Deus Blue. Mario Degas

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Deus Blue - Mario Degas

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hast?«

      »Woher wissen Sie das von meiner Mutter?«

      »Dass sie dir geraubt wurde?« Es war eine Frage, die mich aufs Geratewohl traktierte. Ich dachte, ich hätte dieses Kapitel als geschlossen abgetan und den Schlüssel irgendwo tief in mir vergraben. Jetzt grub ein mir Fremder ihn vor meinen Füßen wieder aus.

      »Es waren die Drogen und der Alkohol.«

      »Dante und Vergil«, ergänzte er.

      »Ihr Wissen ist weitverbreitet«, sagte ich, nicht ohne Ironie, um der Situation die Anspannung zu nehmen.

      »Ich weiß einiges und doch ist es nicht genug. Dass Quentin dich bei sich aufnahm, ist jedoch kein Geheimnis.« Quentin ... »Er war dir ein Vater, als du einen am dringendsten brauchtest. Und Räuber ...« Er unternahm eine kurze Pause. »Räuber mochtest du sofort.«

      Ich wusste nicht, was ich sagen, noch wie ich auf all das reagieren sollte. Es kam mir geradezu unwirklich vor, diesen Mann vor mir zu haben, der mich so sehr kannte, wobei ich nicht wusste, wer er war. Mutter, Quentin, Räuber, ja, selbst mich, Sean – er konnte Kapitel aufsagen, in denen sie alle mitspielten.

      Ich beschloss, in die Offensive zu gehen: »Warum beantworten Sie nicht meine Fragen?«

      »Dafür ist es noch zu früh, für anderes ist es wiederum zu spät. Sobald du dazu bereit bist, wirst du selbst die Antworten auf all deine Fragen finden.«

      »Wofür bereit?«

      Er sah sich in der Gegend um, als würde er nach jemandem Ausschau halten.

      »Wir haben nicht mehr viel Zeit, Sean.« Zügig griff er an die Innenseite seines Mantels. Ich reagierte blitzschnell und zog meine Pistole. »Sachte, Mister.« Ich zielte auf sein Knie.

      Er hielt erst in der Bewegung inne, kramte dann aber dennoch in seiner Tasche herum. Zum Vorschein kam ein matt schimmernder Gegenstand. Keine Waffe, so viel stand schnell fest, woraufhin ich dazu überging, meine Pistole an der Seite herabbaumeln zu lassen, jedoch jederzeit wieder bereit, mich einer plötzlich auftretenden Gefahr zu stellen.

      »Du müsstest wissen, was das ist. Gerade jetzt, wo du selber ein Rad im Getriebe der Einheit bist.« Er warf den Gegenstand vor mir in den Schlamm, damit ich ihn besser sehen konnte. Es war eine Polizeidienstmarke der Einheit von Neu New York. Ich hob sie auf und fuhr mit dem Daumen darüber. Das Metall fühlte sich warm und kalt an. Das Logo war teilweise verdeckt, von etwas, das nach blauer Farbe aussah, die bereits zur Gänze eingetrocknet war und sich nicht mehr abkratzen ließ.

      Der Alte sprach weiter: »Sie kamen an einem Zwölften; Polizeimänner. Sie stürmten das Gebäude, in dem ich mich zu der Zeit mit meiner Frau Mel aufhielt.«

      Bei der Aussprache des Namens blickte er nach oben hoch zu den Wolken, wobei sein Adamsapfel sichtbar auf und ab hüpfte.

      »Sie war schwanger. Der Zwölfte war der Tag, an dem sie unsere Tochter gebar. Ich war auf dem Weg zu ihr, um sie zu ermuntern und ihr bei der Geburt beizustehen, wurde aber aufgehalten.« Er deutete auf die Marke in meiner Hand. »Allein Mels Schreie trieben mich voran. Ich war verzweifelt und wollte zu ihr, nichts ahnend was mich erwarten würde.«

      Er versuchte eine Träne zu unterdrücken, was ihm aber nicht gelang.

      »Ich kam zu spät.«

      Mir versetzte das Geschilderte einen Stoß. Was blieb, war ein mulmiges Gefühl. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

      »Mel lag bereits im Sterben, als ich sie im Hof fand – blutüberströmt und in Tränen aufgelöst. Wie so oft stand Gott an diesem Tag nicht auf unserer Seite. Er nahm mir den Menschen, den ich über alles liebte. Doch ...« Er fixierte mich so plötzlich, dass mir der Atem stockte. »Unsere Tochter hat es geschafft. Zoe hat es geschafft. Sie lebte.«

      »Zoe ...?« Kaum hörbar sprach ich den Namen aus und schnappte dabei nach Luft.

      Er tat dasselbe. »Wenn der Preis auch hoch war: Drei der apokalyptischen Reiter hatten wir zu diesem Zeitpunkt bereits vertrieben.«

      Im Stillen ging ich sie durch: Sieg, Krieg und Hungersnot, sofern er die ersten drei meinte.

      »Doch dem vierten und letzten Reiter konnten wir nicht entkommen.«

      Furcht, Krankheit, Niedergang; auch genannt: der Tod.

      »Sid.« Ich wusste nicht, warum er mir plötzlich in den Sinn gekommen war.

      Er schaute betreten drein, nur um mich im nächsten Moment mit seinem Blick zu durchbohren. Dieser eine Blick genügte; er machte uns aufs Neue miteinander bekannt.

      »Die Erinnerung, wie!?«

      »Ich wusste, dass da noch etwas ist.«

      »Irgendwann tut man gut daran.«

      Ich versuchte, mehr aus ihm rauszubekommen: »Wo ist sie jetzt? Deine Tochter?«

      Er musste erst wieder seine Abgründe heraufbeschwören: »Ich habe sie überall gesucht. Mein Schutzschild, meine Göttin ...« Konsterniert schüttelte er den Kopf.

      »Du weißt es nicht!?«, stellte ich fest.

      »Nein.« Das Schütteln hörte gar nicht mehr auf. »Die Einheit streckte mich nieder, nahm mir Frau und Tochter und warf mich in eine dunkle Gefängniszelle. Neun Jahre lang aller Hoffnung beraubt, war ich niemands Niemand. Bevor ich ein Vater sein konnte, wurde es schwarz um meine Zukunft. Ich konnte nicht wissen und wusste es auch nicht. Zukunft?« Er stockte, dann: »Gefängnis.« Seine Miene erhellte sich kaum merklich: »Bis heute. Denn jetzt bist du hier.«

      Ich lauschte und wagte es nicht, etwas zu sagen.

      »Ich war mir sicher, dass du hierherkommen würdest. Räuber ließ dich nicht mehr los. Mit der Vergangenheit konnte ich dich ködern und die Vergangenheit ist es auch, die ich von dir will. Du bist hier und ich brauche deine Hilfe.«

      Ich sah die vier Reiter, wie sie wild tobend in Kampfstellung auf mich zugaloppierten.

      »Du glaubst, ich kann sie finden?«

      »Nein, ich glaube es nicht.« Wieder eine Pause. »Ich weiß es. Der Glaube war mir in den letzten Jahren kein treuer Begleiter. Ich konnte mich nicht auf ihn berufen, wenn es darauf ankam, und werde es wohl auch nie können, solange mein Herz noch schlägt. Verlassen kann ich mich nicht auf ihn, noch auf sonst irgendjemanden. Mit einer Ausnahme.«

      Ich wollte auf ihn zugehen, aber er bedeutete mir mit einer Handbewegung, auf Distanz zu bleiben. Ein Hustenanfall begleitete die Geste. »Ich bin krank und langsam aber sicher mit meinem Latein am Ende. Mein Gedächtnis hat nachgelassen und mit der Kraft steht es auch zum Schlechten. Leider werde ich nicht jünger, noch gesünder.« Von seiner Stimme war jetzt kaum mehr als ein Flüstern zu hören.

      Ich blendete die Waffe in meiner Hand aus. Einen Feind sah ich nicht vor mir. »Du erinnerst dich noch an so viel«, versuchte ich ihn zu motivieren.

      »Die Erinnerung hat viele Gesichter. Und auf die Perspektive kommt es schon lange nicht mehr an. Deine Mutter? Räuber? Mel? Selbst Zoe?«

      Überraschend setzte er sich in Bewegung und schlurfte zur offen

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