Regen am Nil. Rainer Kilian

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Regen am Nil - Rainer Kilian

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heran. Der Offizier riss ihm den Kopf an den Haaren nach oben.

      „Du kanntest den Vater von Chep-Ra?“, begann Senenmut. Der Gefangene blieb stumm. Senenmut ließ nicht locker. „Er wurde ermordet. Der Sohn von Nef-Sobek hat als Täter einen Soldaten ermittelt, der im Nil ertrunken ist. Ist das die Wahrheit?“

      Statt einer Antwort spuckte er Senenmut ins Gesicht. Der Offizier nahm ein großes, glühendes Kohlestück mit einer Zange aus dem Kessel und drückte sie dem Beamten auf den Rücken. Das Zischen wurde von den Schmerzensschreien übertönt. Der Geruch von verbranntem Fleisch zog den Anwesenden in die Nase. Senenmut verdrängte die aufsteigende Übelkeit und fragte weiter.

      „Was weißt du noch darüber?“

      „Nef-Sobeks Söhne selber waren es!“, röchelte der Gefangene. „Der alte Verwalter der Kornkammern war ihm im Weg.“

      „... Er starb an einem Skorpionsbiss ...“, dachte der Offizier laut nach. „Kurz, nachdem der Mord geschah.“

      „Die Söhne brachten den Skorpion in die Kornkammer!“, erkannte Senenmut. „Ja, Herr“, ächzte der Beamte. „Der Soldat und Nef-Sobeks Vater haben uns beobachtet. Deshalb mussten sie sterben.“

      „Uns?“ Senenmut wurde hellhörig. „Warst du dabei?“

      „Nein, Gnade, Herr! Ich war nicht dabei.“

      „Ich glaube dir nicht!“ Senenmut schob den glühenden Kessel näher unter ihn, was seine Gesprächsbereitschaft verbesserte.

      „Ja, ja, ich war es!“ Hass erfüllte auf einmal das Gesicht des Beamten. „Die Nubier hatten uns viel Gold und Silber geboten. Aber Chep-Ras Vater wollte uns verraten. Ich selbst habe ihm die Kehle durchgeschnitten!“

      Senenmut widerte dieser Mensch an. Er hatte genug gehört und war bereit zu gehen. Der Offizier schob den Kessel ganz unter den Gefangenen. Grässliches Schreien erfüllte den Raum. Senenmut wollte schnell ins Freie und traf am Eingang auf Chep-Ra.

      „Ich habe dich gesucht, Herr. Man hat mich hierher geschickt.“

      Senenmut legte seine Hände auf Chep-Ras Schultern. „Du hast alles gehört?“

      „Ja, Herr.“ Trauer und Wut spiegelten sich in seinem Gesicht. Der Offizier trat aus dem Raum. Immer noch waren die Schreie des Gefolterten zu hören. Der Geruch des brennenden Fleisches drang mit ihm nach draußen.

      „Was sollen wir mit ihm machen, Herr?“ Senenmut zog das Schwert des Offiziers aus der Scheide und gab es Chep-Ra. Der nickte stumm und ging in den Raum hinein. Sekunden später verstummte das Schreien. Chep-Ra trat wieder hinaus. Tränen liefen ihm das Gesicht herunter. Er wischte das Schwert im Sand sauber und gab es dem Offizier zurück.

      Senenmut dankte dem Offizier. „Ich werde deiner Herrin berichten. Du hast Ägypten einen großen Dienst erwiesen. Die Götter sollen dich reich belohnen.“ Dann ging er mit Chep-Ra zurück zur Verwaltung der Kornkammern.

      „Du hast meiner Familie und mir große Ehre erwiesen Herr.“ Er fiel vor Senenmut auf die Knie und küsste ihm die Hände. „Ich stehe für immer in deiner Schuld.“

      Senenmut war es unangenehm. „Steh auf, Chep-Ra. Es ist unsere Pflicht, die Feinde Ägyptens zu strafen. Und jetzt wollen wir uns um die Kornernte kümmern!“

      Chep-Ra verschwand unter unzähligen Verbeugungen. „Die Götter seien mit dir, Herr. Amun segne dich.“

      Senenmut machte sich auf zum Palast, um Hatschepsut Bericht zu erstatten. Große Unruhe herrschte im offenen Vorhof. Sklaven eilten hin und her. Offiziere schrien Befehle. Soldaten bemühten sich so schnell es ging, sie auszuführen. Ein Ochsengespann hätte ihn beinahe überfahren. Schnell sprang er zur Seite. Er stieg die Treppen zum Hauptportal empor. Die Wachen machten keine Anstalten, ihn aufzuhalten. Ein Sklave eilte voran und brachte ihn in die Empfangshalle. Er sah Hatschepsut auf der Terrasse sitzen. Umgeben von Sklavinnen, die sie mit Ölen beträufelten und ihre Arme und Beine massierten. Er trat näher heran. Als sie seiner Anwesenheit gewahr wurde, schickte sie alle weg und kam ihm entgegen. Nachdem die letzte Sklavin den Raum verlassen hatte, warf sie sich in seine Arme und sie küssten sich lange und innig. „Liebster, ich bin so glücklich, dich zu sehen. Heute ist ein schöner Tag. Wir haben Meldung erhalten, dass mein Vater heute noch zurückerwartet wird. Unsere Armee war siegreich.“

      „Das ist die zweitschönste Sache der Welt heute. Am schönsten ist es für mich, dich zu sehen! Wo ist dein geliebter Bruder?“

      „Halbbruder bitte! Er ist nach dem Eintreffen der Botschaft auf seine Barke gestiegen, um meinem Vater entgegen zu segeln. In Wahrheit ist er wohl geflüchtet, weil seine Frau ebenfalls hier erwartet wird.“

      „Er ist verheiratet? Das wusste ich nicht.“

      „Sie ist auch nicht reinen Blutes. Ihr Name ist Isis. Aber in ihren Adern fließt kein göttliches Blut.“ Verächtlich rümpfte sie die Nase. „Ihre Familie ist aus Memphis und dient in der Garnison. Dort wird sie ihn mit dem Duft des Lotos verzaubert haben.“

      Senenmut musste schmunzeln. Die Garnison in Memphis war berüchtigt für die Lotosfrauen. Sie tauchten den Lotos in starken Wein und gaben ihn dem Auserwählten zu riechen. Der freiwerdende Duft ließ die Soldaten das wahre Aussehen der Angebeteten vergessen. Sie waren in diesem Moment die größte Versuchung vor den Göttern selbst.

      Der Lotos war streng untersagt für alle Soldaten, denn mancher hatte sich so stark an den Duft gewöhnt, dass er nicht mehr ohne ihn leben konnte. Er sah am hellen Tage Göttererscheinungen, wenn er zu viel gerochen hatte. Und ohne den Duft quälten grässliche Dämonen seinen Geist. Er fror erbärmlich, als wenn er des Nachts nackt in der Wüste liegt. Die Glieder zitterten, als wenn das krokodilköpfige Monster selbst das Totengericht verlassen hätte und vor ihm erschienen wäre. Und dann wieder floss Feuer durch die Adern, als wenn Ra selbst in ihm wäre.

      Einige Lotosfrauen hatten es aber trotz des Verbots geschafft, in hohe Kreise der Offiziere vorzudringen. Es war eher unwahrscheinlich, dass auch der junge Thutmosis am Lotos gerochen hatte. Aber in der Fantasie von Hatschepsut war es so.

      „Ist sie so hässlich, dass er sie schön riechen musste?“, nahm er den Faden belustigt wieder auf.

      „Wer sonst würde sich ihm freiwillig ergeben? Du hast ihn gesehen. Er ist schwach und krank. Alles, was er kann, ist Befehle zu geben. Dabei ist sein Geist auch nicht von Stärke gezeichnet. Er trägt den Namen des Gottes der Weisheit in seinem Namen, aber Thot hat ihn vergessen!“

      Senenmut schauderte etwas. Wenn ihr Halbbruder auch nur ahnen würde, was Hatschepsut über ihn dachte, würde ihr Schicksal besiegelt sein; sie würde nicht mehr lange leben.

      „Ich danke dir auf alle Fälle für deine Fürsprache gestern, geliebte Hatschepsut. Ohne dich wäre ich schon bei den Göttern. Aber dein Eingreifen hat sich gelohnt. Wir haben alle Verräter entlarvt.“ Er klärte sie über das Verhör des Beamten und das Ergebnis auf. Ebenso erwähnte er auch das Verhalten des Offiziers und Chep-Ras.

      „Du hast diesen Sklaven in dein Herz geschlossen, nicht wahr?“

      „Ja, er ist von außergewöhnlichem Eifer und sehr schlau. Ich werde ihn zu meinem Stellvertreter machen“, lobte ihn Senenmut.

      „Ein Sklave und dein Stellvertreter? Ich werde ihm und seiner Familie die Freiheit schenken. Seiner Familie ist mit dem Tod seines Vaters

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