Regen am Nil. Rainer Kilian
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„Ich habe noch nie einen solchen gesehen! Warum hat er nicht einen Löwen oder etwas Ähnliches als Wappentier?“
„Weil es bei uns keine Löwen gibt! Aber der Delfin ist ein ungewöhnliches Tier. Er gebärt seine Jungen lebend, so wie wir Menschen. Und wenn wir über das Meer fahren, begleiten die Delfine unsere Schiffe. Es sind sogar schon Männer gerettet worden, die im Sturm gekentert sind. Sie wären ertrunken, aber Delfine brachten sie an Land. Wir glauben, dass sie so wie wir Menschen Verstand haben.“ Senenmut bekam seinen Mund nicht zu. Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie Fische ihre Jungen bekommen. Für ihn war es so, dass die Götter die Fische den Menschen geschickt hatten. Und die Geschichten über die Errettung von Schiffbrüchigen waren gewiss erfunden. Aber er war zu höflich, um es anzuzweifeln.
„Wie gefällt es dir in Ägypten?“, wechselte er das Thema.
„Ich bin schon fast ein Ägypter! Mein Vater hat mich als kleinen Jungen mit auf die Reise nach Ägypten genommen. Meine Familie stammt von einer Insel, die sie früher „Kalliste“ nannten. Sie wurde durch einen Vulkanausbruch zerstört.“
Senenmut kam sich etwas dumm vor. Aber er war zu neugierig und hing an den Lippen des Minoers. „Was ist ein Vulkanausbruch?“
„Ein Feuer spuckender Berg! Er speit flüssige Steine und Asche. Er hat die Insel zerstört. Nur ein schmaler Rand der Insel ist geblieben. Der Rest ist im Meer versunken. Aber die Bewohner der Insel konnten sich alle retten. So kamen wir nach Knossos und fanden eine neue Heimat.“ Senenmut glaubte ihm kein Wort. Aber es war faszinierend.
„Auch wir haben unser Mythen in Ägypten. Du wirst sie kennen?“, prüfte er ihn.
„Natürlich. Wir haben unsere Götter. Und wenn man sie vergleicht, sind sie sich sehr ähnlich.“
„Aber unsere Berge spucken kein Feuer!“, entgegnete er ihm.
„Das ist der Gott Hephaistos. Er ist der Hüter des Feuers! Er kann Steine schmelzen.“
Senenmut wusste nicht, ob er einen Schwindler vor sich hatte oder einen Märchenerzähler. Aber wenn es nur einen wahren Kern daran gab, würde er gerne dieses Land kennenlernen.
„Du musst mir bei Gelegenheit mehr von deinem Land erzählen.“
„Gerne, Senenmut. Ich wollte auch morgen bei den Kornspeichern vorbei sehen, um meinen alten Freund Chep-Ra zu begrüßen. Und die neuen Kornspeicher will ich auch sehen.“
„Das ehrt mich, Alexandros. Aber jetzt lass uns trinken!“ Senenmut hob seinen Pokal und prostete ihm zu. Alexandros hob den Pokal.
Fanfaren unterbrachen ihre Unterhaltung. Die Gespräche verstummten und alles blickte auf die Treppe zum Palast. Dort verkündeten die Fanfaren das Erscheinen der königlichen Familie. Alle erhoben sich von den Plätzen. Die breiten Türen wurden geöffnet. Der Hofstaat trat hinaus und machte Platz für den Pharao. Sklaven mit goldenen Lanzen gingen voran. Ein Zeremonienmeister verkündete das Erscheinen.
„Der Sohn des Horus! Der lebende Gott auf Erden! Der Herrscher des roten und des schwarzen Landes! Kniet nieder vor dem Eroberer, dem Einiger der beiden Länder!“ Trommeln und Sistren steigerten die Geräuschkulisse und die Untertanen knieten nieder. Der Pharao trat ins Freie, gefolgt von seinem Sohn Thutmosis und Hatschepsut. Senenmut traf ihr Anblick mitten ins Herz. Ihr Anblick überstrahlte alles Gold des Hofes. Er konnte seinen Blick nicht von ihr wenden.
Die Familie des Pharaos nahm Platz an der gedeckten Tafel. Der Pharao und sein Sohn schienen sehr glücklich zu sein. Aber Hatschepsut schien merkwürdig gedrückt. Ihre Blicke suchten ihn. Als sie ihn erblickte, waren ihre Augen fast flehentlich. Die Festgäste jubelten dem göttlichen Herrscher zu, aber Senenmut hatte ein ungutes Gefühl. Die Menge schien sich kaum zu beruhigen.
„Heil dir, Pharao! Heil dir, Thutmosis!“, schrien alle in Ekstase. Thutmosis senkte mit einer beruhigenden Geste beide Arme und gebot, zu schweigen. Alles verstummte und wartete auf die Rede des Pharaos.
„Bewohner von Theben! Volk von Ägypten! Gäste aus allen Provinzen! Freunde und Verbündete Ägyptens! Wir haben einen glanzvollen Sieg errungen. Die Götter waren mit uns. Amun hat uns geholfen, die Maat wieder zu festigen!“ Alle jubelten erneut. „Amun! Amun!“
„Es war sein Wille, uns den Sieg zu schenken! Höret meine Worte! Es soll zum Jubel und Gedenken an den heutigen Tag Folgendes verkündet sein: Ich habe beschlossen, meinen Sohn als meinen Nachfolger zu erwählen. Und er wird eine starke Frau au seiner Seite haben. Die göttliche Linie der Pharaonen wird gesichert sein. Es ist der Wille der Götter, den ich hiermit verkünde! Er soll einst Herrscher über das rote und schwarze Land sein. Und wenn er die Krone der beiden Länder trägt, sollen ihm viele starke Nachkommen geboren werden. Ich gebe ihm mit dem heutigen Tag meine geliebte Tochter Hatschepsut zur Frau!“
Senenmut gefror das Blut in den Adern. Er starrte entsetzt auf die Szene, die in dem frenetischen Jubel des Volkes unterging. Er musste sich am Tisch festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er suchte den Blick von Hatschepsut, aber sie blickte aus leeren Augen in die Menge. Darum hatte sie so verzweifelt ausgesehen! Sie lächelte verkrampft und sah zur Mauer gegenüber. Wie von Weitem hörte er Alexandros sprechen.
„Ein weiser Entschluss von Thutmosis. Er hat die pharaonische Linie erhalten. Die Götter haben es so gewollt.“ Senenmut hielt es nicht länger aus und versuchte dem grausamen Anblick zu entfliehen. Sie war so nah und doch nun für immer unerreichbar. Er murmelte eine Entschuldigung und entfernte sich aus dem Innenhof des Palastes. Ziellos floh er zum Ufer des Nils.
Tränen der Verzweiflung standen in seinen Augen. Mitten in seinem größten Glück schien ihn dieses Unglück zu überfallen. Er sank kraftlos am Schilf nieder und setzte sich verzweifelt in den Ufersand. Er fühlte sich, als stürze er ins Bodenlose.
Ihr Bild war in sein Herz unauslöschlich eingebrannt. Nie würde er jemanden anders lieben können als sie. Wie sollte er nur ohne sie leben können? Der Schmerz war so groß. Es wollte sein Herz zerreißen. Alle Momente, die sie gemeinsam erlebt hatten, zogen an ihm vorbei. Ihre Augen, ihr Gesicht so nah an seinem. Der Duft ihrer Haare und ihres Körpers. Ihre Zärtlichkeit, ihre Stimme, wenn sie ihm Worte ins Ohr flüsterte, die nur für ihn bestimmt waren. Die Momente, wenn sie zusammen lachten. Die Nächte voller Liebe. Sie in den Armen zu halten, sollte es nie mehr sein? Das konnte nicht der Wille der Götter sein, sonst hätten sie es nicht zugelassen, dass sie sich so nah gekommen waren. Sie hatten sie zusammen geführt und sich etwas dabei gedacht, davon war er überzeugt.
„Gebt sie mir zurück, ich bitte euch um nichts anderes!“, flehte er die Sterne an. „Mein Leben hat keinen Sinn, wenn ich sie nicht mehr in den Armen halten kann. Ich bin nichts ohne sie!“
Aber die Götter gaben ihm keine Antwort. Nur das undeutliche Geräusch der feiernden Menschen drang zu ihm aus dem Palast herüber. Er starrte auf die Fluten des Nils, der träge vorüberfloss. Er dachte daran, sich einfach hineinzustürzen. Das sollte das Ende ihrer Liebe sein? Die Maat wollte es so. Und er war so erzogen wie alle Ägypter, dem Willen des Pharaos zu folgen, dem Horus, dem leibhaftigen Gott.
Ein Rascheln im Schilf schreckte ihn auf. Ein Krokodil? Ein Licht erschien, das von einer Öllampe gespeist wurde. Ein Geist? Jetzt war es Senenmut bewusst, dass er in der Nähe des geheimen Ganges war. Er verbarg sich hinter einem dichten Strauch Papyrus und beobachtete eine Gestalt, die sich vorwärts tastete. Im Schein der Lampe erkannte er ein Gesicht.
„Hatschepsut!