Deus Blue. Mario Degas

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Deus Blue - Mario Degas

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und zur Seite gelegt, nur konnte ich nicht sehen, was es war.

      »Ich habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, kaum dass ich wieder in Freiheit war. Ich dachte auch schon einmal, ich hätte Zoe gefunden – keine zwei Jahre ist dies her.«

      Als er einen Schritt zurücktat, sah ich, dass er etwas in seiner Hand hielt. Nur dieses Mal war es keine Marke.

      »SID«, schrie ich. Panik und Unbehagen schlugen um mich.

      Es war eine Pistole und ich zweifelte nicht eine Sekunden daran, dass sie echt war.

      Ich riss den Arm hoch und legte abermals auf ihn an.

      »Mach jetzt keine Dummheiten.« Er stampfte zu seiner alten Position zurück. »Ich bitte dich, Sid. Leg die Waffe weg.«

      Als er nicht reagierte, rief ich noch einmal lauter: »SID.«

      Der Erfolg war anders, als ich ihn mir erhofft hatte: »Jeder Anfang ist schwer, so wie jedes Ende schwer ist, wenn es denn unausweichlich scheint. Dass das Ende kommt, wissen wir, doch wann es uns heimsucht, wissen wir in der Regel nicht. Das kostete Mel das Leben, so wie es meines veränderte.« Er streichelte behutsam über den Lauf der Pistole. »Hör mir gut zu, Sean.«

      Zitterte ich?

      »Die Lösung liegt zu deinen Füßen, sobald die Gegenwart in die Zukunft übergeht. Sei mein Sturm, werde mein Räuber. Grabe in meinem Innersten, am Ort meines Selbst; nutze die Kunst und finde den Schutz, den ich dir gab. Ich bürdete dir eine Last auf und werde sie dir wieder aufbürden. Diese Last treibt dich weiter zu dem, der du bist. Denn du bist ich. Und du weißt es. Gehe den Weg, den du mit mir gingst. Am Ende wirst du es sehen ...«

      Tausend Fragezeichen schwirrten vor meinem Kopf herum: »Sehen, wer ich bin?«

      »Sehen, was sie sieht. Mit Zoes Augen sehen. Das bist du ihr schuldig. Finde sie, nicht meinet-, sondern ihretwegen. Sie muss wissen, wer sie ist.«

      Ich klammerte mich an einen zerbrechlichen Strohhalm: »Wir werden sie gemeinsam finden, Sid.«

      Er lächelte. »Ja, das werden wir.«

      Ein mir nur allzu bekanntes Rauschen näherte sich mit rasendem Tempo. Es befand sich weit weg und im nächsten Moment fast direkt über uns.

      Sid hatte sich bereits entschieden. Er schloss die Augen und senkte den Kopf. »Verzeih mir, Sean.«

      »NEIN.«

      Ein Licht von oben blendete mich. Im selben Augenblick schrie ich auf, sprintete los, als der Schuss auch schon die Eintracht durchriss. Ich strauchelte, fing mich aber sogleich wieder. Alles geschah so schnell. Im Bruchteil einer Sekunde war es vorbei.

      Als der Kegel des Suchscheinwerfers über mir abzog, sah ich dem Tod ins Antlitz.

      Sid hatte die Waffe gegen sich selbst erhoben. Sein lebloser Körper lag eingesackt zwischen den Schienen. Die Waffe lag rauchend daneben, ihren ehemaligen Inhalt verschossen. Es war nicht schwer, zu erkennen, wo die Kugel steckte: Aus Sids Kopf rann Blut, welches sich unaufhaltsam auf die Steine ergoss und sich mit dem Matsch darunter vermischte.

      Mein Herz raste und drohte jeden Moment aus meiner Brust zu springen. Ich machte mich bereit, es aufzufangen, spürte aber umgehend die Hitze, die aus meinen Knochen Wackelpudding machte. Flugs knickte ich ein und fand mit meinem Knie den Boden.

      Zoe. Ihr Name war Zoe.

      Hinter mir vernahm ich das Zischen der Flügeltüren. Jemand kam schweren Schrittes auf mich zugestapft.

      »Partner.« Diese Stimme. »Sean.« Viggo. »Alles okay bei dir?«

      Ich erkannte aus dem Augenwinkel die 2 – für Second Detective –, die in seine Uniform eingestickt war.

      »Mir scheint, der Zug ist bereits abgefahren.« Eine andere Stimme, etwas weiter weg noch, die ich nicht zuordnen konnte.

      Ich erhob mich langsam und drehte mich halb zu beiden um. Viggo legte dabei seine Hand auf meine Schulter.

      »Was ist hier passiert, Sean?«

      Ich sah den Leichnam an – Sids Leichnam. »Er hatte eine Waffe«, antwortete ich, weil mir nichts Besseres einfiel.

      »So wie du!?« Er musterte meine Pistole, die ich im Anfangsstadium einer Paralyse, so schien mir, immer noch umklammert hielt.

      Ein junger Kerl, Typ Streifenpolizist in Ausbildung, stampfte an uns vorbei und ging vor dem Leichnam in die Hocke.

      »Nicht anfassen«, gebot ich ihm, hörte mich dabei aber alles andere als überzeugend an, weil Schwäche und Müdigkeit die Worte umrahmten.

      Eine Erschütterung bemächtigte sich plötzlich meiner linken Hand. Ich dachte erst, es wäre der Aufregung geschuldet, sah aber dann, dass es von meiner Armbanduhr ausging. Die Vibration war spürbar, das gleichzeitige Piepsen ging jedoch an mir vorbei.

      Viggo sah, dass die Stunde für mich bereits geschlagen hatte: »Geh nach Hause und ruh dich aus. Es muss ein anstrengender Tag für dich gewesen sein. Anderson ...« – er zeigte nach vorne – »... und ich kümmern ums um alles Weitere.« Er lenkte mich behutsam vom Geschehen weg.

      Ich kannte Viggo gut und wusste, wie ernst es ihm damit war. Da war er wieder: der Bruder. Er achtete so gut es ging auf mich und meinen Seelenfrieden. Man behauptete es nicht bloß, wenn man sagte, dass wir füreinander da waren, wenn es drauf ankam. Und doch musste man akzeptieren, wie er war – voller Ironie, aber immer mit einem Zwinkern – wollte man mit ihm auskommen. Eines war sicher: Ich würde ihm heute nicht mehr widersprechen. Ich ging, ohne noch ein Wort zu sagen.

      Ich war gerade am Ende der Gleise angekommen, als Viggo mir hinterher rief: »Sean.«

      Ich blieb stehen.

      »Der Punkt geht an dich.«

      Das war alles.

      Nur kurz dachte ich darüber nach, ging dann aber einfach weiter. Ohne weitere Zwischenrufe erreichte ich meinen Cloud.

      3

      Als ich endlich im Cloud saß, hatte ich meinen Frieden mit mir selbst gemacht. Es war mir wie eine Ewigkeit vorgekommen, da draußen, umgeben vom Verfall, den marodierenden Zügen, der heruntergewirtschafteten Technik – und, was mir am schmerzhaftesten bewusst wurde, der Leiche auf dem Gleisbett.

      Durch die Scheibe sah ich, was außerhalb vor sich ging. Wie Viggo und Anderson mit vollem Elan um Sid herumtänzelten, als wären sie die Hauptdarsteller in einer Theateraufführung. Doch dieser Tote würde nach der Vorstellung nicht wieder aufstehen, schnurstracks in seine Umkleide rennen und den Tag im Beisein seiner Freunde und Familie ausklingen lassen. Für ihn gab es keine Tage mehr, sondern nur noch pechschwarze Nächte, in denen die Trauer die Hauptrolle spielte, glaubte man nicht an ein Leben nach dem Tod.

      Sid hatte eine Entscheidung getroffen; ob zum Positiven oder Negativen für sich und seine Tochter konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehen. Der Selbstmord war geplant, doch ich fragte mich, ob es nicht eine andere Möglichkeit gegeben hätte. Er war verzweifelt und auf einer Suche, die ihn forderte. Dennoch war es erschreckend, mit anzusehen,

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