Der Perlmuttbaum. Bärbel Junker

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Der Perlmuttbaum - Bärbel Junker

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Wissen über den Perlmuttbaum ruht in dir und wird dir den Weg weisen“, war Xzatras orakelhafte Antwort gewesen.

      Nur wie ich diese Ruinenstadt finden soll, das hat sie mir nicht verraten, dachte Samiras. Aber vielleicht erfahre ich es ja, wenn ich den versteinerten Baum gefunden habe.

      Sie hob den Blick zur Sonne, die westwärts den Baumgipfeln entgegensank. Nicht mehr allzu lange und die Dämmerung würde hereinbrechen. Und sie wusste noch immer nicht wie...

      Die Vision stürzte sich auf sie wie ein Habicht auf seine Beute. Ihr war, als wären in ihrem Bewusstsein unvermittelt Türen geöffnet worden, Türen zu einem Bereich, von dem sie nicht einmal geahnt hatte, dass es ihn gab.

      SIE SAH! SIE FÜHLTE! SIE WUSSTE!

      Eine weite, leere Fläche und darauf ein einziger Baum umgeben von trockener, graubrauner, toter Erde. Riesig ist er, mit weit von sich gestreckten toten Ästen, Armen gleich, die sich Hilfe suchend der Sonne entgegenstrecken. Plötzlich bewegt sich die Erde zu Füßen des Baumes, verformt sich zu einem dottergelb leuchtenden Fleck, die Mitte eines perlmuttfarbenen Blattes, strahlend schön in seiner wunderbaren Reinheit.

      Eine Hand auf ihrer Schulter! Der Schreck wischte die Vision mit einem Ruck fort. „Ob es noch weit bis zu dem versteinerten Baum ist?“, fragte ihr Bruder.

      „Ich weiß wie er aussieht und glaube, dass wir ihm bereits sehr nahe sind.“

      „Dann lasst uns besser aufbrechen, bevor es dunkel wird“, sagte Hetzel.

      Und weiter ging es. Durch tote Wälder, wo die Bäume wie gebrochene Knochen aus der Erde ragten. Verkrüppeltes Gebüsch. Verdorrtes Gras. Vergangene Vegetation. Immer karger wurde das Land. Trocken wie in ihrer Vision. Und dann ritten sie durch eine Senke und erblickten in der Ferne seine gewaltigen, kahlen, anklagend in den Himmel gestreckten versteinerten Äste, eine immerwährende Mahnung an die Vergänglichkeit.

      Vor Einbruch der Dämmerung erreichten sie ihn.

      Samiras ging alleine zu dem perlmuttfarbenen Blatt am Fuße des versteinerten Baumes. Sie hockte sich davor, schuf mit ihrem Dolch eine winzige Mulde inmitten des dottergelben Flecks, legte das gelbe Samenkorn hinein und häufte Erde darüber. Dann ging sie zurück zu ihren Gefährten. Was würde geschehen?

       Ein sachtes Zittern durchlief den versteinerten Baum. Er stöhnte und ächzte, krachte und knirschte. Noch stand er starr und unbeweglich, bis auf die dünnen Zweige, die sich sanft im Odem der Winde wiegten.

       So unendlich lange wartete er nun schon auf sein Erwachen. Mitansehen zu müssen wie seine Familie und alle seine Freunde starben, hatte ihn in Traurigkeit versinken lassen, die ihn wie eine dichte Wolke umschloss. Nur er war ganz alleine übrig geblieben. Ein Mahnmal, umgeben von trostloser, unendlicher Leere und grenzenloser Einsamkeit.

       Der Baum reckte sich und bewegte prüfend seine mächtigen Äste. Ja, er wurde zusehends geschmeidiger. Vorsichtig bewegte er seine Zweige und sah auf den Boden unter sich.

      Konnte DAS sein? Sollte es Wirklichkeit werden? Hoffnung und ein tiefes Glücksgefühl ließen den einsamen Baum erbeben. Denn tief unter ihm, inmitten des perlmuttfarbenen Blattes, streckte ein junger „Ginkgo biloba“ der Welt seine zierlichen Blätter entgegen! Ein junger Ginkgo. SEIN KIND!

       Jetzt wusste der alte Ginkgo-Baum, dass sich alle seine Hoffnungen erfüllen würden und er wartete geduldig auf das, was noch geschehen musste. Er hatte Zeit, so unendlich viel Zeit. Er war so alt wie die Welt, denn es waren die Ginkgo-Bäume gewesen, die als erste ihre Blätter der Sonne entgegenstreckten, damals, als die Erde zu leben begann.

       Da lenkte ein Ziehen in den feinen Nerven seiner Zweige den alten Baum ab. Was war das? Und dann begriff er glücklich, was da geschah. Mit ungeheurer Geschwindigkeit brachen die fächerförmigen Blätter hervor, bildeten ein Blätterkleid, so schön, so wunderbar.

       Und dann durchlief ihn ein Schauder unbändiger Freude, denn er spürte und sah die Wiederkehr seiner Freunde der Ahornbäume und Birken, Eichen und Linden, Eschen und Kastanien, Akazien und Platanen, Buchen und Pappeln, Ulmen und all der vielen anderen Brüder und Schwestern. Der alte Ginkgo-Baum war erwacht und endlich nicht mehr allein.

      Als der Schöpfungsvorgang abgeschlossen war, sahen sich Samiras und ihre Gefährten von dichtem Wald eingeschlossen, bis auf eine weite kahle Fläche, die im Dunkel des Waldes verschwand. Zögernd bewegten sie sich darauf zu.

      Da begann der Boden unter ihren Füßen zu beben. In wildem Entsetzen bäumten sich die Pferde auf und versuchten durchzugehen. „Ruhig, Akazie. Ganz ruhig“, flüsterte Samiras.

      Das Beben beruhigte sich ebenso wie die Pferde.

      Da brach auf der kahlen Fläche die Erdkruste auf, tiefe Risse und Kerben bildeten sich, der Boden senkte sich, ein breiter Graben entstand und wurde tiefer und tiefer. Die Ränder wölbten sich nach außen, Steine und niedriger Bewuchs bildeten sich, und dann, sie glaubten zu träumen, erklang das Rauschen strömenden Wassers lebendig und froh. Der tiefe Graben füllte sich und wurde zu einem fröhlich plätschernden Fluss. Ein Seufzen schwang durch die Lüfte, pflanzte sich fort von Baum zu Baum. Seht her, es ist geschafft. Ein Wunder wurde endlich wahr.

      Wie betäubt von dem unglaublichen Geschehen führte Samiras ihr Pferd ans Wasser und ließ sich abseits von den anderen am Ufer nieder. Und wie geht es jetzt weiter? dachte sie und blickte still vor sich hin.

      Da fesselte ein pulsierendes Leuchten im Wasser ihren Blick. Sie beugte sich vor und barg die strahlende, perlmuttfarbene Muschel in ihrer Hand. Sanft zeichnete sie mit dem Finger das Muster des glatten Muschelrückens nach. Dabei stieß sie an eine kaum sichtbare Erhöhung in Form eines winzigen, ziselierten Blattes. Vorsichtig drückte sie darauf.

      Da öffnete sich die Muschel und gab den Blick auf eine flache, silbrig schimmernde Scheibe frei. Samiras nahm sie in die Hand und blickte auf die ebene Fläche, deren pulsierendes Leuchten sie an den „Stein der Wahrheit“ erinnerte. Das Leuchten wurde intensiver, nahm ihren Blick gefangen. Und eine zarte Stimme erklang:

      „Du hast den alten Ginkgo-Baum zu neuem Leben erweckt und damit eine weitere wichtige Stufe auf deinem gefahrvollen Weg zum Perlmuttbaum erklommen. Deine nächste Aufgabe wartet in der Ruinenstadt Preleida auf dich.

       Doch zuvor begib dich zur Handelsstadt Zophtarr. Suche dort den Gnomen-Händler Urselik auf und gib ihm die silberne Scheibe in deiner Hand. Er wird dir dafür die Augen der Schlangenstatue Czolisade geben, die am Ortseingang Preleidas Wache hält. Einen roten für das linke und einen grünen für das rechte Auge. Setze sie in den Kopf der Statue ein, bevor du das rote Zaubersamenkorn zu Füßen Czolisades vergräbst.

       Ist das getan, suche den Platz, auf dem der Perlmuttbaum neu entstehen wird. Nur mit ihm bleibt der alte Ginkgo-Baum am Leben und die noch immer vom Verderben bedrohte Welt wird gesunden. Doch bevor du jetzt gehst, lege das blaue Korn in die Muschel, schließe sie und gib sie dem Fluss zurück. Er wird sie dorthin tragen, wo ihre Erfüllung auf sie wartet.

      Du aber wirst mit deinen treuen Gefährten hier in Sicherheit die Nacht verbringen und morgen Früh dem Fluss in nördlicher Richtung folgen. Wenn ihr den Wald verlassen wollt, wird er sich öffnen und euch durchlassen.“ Das Wispern verstummte und mit ihm das pulsierende Leuchten.

      Samiras

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