Deus Blue. Mario Degas
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Ich erhaschte einen Blick auf den Computermonitor – der immerhin noch existierte -, auf dem Aufnahmen einer Globus-Dokumentation liefen. Elv bemerkte mein Interesse: »Costa Rica, Frankreich, Japan – wie sich die Welt doch gewandelt hat.«
Er tippte den Monitor mit dem Zeigefinger an: »2000 bis 2025.« Ein Tempel war zu sehen, vor dem sich Kinder im Kreis drehten. »Der Mensch gab seine Ausnahmestellung auf.«
»Oder er verlor sie«, erwiderte ich.
Die nächste Einstellung zeigte eine weiße Taube, die geradewegs hoch zur Spitze des Eiffelturms flog, bevor sie irgendwo zwischen den Streben verschwand. »Wir kamen gerade zur rechten Zeit.«
»Warum wollten Sie mich sprechen?«
Als hätte er diese Frage kommen sehen, rückte er die Schreibtischlampe an den Rand des Tischs und griff mit langen, haarigen Armen in eine der vielen Schubladen, die auf seiner Seite des Tisches verborgen lagen. Zutage kam nach einigem Geraschel der mir nur allzu vertraute kugelrunde auf einer transparenten Schale aufliegende Blutmesser. Ich kannte die gängige Praxis, die keiner Worte des Lieutenants bedurfte: Jeder Polizist – ob Streife oder Detective – musste anhand seines Blutbildes eine Identifikationskontrolle über sich ergehen lassen, sobald er beim Lieutenant vorstellig wurde. Damit sollte bewiesen werden, dass man echt und keine Kopie oder ein Doppelgänger war. Elv bestand auf dieses Prozedere. Es war seine ganz eigene Art mit der Furcht vor dem Unbekannten fertig zu werden.
Ich tat wie verlangt und drückte meinen Finger auf die Kugel, aus deren Mitte eine unscheinbare, da kaum zu erkennende, Nadel ragte. Ich spürte keinerlei Schmerz.
Nach wenigen Sekunden stand fest, dass ich der echte Sean Leto war. Ich sah Elv an, dass er es innerlich gehofft hatte.
»Ihr Fall von gestern hat hohe Wellen geschlagen.« Er packte den Blutmesser zurück in die Schublade.
»Auf das, was passiert ist, war ich nicht vorbereitet«, entgegnete ich.
»Kannten Sie ihn?«
»Er kannte mich.« Was ich ihm nicht sagte: Sid war erst nur ein Phantom für mich gewesen, doch dann hat auch dieses Phantom Gestalt angenommen und einen Namen bekommen.
»Hat er Forderungen gestellt? Oder irgendetwas sonst gewollt?«
»Er wollte meine Hilfe.«
»Wobei?« Elv beugte sich in seinem Chefsessel nach vorne.
Ich wollte mit offenen Karten spielen: »Der Mann hat eine Tochter. Er ist ...« Ich dachte kurz darüber nach und korrigierte mich dann: »Er war auf der Suche nach ihr.«
»Und ...?« Elv kratzte sich über den Bart. »Wissen Sie, wo sie steckt?«
»Nein.« Es war nicht gelogen, noch nicht.
Ich ließ die Stille im Raum wirken. Nur das Summen der Klimaanlage über unseren Köpfen war zu hören.
»Wie heißt die Kleine?«, wollte der Lieutenant plötzlich wissen.
Zoe, dachte ich für mich, sprach es aber nicht aus. Stattdessen preschte ich vor: »Ich würde dem gerne weiter nachgehen, wenn Sie nichts dagegen haben!?«
»Ich brauche einen Namen.« Elv wurde sichtlich nervös und tippte mit den Fingerspitzen gegen die Kante seines Schreibtisches, um dies zum Ausdruck zu bringen – gewollt oder ungewollt, war mir in dieser Situation reichlich egal.
Mir wiederstrebte es, ihm ihren Namen zu nennen, wollte ich Sid doch nicht in den Rücken fallen.
Ticktack machte die Uhr an meinem Handgelenk.
»Minnie«, log ich schließlich.
»Wie bei der Maus?«, wollte er wissen.
»Wie bei der Maus«, wiederholte ich.
Er ging kurz in sich. »Ich werde in der Datenbank nach ihr fahnden. Ist sie da draußen, werden wir sie finden.«
»Sie haben ihn nicht gefunden, wie wollen Sie da sie finden?« Ich erinnerte mich an den Einlieferungsbeleg von Sids Leichnam. Er war ohne Namen hinterlegt, was nur bedeuten konnte, dass er für das System wie für die Stadt ein Unbekannter war.
»Können Sie mir denn sagen, wer er ist?«
»Für so vertrauenswürdig hielt er mich nicht«, log ich erneut. Mit erschien es leicht, die Unwahrheit zu sagen. Ich überlegte, ob es das war, was Sid von mir wollte: Zum Räuber werden. Ein Räuber, der die Gunst der Stunde nutzte und schwindelte, wenn es zu seinem Vorteil gereichte? Wie weit steckte ich in diesem Treiben schon drinnen, ohne dass ich mich dagegen wehren konnte oder wollte?
Ich lenkte ihn auf ein anderes Thema: »Wie kommen Sie mit Ihrer Krankheit zurecht?«
Er atmete hörbar aus: »Wenn ich schwach bin, bin ich stark.«
»Der Leitspruch der Einheit?«
»Wohl eher der Bibel«, antwortete er.
Es sollte eigentlich wie eine rein hypothetische Frage klingen, doch Elv hatte mich durchschaut: »Auch ich habe meine Hausaufgaben gemacht, bevor Sie in mein Büro kamen. Ich weiß, dass unser Mann ebenfalls mit dem giftigem Sauerstoff zu kämpfen hatte.« Sein Grinsen strahlte triumphierend in den Raum. »Die Welt ist klein, doch hatte er sich vermutlich schon zu weit von ihr entfernt. Was mich angeht: Ich komme mit zehn Milligramm Trepsalin aus. Ab und zu spüre ich zwar noch ein Zwicken in meinen Eingeweiden, aber Schmerz und Angst sind wie weggeblasen. Und das ist, was zählt, meinen Sie nicht auch?«
Ich schwieg.
»Es tut mir leid für unseren Freund. Für ihn brauchte es eine Kugel, um die Schmerzen zu bekämpfen. Und wo seine Zukunft endete, wissen wir beide nur zu genau.«
»Eine Vermutung allein legt noch keine Rechenschaft ab«, erwiderte ich. »Zu viele Menschen sterben, wo andere nur teilnahmslos zuschauen. Wenn das unsere Zukunft ist, dann sollten Sie sich besser noch einige Bibelsprüche mehr zurechtlegen. Denn irgendwann werden Sie sie bestimmt gebrauchen können.«
Elvs Miene hatte sich nicht verändert. Er wippte auf dem Stuhl vor und zurück: »Als ich Sie in mein Büro habe kommen lassen, bin ich davon ausgegangen, dass dieser Fall bereits abgeschlossen ist. Aber etwas sagt mir, dass Sie keine Ruhe geben werden. Ich kenne Sie einfach schon zu lange, Leto.«
»13 Jahre«, warf ich ihm wie einen angenagten Knochen entgegen.
»Sie sind lange dabei. Länger als ich es selbst bin. Wissen am besten, wann Flut und wann Ebbe ist. Sie arbeiten nicht nach dem Credo: erst der Tod, dann das Vergnügen. Und das imponiert mir. Ich werde Ihnen alle Freiheiten geben, die Sie ja sowieso schon so entschieden einfordern. Halten Sie mich nur auf dem Laufenden. Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie die Tochter dieses Mannes gefunden haben.« Er zog das Tochter in die Länge.
Ich stand von meinem Platz auf, wollte ich doch nicht länger in diesem Raum bleiben. Ich rückte meine Jacke zurecht und wollte gerade gehen, als er mich noch einmal zurückhielt: »Sean.« Es kam selten vor, dass er mich mit meinem Vornamen ansprach.