Der Seelendieb. Annette Philipp-Scherer
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Sein Telefon klingelte und in der Luft vor ihm erschien ein blaues Quadrat, das er mit den Fingern berührte. Ein Fenster öffnete sich und er sah Doktor Peterson. »Nun, mein Lieber, was haben Sie mir zu berichten?«, fragte Zhang Lieh. Peterson sagte: »Es war wie Sie vermutet hatten; sie war schwanger.« Zhang Lieh lächelte. »Gute Arbeit«, lobte er, »ich werde Sie weiterempfehlen.« Peterson druckste ein wenig herum.
»Was ist denn noch?«, fragte Zhang Lieh ungehalten.
»Ich finde, das ist noch einen kleinen Zuschuss wert«, meinte Peterson. Eine Ader an Zhang Liehs Schläfe begann zu pochen, nur mit Mühe blieb er ruhig. »Aber natürlich«, sagte Zhang Lieh liebenswürdig. »Ich sag Ihnen was, ich komme morgen vorbei und bringe, was Ihnen zusteht.« Ohne auf eine Antwort zu warten, legte Zhang Lieh auf, es wurde Zeit, diesem Peterson das Maul zu stopfen. Noch einmal dachte er kurz an Daphne, er hoffte, dass er dem vorlauten Miststück mit der Abtreibung das Herz gebrochen hatte.
Daphne erwachte in der Dunkelheit, man hatte sie wieder auf den Haufen alter Wäsche gelegt. Sie konnte nichts sehen, denn sie trug noch immer die Augenbinde. Aber sie konnte den gleichen Geruch wie am Vortag wahrnehmen. Daphne war es schrecklich übel, und wenn sie sich bewegte, raste ein Schmerz wie Feuer durch ihren Körper, der seinen Ursprung in ihrem Unterleib hatte. Ein Schluchzen löste sich aus ihrer Kehle, und sie begann zu weinen wie sie noch nie in ihrem Leben geweint hatte. Etwas später sank sie erschöpft in einen schlafähnlichen Zustand. Es war ihr, als hörte sie Stimmen, Hände schienen sie zu streicheln, ihr Gesicht, ihren Bauch. Sie nahmen ihr die furchtbaren Schmerzen. Allmählich konnte sie die Stimmen besser verstehen, denn sie hörte, wie ihr Name gerufen wurde. »Daphne, Tochter der Erde«, vernahm sie, »wir können in den Lauf der Dinge nicht eingreifen. Gib jetzt nicht auf, Daphne, vertraue auf die Zukunft, wir versprechen dir, es wird sich alles wenden, auch wenn du jetzt ohne Hoffnung bist.« Am liebsten hätte sie vor Wut zurückgeschrien, »Lasst mich doch bitte, bitte sterben, wer soll mir denn jetzt noch helfen!«, doch sie war zu schwach. Die Geister aber hatten sie verstanden, weiter schienen Hände sie zu streicheln, berührten jene Energiepunkte im Körper, die Hilfe und Linderung brachten. Von Minute zu Minute spürte sie, wie ihr Körper gesundete, es fühlte sich an, als würde ein goldenes Licht in sie hineinfließen, bis es sie ganz erfüllte. In ihrem Inneren wurde sie ganz ruhig, hatte der Wille Buddhas und der der Geister sie nicht immer gut geleitet? Ergeben schloss sie die Augen und ließ sich ganz auf die Geister ein.
Für einen Moment glaubte sie, wieder im Kloster Sakja zu sein, sie und ihr Lehrer Tse Wang diskutierten über Begierde. Sie saßen sich in der Halle der Meditation gegenüber, angenehmes Halbdunkel umfing sie. Sie sah die langen Reihen der goldenen Gebetsmühlen, die dunkelroten Sitzkissen, die auf dem Boden lagen, Schalen, gefüllt mit Jakbutter, in denen kleine Flämmchen des Ewigen Lichtes loderten. Selbst der Duft unzähliger Räucherstäbchen, die im Raum verteilt waren, stieg ihr in die Nase. Noch nie in ihrem Leben hatte sie diesen Raum als so wunderschön empfunden. Hier war ein Ort der Kraft und der inneren Ausgeglichenheit. Daphne hörte sich fragen: »Warum ist es so wichtig, nichts zu begehren, und wenn ich es tue, straft Buddha mich dann?« Tse Wang lächelte milde, als er antwortete. »Warum soll er dich strafen? Bevor er erleuchtet wurde, war er ein Mensch wie du und ich. Er hat gelacht und geliebt, doch je weiter sich sein Geist entwickelte, umso mehr hat er festgestellt, dass ihn die Probleme des Alltags an seinem Weg zur Erleuchtung hindern. Er hat sich entschieden, der Liebe, der Freundschaft und allem Besitz zu entsagen. Ich will dir seine Lebensgeschichte erzählen, auch damit du verstehst, dass kein Mensch seinem Schicksal entgehen kann.«
»Mit irdischem Namen hieß er Siddhartha Gautama, schon vor seiner Geburt wurde geweissagt, dass er einst ein großer König oder ein großer Lehrer sein würde. Sein Vater war zu dieser Zeit ein König in Indien und so versuchte er alles, um den Jungen zu einem König zu erziehen. Er ließ ihn nie religiös unterrichten und verheiratete ihn, als er 16 Jahre alt war. Doch der Junge war außergewöhnlich klug und zeigte herausragende Begabungen. Nie hatte er den Palast verlassen, und er hätte glücklich sein können. Doch sein Herz war traurig, und er hätte nicht sagen können, warum. Mit 29 Jahren, nach der Geburt seines ersten und einzigen Kindes, verließ er den Palast. Wochenlang lief er durch die Straßen, seine Seele war tief berührt von der Not der Armen. Er bettelte um etwas Essen und schlief auf dem harten Boden. Erstmals in seinem Leben sah er das Elend und die Leiden der Menschen. Er verstand, dass Schmerz, Krankheit, Altern und der Tod untrennbar mit dem Leben verbunden waren. Siddhartha lernte in dieser Zeit sehr viel, er lebte jahrelang in Askese und lernte die yogische Praxis. Er wurde Schüler zweier angesehener brahmischer Eremiten. Doch immer noch war sein Herz traurig, und so begann er selbst, seinen Weg zur Befreiung zu suchen. Er wählte den Weg der Meditation und das besitzlose Leben eines Bettelmönches, aber er gab die Askese auf. Im Alter von 35 Jahren erhielt er in einer Vollmondnacht, an eine Pappelfeige gelehnt und in tiefe Meditation versunken, die Erleuchtung. Er wurde zu Buddha, von nun an war er ein Erwachter. Ab jenem Tage lehrte er den „Mittleren Pfad“. Als er seine Reise begann, hatte er im Überfluss und Reichtum gelebt, doch sein Herz war nicht erfüllt. Später fastete er wochenlang, wurde schwach und magerte ab bis an die Schwelle des Todes, doch sein Herz blieb traurig. Beide Leben waren Extreme, so suchte und fand er den „Mittleren Pfad“, der besagt, dass die Erkenntnis sich weder in exzessiver Weltabgewandtheit noch in der mit der von materiellen Dingen verhafteten Welt zu finden ist. Einfach ausgedrückt sagt das: nicht zu viel und nicht zu wenig von Allem. Jedem, ob König oder Bettler, ob Mann oder Frau, brachte er seine Lehren dar, Siddhartha akzeptierte keine Kastenordnung; im Herzen ist jeder Mensch gleich. Jeder, der bereit war, ihn zu verstehen, wurde unterrichtet. Dazu lehrte er den „Achtfachen Pfad“ von Tugend, Weisheit und Meditation, der zum Erwachen der Seele führen würde. Er starb im Alter von 80 Jahren mit der Gewissheit, dass nichts, was wir uns geistig erworben haben, verloren sein wird.«
Daphne fragte erstaunt: »Ist er dann nicht furchtbar einsam gewesen?«
»Nein«, antwortete Tse Wang, »er hat für sich festgestellt, dass wir Menschen alles verlieren können, nur uns selbst nicht. Dann waren da ja auch noch all seine Schüler und Menschen, die seinen Rat suchten. Er wollte aufhören, sich ständig um andere zu sorgen, er wollte keinen Besitz, den er bezahlen oder schützen muss. Aber das war allein seine Entscheidung. Buddha verbietet uns nicht, diese irdischen Erfahrungen zu machen«, fuhr Tse Wang fort. »Er sagt nur, es sei besser, wenn der Mensch all diesen Dingen entsage, wir könnten uns viel schneller den geistigen Wahrheiten des Universums nähern.« Tse Wangs Stimme wurde traurig, als er weitersprach. »Wir alle sind noch nicht frei von Gefühlen für andere, auch ich nicht, meine Tochter.« Tse Wang war aufgestanden, seine Hand legte sich auf ihren Kopf, dann sagte er, »Du darfst lieben und du darfst begehren, du darfst ein Haus kaufen und es dein eigen nennen. Wenn du diese Erfahrungen machen musst, dann mache sie. Wenn du es in diesem Leben nicht schaffst, den Weg der Erleuchtung zu gehen, hast du ja immer noch deine nächste Inkarnation, um es wieder zu versuchen. Denn in jedem deiner Leben lernst du, dass es nicht der materielle Besitz ist, den du mitnehmen kannst, sondern das, was du für dich selbst begriffen und gelernt hast. Vergiss nicht, Buddha hat Geduld mit seinen irdischen Kindern.« Das Bild verblasste, Daphne wurde sich wieder bewusst, wo sie sich befand, doch sie hätte schwören können, noch die Hand Tse Wangs auf ihrem Kopf zu spüren.
Der Morgen kam, und Hu Lien betrat den Raum, um sie zu holen. Er war am Abend bei dem Eingriff dabeigewesen, Zhang Lieh hatte es so angeordnet. Hu Lien hatte immer gedacht, dass ihn nichts erschüttern könne, aber was er am Abend zuvor mit ansehen musste, hatte ihn tief bewegt. Peterson hatte ihm erklärt, dass in diesem frühen Stadium der Schwangerschaft nur ein Klumpen Zellen abgesaugt werden musste. Hu Lien war fassungslos, als er das viele Blut sah. Tief in seinem Inneren regte sich eine Ablehnung gegen diesen Vorgang. Kurz dachte er an seine Nichten und Neffen, die er über alles liebte. Er war mehr als nur verunsichert, und jetzt tat er etwas, was