Anne und die Horde. Ines Langel

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Anne und die Horde - Ines Langel

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von außen nicht vermuten lassen, dass sein Inneres so groß war. Doch das musste es auch sein, denn jeder Zentimeter Platz war mit Büchern gefüllt. An den Wänden standen Regale bis unter die Decke. An die obersten Reihen kam man nur mit einer großen Leiter. Anne wurde es schon beim Hinaufsehen schwindelig. Schnell wandte sie den Blick ab. Im Raum verteilt standen kleine Schränkchen, die ebenfalls mit Büchern gefüllt und auf denen sie gestapelt waren. Unter der Decke hingen Körbe. Anne konnte nicht hineinsehen, doch sie nahm an, dass auch dort Bücher verstaut waren. Der große Raum wirkte völlig überladen und ungeordnet. Wie sollte man sich hier nur zurechtfinden?

      Gegenüber der Eingangstür befand sich eine dunkle alte Theke. Sie reichte Anne bis an die Brust. Dahinter saß ein mürrisch dreinblickender Mann. Er war sehr dünn und groß, hatte eine Glatze und eine schnabelartige Nase. Es war schwer zu sagen, wie alt er sein mochte. Anne schätze, dass er älter war als Mama und Papa, doch sein Gesicht wirkte glatt und rosig. Zu Annes Erstaunen trug der Mann einen schwarzen Anzug und eine Fliege.

      Vielleicht will er noch in die Oper, dachte Anne

      Mama ging schnurstracks auf den Mann zu. Sie lächelte zurückhaltend und fragte dann.

      „Arbeiten Sie hier?“

      Der Mann sah sie an, als hätte sie die dümmste Frage der Welt gestellt.

      „Wieso fragen Sie mich das?“, erwiderte er. Seine Stimme war hoch und näselnd.

      Mama schien verdutzt. „Nun ja, Sie sitzen hinter der Theke.“

      Der Mann stand auf und nickte. Er sagte nichts, zeigte stattdessen mit seinen langen Fingern auf die Theke, als wolle er auf etwas aufmerksam machen. Mama folgte verwirrt seiner Geste. Sie dachte angestrengt darüber nach, was ihr der Fremde zeigen wollte.

      „Ganz schön staubig“, sagte Anne, die sich ebenfalls die Theke angesehen hatte.

      Mama wurde rot. „Anne!“, sagte sie schnellt und dann, „Kinder, Sie wissen ja…“

      Der Mann nickte. Seine Augen richteten sich auf Anne. Sie sahen aus wie zwei Kohlenstücke.

      „Oh ja“, sagte er, „Kinder sind ganz wundervolle Geschöpfe.

      Mama nickte und lächelte. Anne wusste es besser. Dieser Mann hatte zwar gesagt, Kinder seien wundervoll, doch gemeint hatte er etwas ganz anderes.

      Ruckartig wand sich der Mann Mama zu. „Zu Ihrer Frage, Gnädigste.“

      Mama blinzelte und wurde schon wieder rot.

      „Ich arbeite hier nicht nur, ich bin der Besitzer dieses fantastischen Buchladens. Wenn ich mich vorstellen darf, mein Name ist Merymend. Rasmus Merymend.“

      Daraufhin nahm er Mamas Finger und hauchte einen leichten Kuss auf ihren Handrücken. Zum dritten Mal lief Mama rot an. Nun sah sie aus wie eine reife Kirsche. Anne verzog angewidert das Gesicht. Dieser Merymend war ihr unsympathisch. Doch Mama schien von ihm sehr angetan zu sein.

      „Oh“, sagte Mama verlegen, „Sie haben wirklich einen schönen Laden.“

      „Nicht wahr“, bestätigte Merymend und entblößte beim Lächeln eine Reihe krummer, spitzer Zähne.

      „Ich war nur so verwundert.“

      „Verwundert Gnädigste, warum?“

      „Nun, Sie sind so gut gekleidet, als wären sie auf einem Ball.“

      „Das ist das mindeste, was ich meinen werten Kunden schuldig bin – und diesem Interieur.“

      Ausladend wies Merymend mit der rechten Hand durch seinen Laden. Anne folgte der Bewegung. Dabei sah sie, dass der große Raum, in dem sie stand, noch nicht alles war. Rechts von der Eingangstüre, verborgen hinter Regalen, war ein Durchgang.

      „Ich merke schon, Sie sind ein Mann der alten Schule“, sagte Mama und kicherte.

      Herr Merymend nickte bloß und zeigte erneut sein Haifischlächeln.

      Anne entfernte sich ein paar Schritte von den beiden Erwachsenen. Sie tat, als sähe sie sich interessiert um, während sie sich langsam auf den Durchgang zu bewegte.

      „Merymend“, hörte sie ihre Mutter sagen. „Was für ein außergewöhnlicher Name.“

      „Nun, meine Familie ist schon sehr alt. Ich kann meine Vorfahren bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen. Sehen sie hier.“ Er wies auf die Wand hinter seiner Theke. „Dies hier ist mein Stammbaum.“

      „Sehr beeindruckend“, sagte Mama.

      Den Rest nahm Anne nicht mehr wahr, sie hatte den Durchgang erreicht und blickte in den anderen Raum. Zuerst war sie enttäuscht, sah er doch auf den ersten Blick genauso aus wie der, in dem Mama sich gerade mit der Adlernase unterhielt. Doch bei näherem Hinsehen sah sie im hinteren Teil, dort wo es keine Fenster gab, ein Glimmen, schwach nur, aber deutlich sichtbar. Neugierig geworden, ging sie darauf zu, bis ihr ein Bücherregal den Weg versperrte. Als sie dahinter blickte, sah sie zu ihrer Verblüffung einen großen Vogel, der auf einem kleinen roten Sofa saß. Der Vogel war grün und das Sofa gerade groß genug, dass der Piepmatz darauf Platz fand. Verdutzt blieb Anne stehen. Auch der Vogel schien überrascht zu sein. Das Glimmen, das Anne zwischen den unteren Etagen des Bücherregals wahrgenommen hatte, kam von keiner elektrischen Lichtquelle, sondern von Zeichen, die auf den Boden gemalt worden waren. Kreisrund um das Sofa herum waren sie angeordnet. Anne hatte noch nie in ihrem Leben so etwas gesehen. Sie ging näher an den Kreis heran und hockte sich hin. Vorsichtig berührte sie eines der Zeichen mit ihrem rechten Zeigefinger. Schlagartig ging ein gleißendes Licht von dem Kreis aus. Anne erschrak. Sie riss ihre Hand fort und robbte zurück, bis sie mit dem Rücken an das Bücherregal stieß. Das Licht war erloschen, Anne konnte nichts sehen. Vor ihren Augen tanzten bunte Lichtpunkte.

       Was war das?

      Mit dem Handballen rieb sie die Augen. Als sie ihre Umgebung wieder betrachten konnte, sah sie, dass sich nichts verändert hatte. Nur der Vogel war von seinem roten Sofa gesprungen und stand nun direkt vor den Zeichen. Er sah Anne in die Augen. Dem Mädchen lief es kalt den Rücken runter. Der Vogel schabte mit seinen großen Krallen auf dem Boden. Anne beobachtete die Bewegung, dann nickte der Vogel ihr zu. Verständnislos runzelte sie die Stirn. Sogleich fing der Vogel wieder an zu schaben. Anne rückte ein bisschen näher heran. Der Vogel nickte. Langsam streckte sie die Hand nach dem Tier aus. Der Vogel beobachtete sie stumm. Als sie kurz davor war, das Gefieder zu berühren, zog sie erschrocken die Hand zurück. Anne hätte nicht sagen können warum, doch eine Eingebung sagte ihr, dass sie das Tier auf keinen Fall berühren durfte. Der Vogel schlug aufgebracht mit seinen Flügeln. Anne rannte davon, zurück in den anderen Raum zu Mama, die immer noch seelenruhig mit Herrn Merymend redete. Das Thema Familienstammbaum hatten die beiden abgehakt. Inzwischen war der große Mann dazu übergegangen, Bücher vor Mama aufzutürmen. Anne nahm ihre Mutter bei der Hand. Ihr Herz klopfte und sie wollte so schnell wie möglich hier weg. Mama wandte sich ihr zu.

      „Und Maus? Hast du was Schönes gefunden?“

      Anne schüttelte den Kopf. Merymend warf ihr einen prüfenden Blick zu.

      „Sieh mal“, Mama zeigte ihrer Tochter ein Buch.

      MOMO war auf dem Einband zu lesen.

      „Möchtest du

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