Afrikanische Märchen auf 668 Seiten. T. von Held

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Afrikanische Märchen auf 668 Seiten - T. von Held

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Europäer trennt.

       B e r l i n im März 1896

       A. Seidel

       Einleitung

       »Volkslitteratur der Afrikaner!« wird mancher erstaunt

       ausrufen, wenn er dies Werkchen in die Hände

       bekommt. Scheint doch der Begriff Litteratur mit der

       landläufigen Vorstellung von den geistigen Fähigkeiten

       des Durchschnittsafrikaners vollständig unvereinbar

       zu sein, unvereinbar, selbst wenn man den Begriff

       auf die V o l k s - litteratur einschränkt. Ein wilder

       Afrikaner! Ein schwarzes Tier! Er sollte denken! Er

       sollte fühlen! Seine Phantasie sich als schöpferisch

       erweisen! Ja, mehr noch, er sollte Sinn und Verständnis

       haben für poetische Formen, für Rythmus und

       Reim! Es scheint ganz undenkbar, und doch ist es so.

       Als man vor Jahrhunderten zuerst mit dem Neger in

       Berührung trat, sah man in ihm ein zähes, gegen harte

       Arbeit und mörderische Klimata widerstandsfähiges

       Arbeitstier, führte ihn ins Exil, beugte ihn unter ein

       schmähliches Sklavenjoch und behandelte ihn wie

       eine Bestie, für die man geneigt war, ihn zu halten.

       Kein Wunder, daß das Göttliche in ihm allmählich

       verkümmerte und vom Tierischen immer mehr überwuchert

       wurde. Was erst eine grausame, eigensüchtige

       Fiktion der Sklavenhalter gewesen war, die Überzeugung

       von des Negers Menschenunähnlichkeit, das

       schien jetzt durch die Thatsachen immer mehr ge-

       rechtfertigt zu werden. So entstand das Charakterbild

       des Negers, wie es noch heute in weiten Kreisen

       durch jahrhundertelange Überlieferung eingewurzelt

       ist, ein Charakterbild, das kaum noch einen menschlichen

       Zug aufweist.

       Und selbst in unserm Jahrhundert, als Europa endlich

       die Eroberung des dunkeln Erdteils für die christliche

       Kultur mit allen Kräften in Angriff nahm, wurde

       diese irrige Vorstellung ohne weiteres auch auf die

       Neger in ihrem Vaterlande übertragen.

       Die Enttäuschung war um so schwieriger, als man

       die Sprachen der Eingeborenen nicht verstand und,

       von Vorurteilen verblendet, nicht daran dachte, durch

       Beobachtung des Geistes- und Seelenlebens des Negers

       der Wahrheit nachzuspüren.

       Die jammervollen Zustände der amerikanischen

       Negersklaven gaben den ersten Anstoß zu einer gerechteren

       Würdigung der Schwarzen, die allerdings in

       ihren ersten Anläufen, wie jede derartige Bewegung,

       fast über das Ziel hinausschoß.

       Fleecy locks and black complexion

       Cannot forfeit nature's claim:

       Skins may differ; but affection

       Dwells in white and black the same.

       So der Dichter jener Tage! Missionaren, die in

       langdauerndem, unmittelbarem, durch Kenntnis der

       Landessprachen verinnigtem Verkehr die beste Gelegenheit

       hatten, den Neger kennen zu lernen, gebührt

       das Verdienst, die Überschwänglichkeiten der Sklavenbefreiungsperiode

       auf das rechte Maß zurückgeführt

       und zuerst ein zutreffenderes Bild von der natürlichen

       Begabung der Schwarzen entworfen zu haben.

       Philologen, mit der genauen Kenntnis der Landessprachen

       ausgerüstet, dem besten Schlüssel zu Kopf

       und Herz der Eingeborenen, halfen die erste Skizze

       zurechtrücken und malten die Einzelheiten weiter aus.

       Und alle sahen mit Erstaunen, daß der N e g e r

       d e n k t u n d f ü h l t , w i e w i r s e l b s t

       d e n k e n u n d f ü h l e n .1

       Allerdings ist seine D e n k f ä h i g k e i t im

       Durchschnitt auf einer verhältnismäßig niedrigen

       Stufe der Entwicklung stehen geblieben. Der Geist

       des Negers klammert sich noch mehr an das Besondere,

       Zufällige der Erscheinungen und übersieht dabei

       oft das Gemeinsame, Wesentliche. Freilich zeigen

       sich auch Ansätze zu höherem Geistesflug. Am deutlichsten

       tritt dies in den Sprachen der Neger zu Tage,

       deren es viele Hunderte giebt. Werfen wir beispielsweise

       einen Blick auf das Suaheli, die Sprache der

       Wasuaheli an der Küste von Deutsch-Ostafrika. Das

       Suaheli hat kein eigenes Wort, das generisch »Fisch«

       bedeutet, obwohl für jede Fischart, ja für jede Varietät

       eine besondere Bezeichnung vorhanden ist. Darin

       liegt offenbar der geistige Mangel, daß das W e -

       s e n t l i c h e einer Sache zu Gunsten des Z u f ä l l i -

       g e n übersehen wird. Diese niedrigste Stufe der geistigen

       Potenz hat der Suaheli allerdings heute bereits

       überwunden. Er hat gelernt, den Kern einer Sache zu

       erfassen, wie sich das

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