Das Kestel Psychogramm. Jürgen Ruhr

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Das Kestel Psychogramm - Jürgen Ruhr

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auch schon rechnen. Zwei mal zwei ist fünf.“

      „Vier“, korrigierte Tobias, der zwar noch nicht gut rechnen konnte, doch so leichte Aufgaben bereiteten ihm keine Probleme.

      „Sei nicht so vorlaut, Tobias“, rügte ihn seine Mutter. „Das wirst du dir in der Schule ganz schnell abgewöhnen müssen. Bevor du etwas sagst, musst du dich nämlich melden!“

      Die Klassenlehrerin, eine ältere, magere Frau, nahm sie an der Tür in Empfang. Diesmal musste Tobias seinen Namen nennen. „Du hast aber eine schöne Schultüte“, lobte sie und Tobias wusste, dass die Frau log. „So ... so ... speziell. Und einen Ranzen hast du auch schon mitgebracht. Du bist ja ein ganz eifriger, was?“ Sie zeigte auf einen Tisch, hinter dem zwei Stühle standen. Auf dem einen saß ein dicker Junge mit roten Haaren. „Das ist dein Platz. Setz dich dort hin, der Unterricht beginnt gleich.“

      „Hallo, ich bin Tobias.“ Er ließ sich auf dem Stuhl nieder, was wegen des Ranzens auf dem Rücken sehr unbequem war. Tobias saß vornübergebeugt und hielt seinem Tischnachbarn die Hand hin.

      „Marvin“, erwiderte der kurz angebunden, ergriff aber nicht die dargebotene Hand. Dann blickte er ostentativ zur Tafel vorne. Tobias spürte, dass sie keine Freunde werden würden.

      Irgendwann befanden sich alle Schüler im Klassenraum. Mütter und Väter standen an den Seiten des Raumes und betrachteten ihre Kinder stolz. Tobias warf einen Blick zu seiner Mutter, bemerkte aber, dass die sich mit seiner Schwester beschäftigte. Fotos wurden gemacht und als schließlich etwas Ruhe eintrat, begann die Lehrerin lustlos mit dem ‚Unterricht‘. Dabei handelte es sich aber mehr um Hinweise zum Schulalltag, Informationen über Bestimmungen und Verbote und schließlich erhielten sie eine Liste mit den Dingen, die sie in den nächsten Tagen mitzubringen hatten. Tobias langweilte sich schon nach kurzer Zeit, da er nur die Hälfte von dem verstand, was die magere Frau erzählte. Seine Gedanken schweiften ab und erst als der rothaarige Junge neben ihm, gegen seine Schulter schlug, blickte er auf.

      „Hallo, da haben wir ja einen kleinen Träumer“, ließ sich die Lehrerin vernehmen und einige der Eltern lachten leise. Tobias spürte, wie er rot im Gesicht wurde. „Also Junge?“

      Tobias blickte die Lehrerin fragend an. Dann schweifte sein Blick hilfesuchend zu seiner Mutter, die ihn aber lediglich böse ansah.

      „Aufstehen, du bist an der Reihe“, zischte der Dicke neben ihm und Tobias erhob sich unsicher. Da er nicht aufgepasst hatte, wusste er auch nicht, was man von ihm erwartete.

      „Nun, Träumer?“, hörte er die Lehrerin ungeduldig sagen. „Wie heißt du und was sind deine Hobbies?“

      „Tobias“, stotterte er und überlegte, was für Hobbies er hatte. Eigentlich keine, aber das konnte er doch hier jetzt nicht sagen.

      „Und weiter? Du musst schon deinen vollständigen Namen nennen!“ Die Lehrerin hielt in der Hand ein Holzlineal und ließ es nun auf ihre linke, offene Handfläche klatschen. Tobias fühlte sich an den Lederriemen seines Vaters erinnert und ein ungutes Angstgefühl breitete sich in seinem Körper aus.

      „Tobias Kestel“, stammelte er schließlich, wurde aber von der Lehrerin sofort unterbrochen: „Wir bemühen uns hier um ganze Sätze, Tobias. Wir sind ja schließlich nicht im Kindergarten. Beginn noch einmal von vorne, Junge: Ich heiße ...“ Wieder lachten einige Eltern und Tobias spürte eine nie dagewesene Wärme im Gesicht und eine zunehmende Hilflosigkeit.

      „Ich heiße Tobias Kestel.“

      Es trat ein Augenblick der Stille ein. Schließlich schüttelte die Lehrerin den Kopf: „Ja und? Welche Hobbies hast du?“

      Tobias fiel nichts ein und er überlegte angestrengt. Dann dachte er an das Planschbecken im Garten. „Schwimmen.“

      „Mein Hobby ist Schwimmen“, wandelte die Lehrerin seine Aussage in einen ganzen Satz um. Sie klang ziemlich genervt. „Jetzt du, Tobias.“

      „Mein Hobby ist Schwimmen.“

      Unter dem erneuten Lachen einiger Eltern durfte er sich setzen. Seine Mutter blickte ihn immer noch böse an, wandte sich dann aber wieder Steffi zu.

      Der ‚Unterricht‘ endete schließlich und Tobias atmete erleichtert auf. Die ganze Zeit hatte er befürchtet, erneut aufstehen und etwas sagen zu müssen. Doch die Lehrerin ignorierte ihn weitestgehend.

      „Du blamierst die ganze Familie!“, schrie ihn seine Mutter an, kaum dass sie den Schulhof verlassen hatte. „Schwimmen! Herrgott, du kannst doch gar nicht schwimmen. Wie kommst du darauf, der Lehrerin solch eine Lüge aufzutischen? Warte nur ab, sie wird schon selbst herausfinden, dass du sie belogen hast, denn auf eurem Stundenplan steht auch Schwimmunterricht. Und dann Gnade dir Gott!“

      Vor Tobias‘ innerem Auge wandelte sich das Holzlineal der Lehrerin in den Ledergürtel seines Vaters. Der Junge musste schwer schlucken, um die Tränen zu unterdrücken.

      Zu Hause angekommen, durfte er endlich die Schultüte öffnen. Seine Schwester saß mit ihm am Küchentisch und beobachtete ihn ganz genau. Tobias überkam ein Gefühl der Überlegenheit. Er war eingeschult worden! Langsam und genussvoll räumte er seine Schultüte Stück für Stück aus. Dies gehörte allein ihm und Stefanie konnte nichts anderes tun, als ihm zuzusehen und die Geschenke und Süßigkeiten, die er gleich Zutage fördern würde, zu bewundern. Tobias ließ sich absichtlich Zeit. Er wollte den Moment so lange wie möglich genießen. Das Gefühl der Überlegenheit, des Besitzes und der Aufmerksamkeit.

      Doch das Gefühl hielt genau bis zu dem Moment an, als seine Mutter lächelnd mit einer Miniaturschultüte in die Küche trat und sie seiner Schwester in die Hand drückte. „Du sollst doch nicht leer ausgehen, Steffi. Das ist eine Kindergartentüte.“

      Stefanie sah ihre Mutter dankbar an. „Danke Mami, du bist die beste Mami der Welt.“ Sie sprang auf und küsste ihre Mutter auf die Wange. Dann goss sie den Inhalt der kleinen Tüte auf den Tisch. Schokoladenbonbons in lustig buntem Papier türmten sich zu einem kleinen Berg.

      Tobias kramte jetzt schneller in seiner Schultüte und legte deren Inhalt nacheinander auf den Tisch: Ein kleines Mäppchen mit Bleistiften, eine Tüte mit Mutters selbstgebackenen und ungenießbaren Keksen, ein Apfel, eine Banane und eine Tafel Schokolade, die durch seinen Sturz stark in Mitleidenschaft gezogen worden war und mehrere Risse zeigte. Schokoladenkrümel rieselten auf den Tisch und Tobias standen die Tränen in den Augen.

      „Nun mach doch nicht so eine Sauerei“, wies ihn seine Mutter auch gleich zurecht und wischte die Krümel mit einem Lappen fort. „Freust du dich denn gar nicht? Nimm dir mal ein Beispiel an deiner Schwester.“ Demonstrativ hielt sie ihm ihre Wange hin. Angewidert drückte Tobias ihr ein Küsschen darauf und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie sich seine Schwester gleich zwei der köstlichen Sahnebonbons in den Mund schob.

      Am Nachmittag trudelten nach und nach die Verwandten ein. Tobias sah sich noch einmal im Mittelpunkt stehen, doch Oma und Opa, Tante und Onkel wandten sich Stefanie zu, als die ihnen stolz ihre ‚Kindergartentüte‘ präsentierte. Leider fehlte inzwischen der Inhalt, aber die ein oder andere Tafel Schokolade, die die Verwandten nun augenzwinkernd hineinlegten, änderte diesen Zustand. Auf Tobias machte es den Eindruck, als würden Süßigkeiten, die eigentlich ihm gegolten hatten, in der Tüte seiner Schwester verschwinden.

      Der Onkel nahm ihn zur Seite und hielt ihm einen roten Gegenstand hin. „Hier Tobbi, das ist für dich. Schließlich bist du jetzt ein Mann und jeder Mann sollte so etwas besitzen. Aber erzähl niemandem, dass du es von mir hast.“ Er drückte

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