Das Kestel Psychogramm. Jürgen Ruhr
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Tobias Kestel warf einen Blick auf seine Lacroix Armbanduhr und spürte einen gewissen Stolz, dass er sich dieses gute Stück geleistet hatte. In Gedanken ging er die volle Bezeichnung der Uhr durch und sprach sie schließlich leise vor sich hin: „Maurice Lacroix Masterpiece Squelette.“ Er ließ das letzte Wort noch ein wenig nachschwingen, als sein Kollege Walther Warsers seine Gedanken unterbrach: „Betest du, Tobbi?“ Er lachte leise. „Brauchst du aber nicht, die Wohnungen vermieten sich quasi von alleine. Wie ich sehe, hast du ja auch schon eine ganz ansehnliche Sammlung von Interessenten. So einfach möchte ich es auch einmal haben ...“
„Walther, was willst du? Ich habe zu arbeiten, du störst.“
„Oh, Tobbi, warum so schlechte Laune? Der Regen hat doch aufgehört und mit ein wenig Glück bricht irgendwann auch die Sonne durch die Wolken.“
„Was willst du? Mir vom Wetter erzählen? Ich sehe selbst, dass es nicht mehr regnet. Also schleich dich.“
„Kannst du mir einen Tipp geben? Es geht um eine Wohnung in der Innenstadt.“
Tobias seufzte. Handelte es sich um die Wohnung, für die er seit gut einem halben Jahr versuchte, die Vermittlung zu übernehmen? Der Besitzer konnte sich einfach nicht für einen Makler entscheiden, aber die Chancen standen gut, dass sie den Zuschlag bekommen würden. Die Wohnung ließ sich seiner Meinung nach gut verkaufen und eine hohe Provision war ihrer Firma gewiss. Und damit auch die Anerkennung des Chefs für den ausführenden Makler. „Geht es um die Eigentumswohnung Hohe Straße?“
Warsers nickte heftig: „Der Verkäufer hat sich endlich für einen Makler entschieden. Zum Glück für uns.“
„Ja, zum Glück.“ Tobias versuchte sich seine Resignation nicht anmerken zu lassen. „Und was wolltest du mich jetzt fragen?“
„Glaubst du, dass ich den Chef um eine Gehaltserhöhung bitten kann, wenn ich die Wohnung verkaufe? Die Provision wird der Firma einen Batzen Geld einbringen und be...“
„Ja, mach das Walther“, unterbrach ihn Tobias, der sich plötzlich nach einer seiner kleinen weißen Pillen sehnte. „Nach dem Verkauf der Wohnung wird er wohl kaum ‚nein‘ sagen.“ Eigentlich sollte dies seine Chance sein. Und das nach all der Vorarbeit, die er geleistet hatte! Er machte die Drecksarbeit und dieser Idiot Warsers erntete die Lorbeeren.
Kaum, dass sein Kollege wieder fort war, schluckte Tobias zwei der Pillen. Sehnsüchtig wartete er auf die Wirkung.
Entgegen der euphorischen Vorhersage seines Kollegen fing es im Laufe des Nachmittags doch wieder an zu regnen. Nicht mehr so stark wie gestern, aber genug, um Tobias die Laune endgültig zu vermiesen. Sein Chef hatte ihm für die Formulare nur mit einem Kopfnicken gedankt und mit dem Finger auf den freien Platz gewiesen, wo er sie hinlegen sollte.
Jetzt quälte Tobias Kestel sich durch den Feierabendverkehr. Aber noch befand er sich nicht auf dem Weg nach Hause. Zunächst plante er einen Abstecher nach Köln Lindweiler zu machen und sich die Wohnsituation von Mutter und Tochter Hensenbrugger anzusehen. Zumindest von außen. Er hatte die Fahrstrecke im Kopf und fand die Adresse auf Anhieb. Triste Hochhäuser reihten sich aneinander und Kestel fuhr ohne anzuhalten durch die Straßen. Er hielt sich strikt an die Geschwindigkeitsbeschränkungen, da er auf keinen Fall auffallen wollte. Den Spielplatz erkannte er schon aus einiger Entfernung. Alte, teilweise verrostete Spielgeräte zeugten von besseren Zeiten und luden nicht unbedingt zum Spielen ein. In einer Ecke entdeckte er einige Jugendliche, die sich trotz des Nieselregens um eine Sitzbank gruppierten. Alle trugen Kapuzen auf dem Kopf und Tobias entdeckte einige Flaschen Bier und sogar eine halbleere Flasche Wodka. ‚Die Zukunft unseres Landes‘, dachte er und fuhr zügig weiter. Niemand beachtete ihn. Um nicht doch noch aufzufallen, verzichtete er auf eine zweite Runde um die Wohnblöcke herum und fuhr schließlich nach Hause.
„Du bist spät dran“, empfing ihn seine Frau Angelika mit einem vorwurfsvollen Blick. „Du weißt doch, dass ich mit den Mädels zum Shoppen will. Heute ist mein Tag!“
Tobias nickte automatisch. Natürlich hatte er vergessen, dass heute ‚ihr Tag‘ war. Dafür fiel ihm der Geruch nach Rotwein an ihr auf. „Hast du getrunken?“
„Nur ein Gläschen zum Vorglühen“, lächelte sie. „Du hast mich ja zu lange warten lassen. Das Essen ist übrigens in der Mikrowelle und die Kinder sind auf ihren Zimmern. Nur falls dich das überhaupt interessiert.“
Tobias war froh, dass seiner Frau jetzt keine Zeit blieb, mit ihm Streit anzufangen. Vor der Tür hupte das Taxi, während im Hintergrund ein Feuerwehrwagen mit ohrenbetäubender Sirene aus der Halle schoss. Angelika hielt sich die Ohren mit beiden Händen zu und rannte ohne ein weiteres Wort aus dem Haus. Sie würde erst spät in der Nacht ziemlich betrunken nach Hause kommen. Tobias kannte diese ‚Shoppingtouren‘ schon. Die drei Freundinnen gingen in irgendein Restaurant, um etwas zu essen und danach zogen sie durch die Kneipen. Vielleicht kauften sie auch als Alibifunktion zwischendurch noch die ein oder andere Bluse, das war’s dann aber auch. Tobias hasste Alkohol, seitdem sein Vater ihn im Alter von sechzehn Jahren zum ‚Mann‘ machen wollte. Er hatte seitdem nie wieder einen Tropfen angerührt. Die einzige Ausnahme bildete reiner Alkohol, den er aber zum Reinigen benutzte. Reiner Alkohol und vielleicht auch verdünnte Salzsäure, wenn es ganz besonders sauber werden musste.
Das Schlafzimmer stank nach Kneipe und billigem Fusel, als Tobias erwachte. Angelika war kurz vor fünf Uhr morgens nach Hause gekommen und stellte damit einen neuen Rekord auf. Er wurde wach, als sie sich auf das Bett fallen ließ und sofort in tiefen Schlaf fiel. Seine Frau hatte es nicht einmal mehr geschafft, sich auszuziehen, lediglich von den Schuhen konnte sie sich befreien. Ihre Kleidung stank nach Alkohol und Zigarettenrauch und Tobias drehte sich angewidert um. Morgens wunderte er sich, wie er überhaupt noch einmal hatte einschlafen können.
Jetzt betrachtete er Angelika in der beginnenden Dämmerung. Der Lippenstift war um den Mund herum verschmiert und sie sah ein wenig wie ein Clown aus. Schwarze Streifen von verlaufener Wimperntusche schmückten ihre Wangen von den Augen herunter. Sie lag auf dem Rücken und Tobias erkannte Schmutzflecken auf ihren Knien und am Kleid. Angelika musste hingefallen sein, aber offensichtlich war sie nicht verletzt. Wie lange waren sie jetzt verheiratet? Er brauchte nicht lange zu rechnen, denn der Grund ihrer Ehe lag im Zimmer nebenan: Laura mit ihren sechzehn Jahren. Die ganze Sache lief von Anfang an so richtig schief. Es war niemals sein Plan gewesen, eine Frau kennenzulernen, geschweige denn zu heiraten. Doch Angelika wusste genau, was sie wollte und Tobias überlegte oft, ob sie nicht mit Berechnung gehandelt hatte. Manchmal zweifelte er sogar daran, dass Laura überhaupt sein Kind war. Jedenfalls schaffte sie es, dass sie heirateten und das war wirklich ein Fehler gewesen.
Eine Zeit lang hatte der Sex mit ihr auf ihn ablenkend gewirkt und seine innere Unruhe gelindert. Doch der Reiz verflog schnell und besonders nach Finns Geburt war er mit seinen Gefühlen und Problemen wieder alleine. Die Geburt des Jungen stürzte seine Frau in eine Depression, die sie anfänglich gar nicht als solche erkannten. Immer häufiger griff sie zum Alkohol, bis ihr ein Arzt schließlich Antidepressiva verschrieb. Bis zur Geburt ihres Sohnes hatte sie ihre Probleme einigermaßen im Griff gehabt, doch danach wurde es schlimmer und schlimmer. Angelika fühlte sich durch die beiden Kinder einfach überfordert, obwohl sie keiner Arbeit nachging und den ganzen Tag zu Hause blieb. Bald schon kombinierte sie die Tabletten mit Alkohol und es kam schließlich der Tag, als Tobias einfach nur noch wegschaute. Er hatte die ewigen Streitereien satt, die jedes Mal aufkamen, wenn er ihren Alkoholkonsum kritisierte. Einmal mehr dachte er über die Scheidung nach, doch so richtig konnte er sich dazu nicht durchringen.
Nach ihrer Hochzeit häuften sich seine Probleme ebenfalls und während einer Routineuntersuchung durch seinen