Das Kestel Psychogramm. Jürgen Ruhr

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Das Kestel Psychogramm - Jürgen Ruhr

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seiner Aktentasche kramte er die erforderlichen Unterlagen hervor und hielt die Vordrucke hoch: „Meine Damen und Herren. Falls sie Interesse an dieser Wohnung haben sollten, so füllen sie bitte diese Formulare aus. Alle Angaben sind freiwillig, allerdings muss ich sie bitten, mindestens ihre momentane Anschrift einzutragen, sonst können wir sie ja nicht kontaktieren ...“ Das sollte als kleiner Scherz und Auflockerung gemeint sein, doch niemand interessierte sich wirklich für das, was er sagte. Die Menschen rissen ihm die Vordrucke förmlich aus der Hand und fragten nach einem Kugelschreiber oder Stift. Tobias zuckte mit den Schultern, daran hatte er nun wirklich nicht gedacht.

      Alle paar Minuten trat ein Interessent zu ihm und stellte irgendwelche Fragen zu der Wohnung, der Nachbarschaft und die ortsunkundigen sogar zu der Stadt Köln selbst. Tobias versuchte die Fragen bestmöglich zu beantworten, musste aber gerade in Bezug auf verwaltungstechnische Dinge passen. Warum erkundigten sich die Leute eigentlich nicht bei der Stadt selbst, die für Anmeldung, Ummeldung und ähnliche Dinge doch zuständig war. Tobias wurde zunehmend gereizter und als ein Blick aus dem Fenster zeigte, dass es zwar anfing zu dämmern, der Regen jedoch unvermindert vom Himmel prasselte, gelangte seine Laune beim Nullpunkt an.

      „Entschuldigung, darf ich sie etwas fragen?“ Eine junge Frau mit einem kleinen Mädchen an der Hand sah ihn bittend an.

      „Sie fragen ja schon“, brummte Tobias, nickte aber.

      „Bist du der Vermietonkel?“, fragte jetzt das kleine Mädchen an Stelle ihrer Mutter und die lächelte entschuldigend. „Sei nicht so vorlaut, Kleines“, wies sie das Mädchen zurecht.

      Doch Tobias winkte ab: „Schon gut“, wandte er sich an die Frau, dann beugte er sich zu dem Kind herunter. Er blickte in große, blaue Augen und ihren kleinen Kopf mit dem Puppengesicht umrahmten goldblonde Locken. „Nein, ich bin nur der Vermittleronkel“, lächelte er es an und überlegte, wie alt das Kind wohl sein mochte. „Und wer bist du, wie heißt du?“

      „Mia“, krähte die Kleine und grinste ihn an.

      Tobias kramte aus einer Anzugtasche einen Dauerlutscher hervor, von denen er für solche Fälle immer einige bei sich trug. Er verabscheute diese klebrigen Süßigkeiten, wusste aber über die Kinder, die Eltern für sich zu gewinnen. Ein wichtiger Schachzug beim Vertrauensaufbau im Vorfeld des Wohnungsverkaufs. Nur dass er hier leider keine Eigentumswohnung verkaufte. Er blickte die Mutter an: „Darf sie das?“ Tobias wusste aus Erfahrung, dass immer erst die Eltern - primär die Mutter - um Erlaubnis gefragt werden mussten, bevor er den Kleinen den Lutscher gab. Manche Eltern wollten einfach nicht, dass ihre Kinder etwas von Fremden geschenkt bekamen.

      Die Mutter nickte. „Hensenbrugger, Charlotte und Mia. Wir sind neu in der Stadt und leben momentan bei meinem Vater. Aber die Wohnung ist sehr klein und eng und wir suchen dringend eine eigene Bleibe.“

      Die Kleine war jetzt ausschließlich damit beschäftigt, die klebrige Süßigkeit aus der Verpackung zu schälen. Tobias betrachtete sie sinnend.

      „Sie wollten mich etwas fragen“, wandte er sich dann wieder an die Mutter.

      „Ja, entschuldigen sie. Ich wollte fragen, ob sie auch an alleinstehende Mütter mit Kind vermieten. Wir haben diesbezüglich schon sehr schlechte Erfahrungen gemacht und bevor ich jetzt all die Unterlagen ausfülle und ihre und meine Zeit verschwende, wollte ich nur wi...“

      Tobias unterbrach sie: „Keine Sorge, Frau Hesenbrunner, wir verm...“

      „Hensenbrugger“, warf sie ein und Tobias nickte automatisch. Was spielte der Name schon für eine Rolle?

      „Ja, Frau Hensenbrugger, selbstverständlich vermieten wir auch an alleinstehende Elternteile mit Kind. Füllen sie getrost die Unterlagen aus und vergessen sie nicht, ihre aktuelle Anschrift anzugeben. Und vielleicht die Telefonnummer, unter der wir sie erreichen können.“

      Die Frau nickte lächelnd und sah ihre Tochter streng an: „Und Mia, was hast du vergessen?“

      „Dankeschön“, murmelte die selig mit dem Lutscher im Mund und streckte ihrer Mutter die Zunge heraus. „Guck mal, Mama, ein Zungenmaler!“

      Die Mutter lachte und Tobias schloss sich ihr an. „Du bist aber schon ein großes Mädchen. Wie alt bist du denn?“

      „Sechs Jahre.“

      „Dann gehst du bestimmt schon in die Schule?“, fragte er.

      „Ja, in die erste Klasse. Aber in meiner alten Schule hat es mir besser gefallen als hier, das war ...“ Mia suchte nach den richtigen Worten und ihre Mutter sprang ein: „Ein Schulwechsel, mitten im Jahr ist immer etwas problematisch. Neue Lehrer, eine neue Klasse und die ungewohnte Umgebung. Leider ließ sich der plötzliche Umzug aber nicht vermeiden. Und zum Glück haben wir ja auch den Opa, der sich um sie kümmert.“

      „Ja“, krähte jetzt die Kleine, „Opa geht immer mit mir auf den Spielplatz, da wo wir jetzt wohnen. Opa ist lieb.“

      Tobias sah der Mutter ins Gesicht und meinte: „Ich werde sehen, was ich für sie tun kann. Ich werde schon eine Lösung finden.“

      Charlotte Hensenbrugger nickte dankbar.

      Die ersten Interessenten reichten Tobias ihre ausgefüllten Unterlagen. Ein junger Mann trat an ihn heran und drückte ihm den ausgefüllten Vordruck und einen Umschlag in die Hand. Mit einem Augenzwinkern meinte er: „Meine Bewerbungsunterlagen für die Wohnung.“

      Tobias blickte auf den Zettel und sah neben dem Namen ein dickes Kreuz. Verwundert wollte er den Mann fragen, was es damit auf sich haben sollte, als dieser sich schon entfernt hatte. Tobias konnte ihn zwischen den Menschen in der Wohnung nicht mehr ausmachen. Neugierig blickte er in das Kuvert und erkannte mehrere zwanzig Euro Scheine. Es mussten mindestens fünf an der Zahl sein.

      Nach und nach leerte sich die Wohnung und schließlich blieb Tobias Kestel mit einem Stapel ausgefüllter Unterlagen und dem Umschlag alleine zurück. Unschlüssig betrachtete er das Geld, steckte es aber schließlich achselzuckend ein. Ein kleiner Nebenverdienst konnte ja nicht schaden ...

      4. Vor 32 Jahren

      Es war richtig heiß. Der ganze Monat August konnte mit herrlichem Sommerwetter aufwarten und Tobias Vater baute im Garten ein Planschbecken für Steffi, seine Schwester, auf, das Tobias auch mitbenutzen durfte. Sofern Steffi es erlaubte.

      Stefanie erlaubte es immer und ausnahmslos. Jedenfalls so lange, wie Tobias sie mit Schokolade und anderen Süßigkeiten versorgte. Und da bahnte sich das eigentliche Problem an: Tobias verfügte über keinen Pfennig Taschengeld mehr und die letzten beiden Tafeln Schokolade, die er noch besaß, würden in zwei Tagen aufgebraucht sein. Er musste irgendwie an Süßigkeiten herankommen, wollte er den Rest des Monats nicht seiner Schwester beim Plantschen im kühlen Wasser zusehen.

      Doch eine Lösung seines Problems war in Sicht, denn heute war sein großer Tag. Der Tag seiner Einschulung! Tobias träumte von einer großen Schultüte, randvoll mit den leckersten Süßigkeiten. Es wären so viele Bonbons, so viel Schokolade und Lutscher darin, dass er selbst auch ein klein wenig davon würde naschen können. So erhoffte er es sich jedenfalls.

      Leider folgte seine Mutter momentan dem aktuellen Trend, dass alles ‚gesund‘ sein musste. Kekse aus irgendeiner Masse, die eher an trockenes Knäckebrot, denn an leckere Plätzchen erinnerten. Das Mittagessen mit durchweg ‚gesunden‘ Zutaten, aber wenig

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