Deus Blue. Mario Degas
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Träume kommen und gehen. Sie zeigen sich nicht jedem, bleiben am liebsten im Verborgenen. Manche meinen, man kann sich das Träumen antrainieren, so wie man einem Hund beibringen kann, Stöckchen zu holen. Als wäre es eine Sache des eigenen Willens, ob ein Traum kommt, und wenn er es tut, wann er denn kommt.
Bestätigt fanden sich die selbst ernannten Traumdealer durch die Badehäuser, wohl leugnend, dass der Traum in ihnen nur eine Dienstleistung war, wenn auch eine, die kam und ging, wie es einem gerade beliebte.
Als ich am Morgen schweißgebadet auf dem Bett lag, wusste ich, dass es noch eine dritte Macht gab – hinter Wille und Tadpole, hinter Zauberei und Ware – die einem nicht bloß träumen ließ: Es war die Wirklichkeit. Sie hatte mich in der Nacht heimgesucht. Ich hatte mehr als elf Stunden geschlafen, elf Stunden, in denen mir immer wieder die Ereignisse des vorigen Tages vorgespielt wurden. Es war so, als hätte jemand auf die Wiederholen-Taste gedrückt. Immer wieder trat mir Sid von Neuem im Bahndepot gegenüber und jedes Mal endete die Szene mit dem einen Schuss, der ihn erlöste und aus dem Leben riss. Es war die Steigerung eines Albtraums, weil man nur allzu genau wusste, dass das, was man sah, in der Wirklichkeit stattgefunden hatte.
»Verzeih mir«, murmelte ich wieder zur Wand herauf.
»Du bist ich.«
New Neu York lag verschlafen unter mir. Der Smog tauchte die Stadt in ein Meer aus Rauch und Nebel. Die Luftverschmutzung war allgegenwärtig, gab es doch keinen Tag, an dem die Menschen ihrer Nähe nicht gewahr wurden. Von weit oben war man versucht, der Stadt nur noch wenige Jahre zu geben, zu sehr löste sich Gebäude für Gebäude und Individuum für Individuum in Luft auf.
Jemand hat einmal gesagt: »Wenn ich noch einmal verreisen könnte, und dann nie wieder, es wäre eine Reise weit in die Vergangenheit. Ohne Wiederkehr.« Als wäre damals alles besser gewesen, wo doch jedes Übel irgendwann seinen Anfang nahm. Ich konnte mich so genau an diese Aussage erinnern, weil sie von mir kam. Ich war derjenige, der auf die Wiederkehr verzichten wollte.
Nach einer Weile überflog ich die Grenze zum A-Sektor. Ein Kontrollfahrzeug der Einheit ließ mich passieren, ein anderes schwebte gemächlich an mir vorbei. Ich hatte längst das Blinken in der Ferne ausgemacht – dort lag mein Ziel.
Ich drosselte die Geschwindigkeit, den Blick nach oben gerichtet. Majestätisch tauchte das höchste Gebäude der Stadt vor mir auf: der hoch über allem thronende Turm der Exekutive und der Einheit. Es war mir, als würde der Bau mit jedem Tag mehr und mehr in die Höhe steigen. Die Macht ging hier eine beispiellose Symbiose mit der Schwärze ein. Egal wohin man schaute, überall herrschte dunkle Tristesse. Die Außenfassade war eine Aneinanderreihung von schwarzen Metallplatten, ab und zu nur von, ins grau neigenden, Lüftungsgittern unterbrochen, die fremd wirkten, so selten, wie sie waren. Fenster gab es keine. Ganz oben direkt unter dem Dach gelegen, befanden sich die einzig existenten Lichtquellen. An jeder der vier Ecken des Gebäudes war eine Leuchte angebracht – stand man auf der Straße und blickte gen Horizont, sah es aus, als würde das Licht geradewegs aus dem Himmel herabscheinen.
Ich suchte die Öffnung im Gemäuer. Mein Cloud registrierte eine Einfahrt, die mir sogleich orange umrandet auf der Frontscheibe angezeigt wurde. Ich navigierte darauf zu. Die Elektronik zeigte mir die Entfernung an: noch zwanzig Meter. Ich schaltete die Düsen auf Landung; der Rest war ein Kinderspiel.
Das Deck war kaum zur Hälfte gefüllt. Nur vereinzelt standen Fahrzeuge in einer der Parkbuchten. Neben den Polizei-Clouds zählte ich noch mehrere private Automobile. Ich erkannte Barklis' Dodge, der wenig unauffällig zwischen zwei Streifenwagen parkte. Das rechte Rücklicht war immer noch defekt – ein unschönes Souvenir aus dem Untergrund.
Ich stieg aus dem Cloud und nahm, wie jeden Tag, den Weg zum Aufzug. Ich hatte den Rufknopf gerade gedrückt, als sich die Türen öffneten.
»Jill.«
Als hätte sie dort auf mich gewartet.
»Es tut gut dich zu sehen, Sean.«
Meine Jill. Wie immer sah sie umwerfend aus, wozu sie nicht einmal einen Schleier benötigte. Ihr dunkles Haar war zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, was sich früh als ihre Lieblingsfrisur herausgestellt hatte. Sie war ganz der Mensch, wieder oder schon immer: In ihrer Uniform, einer eng anliegenden Ledermontur, konnte sie einen Mann um den Verstand bringen. Doch sie spielte nicht. Wenn sie austeilte, dann an die bösen Jungs, wobei sie nur selten enttäuschte. Für die meisten im Präsidium war sie die zuverlässige Morhaime, die im Körper einer Powerfrau steckte. Für mich war sie einfach nur Jill.
Ich trat zu ihr in die Kabine.
»Kann ich dich mitnehmen?« Während sie das sagte, hatte sie den Aufzug bereits bis in die Leichenhalle heruntergeschickt. Mit einem Ruck setzte er sich in Bewegung.
»Ich habe wohl keine Wahl«, antwortete ich.
Sie sah mich aus zusammengekniffenen Augen heraus an: »Du bräuchtest einen Drink. Obwohl alles besser als eine Leiche ist.«
Ich wartete zu lange mit der Antwort. Sie grinste mich nur weiter an: »Ich bin bei dir, das weißt du.«
Ich nickte kaum merklich mit dem Kopf. »Hat jemand was erzählt?«
»Wir haben von dir gesprochen.«
»Wer ist wir?«, wollte ich wissen.
»Viggo hat mir erzählt, was gestern Abend am Depot passiert ist. Er meinte, du warst nicht mehr du selbst; nicht mehr derselbe.«
»Ich wünschte, es wäre anders gekommen«, gab ich zu verstehen.
Lautlos öffnete sich die Tür. Wir traten aus dem Licht und auf eine Treppe zu.
»Die sieben Stufen zum Fegefeuer«, kommentierte Jill den Abstieg. Ich sagte nichts, zu sehr konzentrierte ich mich auf das, was vor mir lag. Die Kopfschmerzen waren glücklicherweise verschwunden.
Vor der Wand stand ein Terminal. Ich scrollte mit dem Finger durch die Liste, bis ich auf die Namen der Neuankömmlinge stieß.
»MOS-Default. Name: Unbekannt (Prüfung noch ausstehend). Eingang: Heute Morgen. Zeitpunkt des Todes: Gestern, 18:00 Uhr.«
»Ist er das?«
Ich drehte mich herum: »Das werden wir gleich erfahren.«
Wir folgten dem Flur, bis wir an eine Tür mit der Aufschrift L-12 kamen, die sich zur Seite hin aufschob, als wir dicht davorstanden. Im Raum dahinter befand sich nur ein einzelner Autopsietisch. Ein Tuch lag halb drapiert darüber. Als ich näher trat, erkannte ich, dass nur der Unterkörper verdeckt war. Die obere Hälfte lag frei.
»Habe ich dir erzählt, wie ich Räuber kennengelernt habe!?«
Jill antwortete: »Nein.«
Ich ließ die Sekunden verstreichen.
»Es war, als meine Mutter starb.«
Jill kannte Räuber, aber sie kannte nicht meine Mutter. Hatte ich nur vergessen, ihr diese Geschichte zu erzählen, oder wollte ich nicht, dass sie sie kannte? »Was hat das mit ihm zu tun?« Sie stand jetzt so nah bei mir, dass wir uns fast berührten.
»Sein Name ist Sid.« Ich musterte sein Gesicht. Friedlich,