Das Kestel Psychogramm. Jürgen Ruhr
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„Aufwachen mein Schatz.“ Tobias rüttelte seine Tochter vorsichtig an der Schulter, bis die ihn verschlafen ansah. „Papa. Guten Morgen. Wo ist Mama?“
„Guten Morgen, Kleines. Mama schläft noch, sie hatte gestern einen schweren Tag“, die Wahrheit würden seine Kinder noch früh genug erfahren. „Heute habe ich euch Frühstück gemacht. Also, raus aus den Federn, gewaschen und ab in die Küche. Ich muss Finn wecken.“
Sein Sohn wurde zwei Jahre nach Laura geboren. Eigentlich hatten Angelika und er sich darauf geeinigt, keine weiteren Kinder zu bekommen, doch nach einer ihrer ‚Shoppingnächte‘ war es ihr so schlecht gegangen, dass sie sich ständig übergeben musste. Vermutlich hatte sie an dem Tag ihre Verhütungspille wieder ausgekotzt oder sie einfach vergessen. Jedenfalls war das Ergebnis dieses Versäumnisses Finn, der exakt neun Monate später auf die Welt kam. Tobias war glücklich und dankbar, dass der Junge ohne Behinderung geboren wurde, was bei dem Tabletten- und Alkoholkonsum seiner Frau keine Selbstverständlichkeit war.
„Finn, wach auf. Es wird Zeit für die Schule.“ Der Kleine lag auf der Seite, wandte ihm das Gesicht zu und nuckelte im Schlaf an seinem Daumen. Tobias hatte oft mit Angela gesprochen, dass sie dem Jungen das doch abgewöhnen solle, doch auch hier musste er bald einsehen, dass seine Predigten lediglich zu Streitereien mit ihr führten. Nun, Finn würde sich das Daumenlutschen schon mit zunehmendem Alter selber abgewöhnen. Ebenso, wie sich das leichte Stottern mit der Zeit ja auswachsen sollte.
Er warf einen Blick auf seine Uhr. Wie immer, wenn er sich morgens um die Kinder kümmern musste, würde er auch heute wieder zu spät ins Büro kommen. Bensmann dürfte darüber nicht erfreut sein, aber vielleicht merkte er es auch gar nicht.
„W... w... wo ist M... ama?“, fragte Finn und stopfte sich ein Weißbrot mit Schokoladenaufstrich in den Mund. Finn liebte Süßigkeiten, süßes Essen und gezuckerte Getränke und das sah man ihm auch an. Der Junge vermied darüber hinaus alle übermäßigen Aktivitäten und konzentrierte sich lieber auf das Spielen am Computer. Mit seinen vierzehn Jahren hatte er schon einmal eine Schulklasse wiederholen müssen. Tobias fragte sich, ob sein Sohn einfach nur faul war oder wirklich nicht über die notwendige Intelligenz verfügte. Laura war da ganz anders. Das Mädchen war schlank, sportlich und eine durchschnittliche bis gute Schülerin.
„Mama schläft noch“, erklärte Tobias. „Sie hatte gestern einen schweren Tag.“ Er übersah geflissentlich, wie sich seine Kinder einen wissenden Blick zuwarfen.
Tobias Kestel schlich sich in das Großraumbüro und hoffte, dass sein Chef ihn noch nicht vermisst hatte. Doch seine Hoffnung erfüllte sich nicht, denn Bensmann stand neben seinem Arbeitsplatz und sah ihm verärgert entgegen. „Kestel, sie sind schon wieder zu spät. Das wievielte Mal ist es das jetzt schon in diesem Monat?“ Bensmann wollte keine Antwort, sondern fuhr direkt fort: „Ich werde ihnen die ständigen Fehlzeiten vom Gehalt abziehen! Sehen sie zu, dass sie in Zukunft pünktlicher sind.“ Der Chef blickte auf seine Armbanduhr. Es handelte sich um eine einfache, schmucklose Uhr irgendeines unbekannten Herstellers. Tobias dachte an seine Lacroix und ihn überkam ein kurzes Gefühl der Überlegenheit.
„Sie sollten um halb Zehn wegen der Wohnungsvermietung in Troisdorf sein, schon vergessen? Mensch, Kestel, sie werden immer unzuverlässiger. Jetzt musste ich Warsers hinschicken und der hat weiß Gott andere Aufgaben. Sie wollen doch nicht, dass ich mich nach einem neuen Mitarbeiter umsehen muss?“ Bensmann wandte sich um, und rief ihm im Gehen noch zu: „Und vergessen sie den Termin um vierzehn Uhr nicht!“
Tobias schlich wie ein geprügelter Hund an seinen Schreibtisch. Rasch nahm er eine Pille, dann widmete er sich seinen Aufgaben. Vielleicht müsste er ja doch noch einmal mit seiner Frau sprechen, denn so konnte es nicht weitergehen!
Der Dauerregen der letzten Tage hatte endlich aufgehört und manchmal drang die Sonne schon durch die Wolkendecke. Es war zwar noch ungemütlich kalt, doch der Frühling nahte mit Riesenschritten. Wenigstens blieb es jetzt trocken. Den Besichtigungstermin spulte Tobias mit ruhiger Professionalität ab, die Fragen der Interessenten blieben sich immer gleich und schließlich verstaute er den obligatorischen Stapel mit den ausgefüllten Bewerbungsbögen in seiner Aktentasche. Die Besichtigung hatte im Stadtteil Ossendorf stattgefunden, eine schäbige Dreizimmerwohnung, für die es aber wieder zahlreiche Interessenten gab. Tobias sehnte sich nach der Vermittlung der Eigentumswohnungen zurück. Die potentiellen Käufer einer Wohnung waren doch eine ganz andere Klientel, als diese profanen Mieter!
Es war noch relativ früh und er würde die Formulare im Büro schon einmal vorsortieren können. Diesmal befand sich kein Umschlag mit Bargeld dabei, dafür hatte ihm eine blondierte, dickbusige Frau Mitte Zwanzig eindeutige Angebote gemacht. Sie bot sich sogar an, zu warten, bis alle anderen Interessenten die Wohnung verließen. Die Frau sprach leise und hastig und sparte nicht mit bildreichen Erklärungen, was sie alles mit ihm anstellen würde. Natürlich müsste er ihr zusagen, dass sie sie die Wohnung erhielt. Tobias winkte dankend ab und merkte sich den Namen der ‚Dame‘. Die Unterlagen würden als erste im Schredder verschwinden.
Ohne wirklich darauf geachtet zu haben, schlug er die Strecke zu dem Stadtteil ein, in dem Mia mit ihrer Mutter wohnte. Es war ein ziemlicher Umweg, aber Tobias dachte einfach nicht darüber nach. Langsam fuhr er wieder die Straße am Spielplatz entlang. Um diese Zeit befanden sich nicht viele Menschen auf den Straßen. Wer hier überhaupt einer Arbeit nachging, der würde erst in gut einer Stunde nach Hause kommen.
Und dann sah er sie!
Die blonden Locken fielen ihm sofort auf. Mia trug eine rostrote Jacke und saß auf der Schaukel. Träge schwang sie hin und her. Tobias Herz begann zu klopfen und eine gewisse Unruhe bemächtigte sich seiner. Er dachte an die blauen Augen, die ihn in der Wohnung so unschuldig angesehen hatten. Die Zunge, blau gefärbt vom Dauerlutscher, die sie ihrer Mutter verschmitzt herausgestreckt hatte. Er sah sich um. Auf dem Spielplatz befanden sich momentan keine anderen Kinder, die Kleine war ganz alleine. Und sie schien sich zu langweilen.
„Bald wird es dir bessergehen“, flüsterte er heiser und sein Mund wurde ganz trocken. „Dann hat das Elend hier ein Ende.“ Er ließ den Wagen noch ein Stück weiter rollen und parkte ihn dann am Straßenrand. Tobias Kestel holte tief Luft. Er war nicht vorbereitet, hatte nicht damit gerechnet, das Mädchen jetzt hier zu finden. Und dann auch noch alleine. Mit fahrigen Händen suchte er in seinen Taschen nach der Dose mit den Pillen. Aber er fand sie nicht auf Anhieb und stieg stattdessen aus dem Wagen. Vielleicht war das ja auch ein Zeichen, hatte etwas zu bedeuten, dass er die Pillen nicht fand.
Tobias verschloss den Wagen sorgfältig. Er hatte noch keinen Gedanken daran verschwendet, wie er vorgehen würde, alles fand so spontan statt ... ‚Du sagst ihr, dass du eine Wohnung für die Beiden hast und ihre Mutter dort auf sie wartet‘, reifte ein Plan in seinen Gedanken. Sein Herz schlug immer noch wild und ein bisher in seiner Intensität unbekanntes Gefühl der Vorfreude bemächtigte sich seiner. Es konnte nichts schiefgehen, er war der Wohnungsmakler, die Kleine kannte ihn! Auf dem Weg zum Spielplatz beschleunigte er seine Schritte.
Hinter einem niedrigen Busch, in sicherer Entfernung zum Spielplatz, beobachtete er das Mädchen. Mia war immer noch alleine und schaukelte hin und her. Sie trug zu der roten Jacke eine abgewetzte blaue Jeans, die deutliche Spuren ihres Spielens trug. Die Füßchen steckten in alten Turnschuhen. Tobias malte sich aus, wie die Kleine in einem weißen Kleid aussehen würde und nahm sich vor, so etwas in irgendeinem