Das Kestel Psychogramm. Jürgen Ruhr

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Das Kestel Psychogramm - Jürgen Ruhr

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      Aber heute war sein Tag! Am Nachmittag würden einige Verwandte, Oma und Opa und eine Tante zu Besuch kommen und die Einschulung zusammen mit ihnen feiern. Und natürlich dürfte ein jeder Geschenke, Süßigkeiten und vielleicht auch die ein oder andere D-Mark für ihn mitbringen. Es musste einfach so sein!

      „Verdammt, Tobias, wo bleibst du?“ Seine Mutter rief nach ihm aus der Diele, in der sie mit seiner kleinen Schwester auf ihn wartete. Wie er wusste, begann der Tag mit einem Gottesdienst in der Kirche neben der Schule und erst danach ging es in den Klassenraum selbst. Tobias war aufgeregt und ängstlich zugleich. Ein neuer Abschnitt in seinem Leben begann. Oder wie sein Vater ihm oft genug eingebläut hatte: „Jetzt beginnt der Ernst des Lebens!“ Tobias konnte sich nichts darunter vorstellen, nickte aber brav, um seinen Vater nicht zu verärgern. Der lächelte dann zufrieden und wenn er wirklich gute Laune hatte, dann legte er ihm sogar die Hand auf die Schulter.

      Tobias rieb an dem Fleck an seinem Knie herum. Für den ersten Schultag hatte seine Mutter ihn extra ‚fein gemacht‘ und einen dunkelblauen Anzug besorgt. Er passte nicht so richtig und Tobias befürchtete, dass die Kleidung vom zwei Jahre älteren Nachbarjungen stammte. Auf jeden Fall war niemand mit ihm einkaufen gegangen und er musste den Anzug auch in keinem Geschäft anprobieren.

      Jedenfalls war da jetzt der braune Schokoladenfleck, den er seiner Schwester verdankte. Sie hatte mit einem Stück Schokolade nach ihm geworfen, als er nicht direkt auf die Frage antwortete, wie sie in ihrem neuen Kleid aussah. Das Kleid kauften seine Mutter und Steffi in einem Geschäft für ausgesuchte Kindermoden schon Tage zuvor.

      „Wenn du nicht sofort kommst, dann hole ich dich!“, drang die drohende Stimme an sein Ohr.

      Um dem kommenden Ärger zu entgehen, rief er hastig „Ich komme“ und verdoppelte seine Bemühungen den Fleck zu entfernen. Doch durch die Wärme der Reibung vergrößerte er ihn nur noch mehr. Schließlich gab der Junge seufzend auf.

      „Wie siehst du denn aus?“, schrie ihm seine Mutter entgegen, kaum dass sie ihn erblickte. Natürlich bemerkte sie den Fleck sofort. „Ausgerechnet jetzt musst du noch Schokolade in dich hineinstopfen? Du weißt doch, wie ungesund das ist! Was ist denn bloß los mit dir Junge? Da macht man und tut und schuftet und das ist dann die Dankbarkeit, die man erfährt.“ Während seine Mutter weiter vor sich hin schimpfte, rieb sie mit einem feuchten Lappen an seinem Knie herum. Die Hose war nun an der Stelle nass und der Fleck vergrößerte sich noch weiter. Es machte jetzt den Anschein, als hätte er in die Hose gemacht. Zum Glück befand sich der braune, feuchte Fleck nicht auf der Rückseite der Hose.

      Nach ein paar Minuten gab sie es auf. „Dann musst du halt so an deinem ersten Schultag gehen“, meckerte sie. „Dann erhält die Lehrerin schon direkt den richtigen Eindruck von dir!“

      Sie blickte an ihm herunter, wandte sich zum Gehen und stutze plötzlich. Wo sind denn dein Ranzen und die Schultüte? Los, geh und hol die Sachen und beeil dich, wir sind schon spät dran.“

      Tobias wusste zwar, wo sich sein Ranzen befand, war sich aber nicht sicher, ob sie schon heute die Schulsachen mitnehmen sollten. Jedenfalls hatte niemand etwas in dieser Hinsicht erwähnt. Wo seine Mutter aber die Schultüte verwahrte, konnte er beim besten Willen nicht sagen. „Vielleicht brauchen wir den Ranzen heute noch nicht“, bemerkte er kleinlaut und fast flüsternd.

      „Was hast du gesagt? Laut und deutlich und wohlartikuliert! Verdammt, wie oft muss ich das denn noch predigen?“

      Tobias konnte zwar mit ‚laut und deutlich‘ etwas anfangen, was aber ‚wohlartikuliert‘ bedeutet, verschloss sich ihm. „Kann doch sein, dass wir den Ranzen heute nicht brauchen“, wiederholte er etwas lauter. „Und wo die Schultüte ist, weiß ich nicht.“

      „So so, der Herr entscheidet jetzt, ob man in der Schule einen Ranzen braucht oder nicht“, stieß seine Mutter mit rotem Kopf hervor und Tobias senkte den Blick. Sie war nahe davor, die Geduld zu verlieren und das bedeutete mindestens eine Ohrfeige für ihn. „Du holst jetzt sofort deinen Ranzen und die Schultüte liegt in der Küche. Wärst du nicht so trödelig, wüsstest du das alles!“

      Tobias drehte sich rasch um, um den drohenden Schlägen zu entgehen. So schnell ihn seine kleinen Beine trugen, holte er den Ranzen und die Schultüte. Darin klapperte es verführerisch und vor seinen Augen erschienen Schokoladen, Bonbons und andere Süßigkeiten. Leider hatte seine Mutter keine Zeit erübrigen können und war nicht zum gemeinsamen Basteln in die Schule gekommen, wie all die anderen Mütter. Irgendwann brachte sie diese fertige Tüte von einem Einkauf mit nach Hause. Tobias gefiel sie nicht sonderlich, denn es handelte sich eindeutig um eine Mädchenschultüte. Auf einem rosafarbenen Untergrund mit goldenen Sternen tanzte irgendeine Märchenfigur in einem scheußlichen Ballettkostüm. Doch es kam schließlich auf den Inhalt an und außerdem blieb ihm ja keine Wahl.

      Die Kirche betraten sie als einige der Letzten und das brachte Tobias einen bösen Blick seiner Mutter ein. Die Messe begann gerade und alle Bänke waren belegt. Seine Mutter quetschte sich mit Mühe auf einen Platz und nötigte ihre Sitznachbarn dadurch enger zusammenzurücken. Dann nahm sie seine Schwester auf den Schoß. Tobias stand im Gang neben ihnen und ließ seinen Blick über die zukünftigen Mitschüler und ihre Familien schweifen. Viele berufstätige Väter und Mütter hatten sich diesen Tag frei genommen, um bei ihren Sprösslingen zu sein. Sein Vater wollte ‚für diesen Quatsch‘, wie er es ausdrückte, keinen freien Tag opfern und erstickte jede von Tobias Bitten sofort im Keim. Wenn Mutter dabei wäre, würde das schließlich reichen. Alle lauschten aufmerksam den Worten des Pfarrers und während Tobias sich so umschaute, konnte er kein einziges Kind mit einem Ranzen entdecken. Und keinen Jungen, der eine rosafarbene Schultüte auf dem Arm hielt.

      Nach der Messe folgten sie dem Pulk zur Schule hinüber. Tobias taten die Beine vom langen Stehen weh und er hatte Mühe seiner Mutter zu folgen. Die ermahnte ihn ständig, nicht so langsam zu gehen, sie würden doch seinetwegen den Anschluss verpassen. Tobias bemühte sich schneller zu laufen und stolperte über einen Stein, wobei ihm die Schultüte aus der Hand fiel. Rasch bückte er sich danach, noch gingen Schwester und Mutter vor ihm und hatten nichts bemerkt. Irgendjemand stieß von hinten gegen ihn und brachte ihn endgültig ins Straucheln. Tobias fing sich mit einer Hand ab, wobei er sich auf die Schultüte stützte. Genau an der Stelle, an der die Tänzerin einen Fuß auf eine blassblaue Wolke setzte, verunstaltete plötzlich ein tiefer Knick die Tüte.

      Ein Mann half ihm auf. „Junge, du musst aber besser aufpassen. Bist wohl eine kleiner Hans-guck-in-die-Luft, was?“ Die zerbeulte Schultüte landete wieder in seinen Händen und der Junge bemühte sich, seine Mutter einzuholen. Zum Glück hatten weder sie, noch die Schwester etwas gemerkt.

      Auf dem Schulhof standen mehrere Lehrer und Lehrerinnen, die sich um die neuen Schüler und deren Eltern kümmerten. Sie hielten Listen in den Händen. Tobias‘ Mutter nannte einer kleingewachsenen Frau mit grellroten Haaren ihren Namen. Die zeigte auf eine Baracke am Rande des Schulhofes: „Klasse 1D, Frau Kestel. Gehen sie dort hinüber, Tobias‘ Klassenlehrerin sagt ihnen dann, wie es weitergeht.“

      „Siehst du, Tobias, jetzt bist du schon fast ein Schüler“, meinte seine Mutter und betrachtete ihn. Den Fleck auf der Hose ignorierte sie geflissentlich, dann verharrte ihr Blick auf der demolierten Schultüte. „Was hast du denn jetzt schon wieder angestellt?“, grollte sie böse. „Kannst du mit deinen Sachen nicht vernünftig umgehen? Es ist eine Schande, man muss sich ja für dich schämen!“

      Während des gesamten Weges bis zu der kleinen Baracke, die in zwei Schulräume unterteilt war, hielt sich seine Mutter mit der Strafpredigt dran. Stefanie sah sich derweil mit großen Augen um. „Darf ich auch bald in die Schule?“, fragte sie und stoppte damit den Redefluss ihrer Mutter.

      „Da musst du noch ein

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