen konnte, griff ihm der Zauberer hinter das Ohr und hielt das Armband in der Hand. Die Zuschauer johlten begeistert. Senenmut fand es alles andere als witzig. Wenn das Armband verloren gewesen wäre, hätte er sich zu Tode geschämt. Er hätte niemals dem Pharao wieder unter die Augen treten können. Verärgert entriss er dem Magier das Armband und legte es wieder um. Er würde diesen Kerl nicht mehr zu nahe an sich heranlassen.
Aber seine gute Laune wollte er sich auch nicht verderben lassen. Er nahm einen gereichten Weinpokal und nippte daran. Herrlich kühl war er. Sklaven verteilten kleine Miniaturamphoren mit kostbaren Düften, die aus verschiedenen Ölen bestanden.
„Nehmt dieses Parfum, Herr. Er führt Euch zu den Göttern!“ Senenmut bediente sich und nahm eine Amphore. Er musste an die Lotosfrauen denken und schmunzelte. Er hielt Ausschau nach der königlichen Familie. Aber niemand war zu sehen. Wahrscheinlich feierten sie im Palast und würden erst später nach außen in den Hof kommen. Auf der oberen Terrasse vor dem Haupttor war auf jeden Fall ein breiter Tisch gedeckt, der mit Gold und Edelsteinen geschmückt war.
Senenmut musste sich erst an die reiche Pracht gewöhnen, aber es gefiel ihm sehr bei Hofe. All die interessanten Menschen, die sich hier eingefunden hatten. Die Bewohner der Hauptstadt mischten sich mit den Besuchern aus allen Provinzen des Reiches. Hohe Offiziere aus Memphis in ihren prachtvollen Uniformen. Adlige aus dem Delta mit ihren Familien. Dunkelhäutige Fürsten aus Nubien, die sich als treue Verbündete des Pharaos erwiesen hatten. Statthalter aus Mitanni, deren Gesichtszüge sich deutlich von denen der Ägypter unterschieden. Auch Gesandte aus dem Norden, jenseits des ägyptischen Machtbereiches, konnte Senenmut ausmachen. Das schienen die minoischen Gesandten zu sein, von denen Chep-Ra bereits berichtet hatte.
Senenmut erkannte Hapuseneb unter ihnen. Er war im Gespräch mit einem hochgewachsenen Mann, der mindestens zwei Köpfe größer war als alle anderen Anwesenden. Hapuseneb erkannte ihn ebenfalls und winkte ihn herbei.
„Senenmut, komm zu uns. Darf ich dir einen guten Freund Ägyptens vorstellen? Der Sohn des minoischen Gesandten, Alexandros aus Knossos.“ Der Minoer reichte Senenmut die Hand. Sein Händedruck war fest und stark.
„Ich freue mich, dich kennenzulernen. Die Götter mögen dich segnen, Alexandros!“ Er trug einen Bart, was in Ägypten absolut ungewöhnlich war und Senenmuts Neugier erregte. Noch dazu diese hünenhafte Gestalt. Er war in strahlend weiße Gewänder gekleidet, die seine muskulöse Gestalt betonten. Er trug eine goldene Kette mit einem Fisch auf seiner breiten Brust. Senenmut hatte so etwas noch nie gesehen.
„Auch ich bin erfreut, dich zu sehen. Ich habe vieles von dir gehört. Chep-Ra hat mir in den höchsten Tönen von dir erzählt!“ Seine Stimme war voll und dunkel. Ein Lächeln prägte seine Züge.
„Lasst uns etwas zu essen nehmen!“, forderte Hapuseneb sie auf. Sie nahmen an einer Tafel ihren Platz ein, die sich vor raffinierten Speisen bog. Gemüse und Fleisch aller Art, Früchte und exotische Getränke.
„Lang lebe der Pharao!“ Alexandros hob seinen Pokal. „Lang lebe