Afrikanische Märchen auf 668 Seiten. T. von Held
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»Wohin ist euer Vater gegangen?«
Der Vater aber hatte den Kindern befohlen, den
Greif wütend zu machen; deshalb antworteten sie:
»Du Taugenichts und Bösewicht, warum läßt du
uns nicht in Frieden? Du hast unsere Hühner, Ziegen
und Hunde gefressen, heute bekommst du nichts!«
Da wurde der Vogel sehr zornig und rief:
»Wie kommt es, daß ihr mich heute beschimpft?
Ich werde kommen und euch selber fressen.«
Mit diesen Worten versuchte er, in das Haus einzudringen;
aber der Vater nahm geschwind seinen
Bogen und seine Pfeile und schoß. Da fiel der Greif
blutend zu Boden, und ein zweiter Schuß tötete ihn.
Der Vater ging nun mit seinen Kindern vor die Tür
des Hauses, wo der tote Vogel lag; sie rupften ihn und
bereiteten ihn zu, daß er gebraten werden konnte.
Darauf legten sie das Fleisch an das Feuer, und der
Vater sprach zu den Kindern:
»Ich gehe jetzt auf das Feld. Gebt wohl acht, daß
das Fleisch gut gebraten ist, wenn ich wiederkomme,
und eßt nicht davon, denn ich will es allein essen.«
Der Knabe aber spürte Lust, von dem Gericht zu
kosten, trat herzu, hob den Deckel von dem Topf auf,
in dem das Fleisch war, und wollte eben zulangen, als
er eine Stimme hörte, die rief:
»Iß mich nicht, iß mich nicht!«
Da lief der Knabe davon. Bald aber kehrte er zurück,
ergriff schnell ein Stück des Fleisches und aß.
Da erscholl die Stimme des Fleisches wiederum laut
und deutlich, so daß die Schwester des Knaben sie
hörte, herzulief und fragte:
»Warum hast du von dem Fleisch gegessen?«
Ihr Bruder wurde darauf sehr böse und schalt sie
und gab ihr allerlei Namen. Da lief das Mädchen auf
das Feld zu dem Vater und erzählte ihm alles. Als
beide bald darauf nach Hause zurückkehrten, fanden
sie den Knaben in einen Büffel verwandelt. Der Vater
rief ihm zu:
»Wenn du Säbelantilopen siehst, so folge ihnen
nicht; wenn du Elefanten siehst, folge ihnen nicht;
wenn du eine Herde Büffel siehst, so folge ihnen!«
Da rannte der Büffel davon und verschwand in dem
Walde; der Vater blieb mit der Tochter allein zurück.
Eine Kaffernkindergeschichte.
Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die hatten
zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen. Da die
Mutter der Kinder aber eine Kannibalin war, so hatte
der Vater beide gleich nach ihrer Geburt zu ihrem
Großvater geschickt, bei dem lebten sie und wuchsen
auf. Als sie nun groß waren, sprachen sie eines Tages
zu dem alten Manne:
»Wir sind lange genug hier gewesen; es verlangt
uns heimzugehen, um unsere Eltern zu sehen.«
Der Großvater antwortete:
»Werdet ihr auch zurückkommen? Ihr wißt doch,
daß eure Mutter eine Menschenfresserin ist?«
Die Kinder aber blieben bei ihrem Vorsatz, und so
willigte der Großvater schließlich ein und ließ sie ziehen.
Doch ehe sie sich auf den Weg machten, warnte
er sie noch und sprach:
»Seht zu, daß nur euer Vater um eure Anwesenheit
wisse und nicht eure Mutter. Meidet sie!«
Als die Sonne untergegangen war, sagte Kinazinei,
der Knabe, zu seiner Schwester:
»Laß uns nun gehen, meine Schwester; denn der
Weg ist weit.«
Die ganze Nacht über schritten sie rüstig vorwärts
und erreichten ihres Vaters Hütte kurz vor Sonnenaufgang.
An der Tür der Hütte blieben sie stehen und
horchten, ob sie der Mutter Stimme hören würden.
Als sie sicher waren, daß nur der Vater daheim war,
öffneten sie und traten ein. Kaum sah der Vater seine
Kinder, als er vor Entsetzen die Hände zusammenschlug
und ausrief:
»O meine Kinder, warum seid ihr hierhergekommen?
Wißt ihr denn nicht, daß eure Mutter eine Kannibalin
ist? Sie wird euch töten, wenn sie euch hier
findet.«
Während er noch so redete, hörte man einen gewaltigen
Lärm wie das Rollen von Donner; das war das
Nahen der Menschenfresserin. Schnell nahm der
Mann seine Kinder in einen entlegenen Winkel der
Hütte, bedeckte sie mit Fellen und gebot ihnen, sich
ganz still zu verhalten. Kaum hatte er sie auf diese
Weise sorgfältig versteckt, als die Mutter eintrat; in
der einen Hand hielt sie ein Tier, in der anderen den