Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis. Bettina Reiter

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Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis - Bettina Reiter

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zu den pyramidenförmigen Baumkronen hoch, über die sich graue Wolken türmten. Bald würde es zu regnen beginnen. Wieder einmal! In den letzten Jahren waren die Winter hart und lang gewesen, die Sommer kühl und geprägt von Niederschlägen. Die Tristesse der dunklen Tage hatte vielen auf das Gemüt geschlagen oder wertvolle Ernten gekostet, denn es war durchaus vorgekommen, dass im Juni Teiche zugefroren waren. Vermehrt bebte auch die Erde oder es kam zu Vulkanausbrüchen. Viele weissagten sogar den Untergang der Welt voraus.

      „Ich liebe dieses Palais“, hauchte Henriette, die mit hinter dem Kopf verschränkten Armen neben ihm lag und an einem Grashalm herumkaute. Der Wind spielte mit ihrem offenen Haar, das Luc hin und wieder im Gesicht kitzelte. „Am liebsten würde ich ewig auf Schloss Ussé bleiben.“ Das Palais lag am Ufer des Indre in der Nähe von Chinon und wurde ihrer Familie von König Ludwig zur Verfügung gestellt.

      „Wem sagst du das.“ Luc wandte den Kopf und betrachtete das Schloss. Die Mauern bestanden aus weißem Tuffstein und bildeten einen wunderbaren Kontrast zum satten grünen Wald, der das Palais wie ein schützender Wall begrenzte. Zahlreiche Türme, Zinnen und Kamine auf trapezförmigen Schiefersteildächern verliehen dem Bau einen ganz eigenen Zauber. Neben ihnen, im Schatten der zwei Zedern, befand sich die Schlosskapelle, unweit davon ein Bergfried. Der Turm war Henriettes Lieblingsort. Jedes Jahr musste Luc ihre Schatztruhe über eine steile Treppe bis ganz nach oben schleppen. Darin bewahrte sie ihr Märchenbuch von Perrault auf, das erste Parfüm, das sie von der Mutter geschenkt bekommen hatte und einige Zeichnungen. Henriette konnte wunderbar malen und hätte am liebsten Kunst studiert statt auf die ´Höhere Töchterschuleˋ zu gehen.

      „Wusstest du eigentlich“, Henriette nahm den Halm aus dem Mund und drehte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her, „dass schon die Phönizier die Libanon–Zeder als Königin des Pflanzenreiches verehrt haben?“

      „Nein.“ Luc starrte nach oben. „Andererseits ein naheliegender Gedanke. Ich finde, diese Bäume haben tatsächlich etwas Majestätisches. Woher weißt du das eigentlich? Aus einem deiner Märchen?“

      „Nein, in meiner Truhe häufen sich mittlerweile Schriftstücke über Literatur, Biologie und andere Dinge an.“

      „Deshalb wird die Kiste jedes Jahr schwerer“, belustigte er sich, „und ich dachte schon, ich würde mit jedem Jahr schwächer.“

      Henriette fasste ihm an den Oberarm. „Deinen Muskeln nach zu urteilen kann ich beruhigt weitersammeln.“ Ihr Lachen hatte etwas Ansteckendes und das Kompliment freute ihn.

      „Woher hast du die Schriftstücke eigentlich?“

      „Auf Versailles werden sie haufenweise liegengelassen“, verriet sie mit schelmischem Lächeln. „Aber das bleibt unser Geheimnis. Du weißt ja, dass Lotti solche Sachen verpönt und Aufzeichnungen jeglicher Art für ein Werk des Teufels hält.“

      „Vielleicht hat sie Angst, dass du dadurch noch mehr Ehrgeiz entwickelst und irgendwann doch studieren willst.“

      „Den Gedanken habe ich schon lange verworfen. Ein Studium ist leider nach wie vor eine Männerdomäne, aber eines Tages kommt die Zeit, in der auch wir Frauen frei entscheiden dürfen. Sowohl was unsere Ausbildung betrifft als auch die Wahl unserer Ehemänner. Vielleicht ist es irgendwann sogar völlig normal, dass man nicht heiraten muss, ohne dafür abgestempelt zu werden.“

      „Spielst du auf den Herzog von Penthiévre an?“

      „Ja.“ Nun flog der Halm in weitem Bogen davon. „Ich finde es unheimlich, dass Dritte über etwas so wichtiges entscheiden und sich die Leidtragenden nicht einmal kennen.“

      „Ich teile deine Meinung“, stimmte Luc ihr zu. „Mutter wird den Herzog aber bestimmt einladen, sollte er in der engeren Wahl bleiben. Das hat sie mit Diana auch so gemacht.“ Nach dem Weihnachtsfest arrangierte die Mutter ein Treffen, dem Luc äußerst skeptisch gegenübergestanden hatte. Allerorts galten Françoises Töchter als faul, plump und falsch. Ein Abbild der Mutter eben. Doch Diana, die in Begleitung ihrer älteren Schwester Élisabeth gekommen war, strafte die ganzen Gerüchte Lügen. Seine künftige Schwägerin mochte unscheinbar sein, dafür war sie umso liebenswerter, was auch für Élisabeth galt. Er hatte die beiden Frauen sofort ins Herz geschlossen, genau wie der Rest seiner Familie. Mit Ausnahme von Lotti, die ihre Abneigung auf Françoise sogar auf deren Kinder übertrug. Leicht würde es für Diana nicht werden. Hoffentlich machte man sie nicht zum Spielball zwischen den mächtigen Häusern Bourbon–Orléans und Bourbon–Conti.

      „Glaubst du, dass Mutters Strategie aufgeht und sich durch die Hochzeit alle versöhnen werden?“, fragte Henriette und wickelte eine Haarsträhne um den Zeigefinger.

      „Ein Ende wird es erst geben, wenn alle Beteiligten tot sind.“ Luc drehte sich zur Seite, stützte den Kopf auf seine Hand und schaute Henriette an. Ihr Mund war halb geöffnet und schimmerte, die Haut rein wie frischer Schnee und ihr Gesicht ebenmäßig. In den grün–braunen Augen spiegelten sich die Zweige, die sich sanft über ihnen im Wind bewegten. Aus einem unerfindlichen Grund heraus begann sein Herz schneller zu schlagen, als er Henriettes Atem auf seiner Haut spürte und das Lächeln erwiderte, das nur ihm galt. Einen Moment lang fühlte es sich sogar so an, als wäre er mit Henriette völlig allein auf der Welt. Kein Laut drang zu ihm, alles verschwand und trat in den Hintergrund. Nur sie war klar und deutlich zu sehen.

      „Wie kann man nur so zerstritten sein?“, holte Henriette ihn in die Wirklichkeit zurück. „Die Fehde zieht sich hin, seitdem sie Kinder waren. Wer wurde als Erste legitimiert? Wer bekam die größere Mitgift? Wen hat der Vater mehr geliebt? Nicht zu vergessen die regelmäßigen Hahnenkämpfe, wenn es darum geht, gewinnbringend zu heiraten. Diese Intrigen sind kaum auszuhalten und Lotti steht unserer Großtante in nichts nach.“

      „Was nicht unser Problem ist“, antwortete Luc härter als gewollt, weil er durcheinander war. Was war in letzter Zeit los mit ihm? Immer wieder beschleunigte sich sein Puls in Henriettes Nähe, zunehmend wurde er nervös und fahrig.

      „Oh doch, es ist unseres. Ich bin vermutlich die nächste, die dem Ganzen zum Opfer fällt.“

      „In dem Fall würde unsere Mutter nicht den Herzog als potentiellen Ehemann in Erwägung ziehen. Wie man hört, soll er nett und bescheiden sein. Trotz seines immensen Vermögens.“ Selbst der Gedanke, dass Henriette eines Tages heiraten würde, machte ihm verstärkt zu schaffen. Nein, vielmehr konnte er ihn kaum ertragen, als ob er eifersüchtig wäre. Lächerlich!

      „Na ja“, erwiderte sie seufzend. „Ein paar Jahre habe ich ja noch. Vielleicht ändert sich bis dahin einiges.“

      „Ich liebe deinen Optimismus. Aber träum ruhig weiter, Schwesterherz“, zog er sie auf, um seine schlechte Stimmung und diese dummen Gefühle zu vertreiben. „Lass uns etwas unternehmen.“ Luc erhob sich und klopfte auf seine mit Erde beschmutzten Hosen. Dann streckte er seiner Schwester die Hand entgegen. Sie schaute zu ihm hoch, bevor sich ihre Hand vertrauensvoll in seine schmiegte. Im selben Augenblick schien ein Blitz durch seinen Körper zu fahren. Luc ließ sie jäh los.

      „Was ist mit dir?“, erkundigte sie sich und stand ohne seine Hilfe auf.

      „Mir ist eingefallen, dass ich noch einiges zu tun habe“, erwiderte er mit rauer Stimme.

      „So plötzlich?“ Sie stand dicht vor ihm. Nicht anders als früher – und doch war plötzlich alles anders. Völlig anders.

      Luc schluckte hart. „Ja, so plötzlich.“

      „Kannst du das nicht später machen?“, bettelte sie. „Wer weiß, wie lange du noch hier bist.

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