Blutige Fäden. Fabian Holting

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Blutige Fäden - Fabian Holting

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Akademikerschmiede gewählt. Parksee, Wallgraben und Außenalster in unmittelbarer Nähe. Etwas viel Verkehr vielleicht auf den breiten Straßen und dann die gewagte Architektur der Neubauten von Firmen, die auf der Welle der innovativen Denkfabriken mitschwimmen wollten. Ich parkte an der Außenalster ganz in der Nähe des Germania Ruder Clubs. Von hier aus waren es zwar noch ein paar Schritte bis zu den Räumlichkeiten der betriebswirtschaftlichen Fakultät, doch die nahm ich gerne für einen Blick über die Außenalster in Kauf. Die Wasseroberfläche glänzte glatt in der Sonne. Zwei weiße Segel fast am anderen Ufer und ein Doppelvierer ohne Steuermann ganz in meiner Nähe nutzten den sonnigen Vormittag für ein Außenalstervernügen. Das letzte Mal hatte ich mich hier beim Schlittschuhlaufen vergnügt. Um diese Jahreszeit war es kaum vorstellbar, dass die ganze Wasseroberfläche zu Eis erstarren konnte. Ich stand noch einige Augenblicke in der Sonne und glotzte hinaus aufs Wasser. Dann gab ich mir einen Ruck und ging los. Es war bereits zwanzig Minuten vor elf. Um Studenten aus Saschas Semester zu treffen, hatte ich mir eine Vorlesung mit dem sperrigen Titel Rechnungslegung der Versicherungsunternehmen herausgesucht. Die Veranstaltung hatte um acht Uhr begonnen und sollte um elf Uhr enden. Außerdem begannen um Viertel nach elf Übungen zur Marktforschung im gleichen Gebäude. Selbstverständlich kannte ich mich auf dem Campus gut aus. Ich musste zum Von-Melle-Park. Über die Architektur der Universitätsgebäude konnte man ebenfalls geteilter Meinung sein oder einfach nur freundlich darüber hinwegsehen. Der WiWi-Bunker, wie er unter den Studenten liebevoll genannt wurde, war ein grauer Betonklotz. Die klassische Betonarchitektur der siebziger Jahre eben, gebaut für die geburtenstarken Jahrgänge. Das Gebäude wirkte nicht gerade einladend und doch verband ich einige gute Erinnerungen damit. Hier fanden regelmäßig Studentenpartys statt, auf denen es hoch herging. Besoffen konnte man das Lehrgebäude am besten ertragen. Im WiWi-Bunker, dem Stammhaus der Wirtschaftswissenschaften, gibt es in vielen Hörsälen noch nicht einmal Fenster, geschweige denn funktionierende Lüftungen. Auch von Stromausfällen erzählte man sich zu meiner Studentenzeit. Während die deutsche Wirtschaft jedes Jahr Exportweltmeister wurde, vergammelten allmählich die Einrichtungen, die für die Voraussetzungen dieser Erfolgsgeschichte sorgten. Mir war es mittlerweile egal und das Kreuz an der vermeintlich richtigen Stelle zu machen, änderte schon seit vielen Jahren nichts mehr an diesem Zustand. Vor der Eingangstür standen blasse Studenten und rauchten hastig. In den Fluren herrschte noch immer die ehemals moderne Atmosphäre der Siebziger, die an Schlaghosen, Ölkrise, Terroranschläge und Fahndungsplakate denken ließ. Es roch nach alten Teppichböden, im Kreis geführter Luft und trockenem Staub. Auch wenn ich längst mit dem Kapitel Uni abgeschlossen hatte, so überkam mich in den Fluren doch unweigerlich das Gefühl von undurchdringlichem Lernstoff und Prüfungsangst. Ich gelangte zum Hörsaal mit der richtigen Nummer. Die Tür stand offen. Ich sah vorsichtig hinein. Es war einer der mittelgroßen Hörsäle. Gelangweilte Gesichter drehten sich zu mir um. Die Stimme des Professors drang leise herüber. An die Wand hatte er ein Schaubild geworfen mit Zahlen und Abkürzungen, von denen ich nicht die geringste Ahnung hatte. Ich brauchte nur noch kurz zu warten und schon strömten mir mental ausgelaugte Studenten entgegen. Jetzt war ich an der Reihe, jemanden anzusprechen, der hoffentlich Sascha kannte. Ich trat einen Schritt zur Seite und tippte dem erst Besten auf die Schulter.

      »Sag‘ mal, hast du Sascha gesehen, Sascha Kessler?« Er sah mich mit großen Augen an und schüttelte den Kopf. Nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, hatte er den Namen das erste Mal gehört. Ich sprach noch drei oder vier weitere angehende Akademiker an, die wie scheinbar abgesprochen, alle Polo-Piqué-Shirts und Hosen aus Baumwoll-Popeline trugen. Sie zuckten alle ratlos mit den Schultern. Ich war etwas enttäuscht, obwohl ich nicht damit gerechnet hatte, zufällig Timo, Torsten oder Andreas, alles Namen aus Saschas Kladde, zu erwischen. Die Vorlesung hatten vielleicht sechzig oder siebzig BWLer verfolgt. Enttäuscht von den ersten ergebnislosen Versuchen, probierte ich es bei einer kleinen Gruppe Studenten, die im Flur stehengeblieben war. Darunter auch zwei nette Mädels, die mir irgendwie bekannt vorkamen.

      »Hallo, ich dachte eigentlich, ich würde Sascha hier treffen.« Der Coolste aus der Gruppe betrachtete mich skeptisch. Er hatte seine Haare nach hinten gekämmt und so gut es ging mit einem Styling-Mousse fixiert. Dazu trug er ein Baumwoll-Sakko in Blue-Black und eine passende Diesel-Jeanshose in ausgewaschenem Hellblau. Unter dem Sakko stach ein mintgrünes T-Shirt mit auffälligem Print hervor. Lounge Metropolis 5th Avenue Downtown entzifferte ich.

      »Sascha hat diese Vorlesung in den letzten Wochen sausen lassen, weil er ein Praktikum machen wollte«, antwortete mir der Modeguru.

      »Aber wenn ich ihn richtig verstanden habe, dann wollte er im Juni mit dem Praktikum längst durch sein«, fügte eine der nett aussehenden Studentinnen hinzu. Sie hatte wunderschöne Augen. Während ich ihren Anblick genoss, fragte ich:

      »Wo hat er sein Praktikum denn gemacht?«

      Ihre schönen Augen sahen mich ratlos an. Stattdessen antwortete wieder Mister 5th Avenue.

      »Ich glaube irgendwo in der Textilbranche.«

      »Ja, richtig, in der Marketingabteilung«, gab ein anderer von sich, den ich bisher nicht beachtet hatte.

      »Einen Firmenamen habt ihr aber nicht oder?«

      Alle schüttelten gleichzeitig mit dem Kopf. Dann meldete sich das reizende Augenpaar wieder zu Wort. »Ich glaube, unser Marketing-WiMi weiß wo. Sascha hat sich mit ihm darüber unterhalten.« Sie sah auf ihre Armbanduhr, eine Ice-Watch in grellem Gelb. »Komm‘ doch eben mit. Um Viertel nach haben wir unsere Übungen zur Marktforschung bei ihm.«

      »Gute Idee«, sagte ich und lächelte zufrieden in die Runde. Als wir durch den Flur schlenderten, schenkte mir das Mädchen mit der guten Idee einen Augenaufschlag und fragte mich, ob Sascha ein guter Freund von mir wäre.

      »Doch, kann man so sagen, wieso?«

      »Ach, weil er mehr so der Einzelgänger ist und wenig Kontakt zu anderen hat.«

      Wir gingen noch ein paar Mal links und rechts, bis ich die Orientierung komplett verloren hatte und mich fragte, ob ich hier allein wieder herausfinden würde. Dann standen wir in einem muffigen, mit Computern ausgestatteten Seminarraum, der sogar Fenster hatte. Vorne am Pult war ein dynamisches Männlein damit beschäftigt, sein Notebook anzuschließen. Er war ungefähr in meinem Alter und trug unter seinem dunkelgrauen, fast schwarzen Jackett ein blütenweißes Hemd mit offenem Kragen. Die Manschetten seines Hemds schauten vorschriftsmäßig gut einen Zentimeter aus den Ärmeln seines Jacketts hervor. Eine schwarze Five-Pocket-Hose rundete das Bild des Marketingspezialisten ab. Mit seinen etwas längeren und vorne hochgeföhnten blonden Haaren kam er dem Klinsmann-Typ des deutschen Sommermärchens recht nahe. Während meine Begleiter aus der Vorlesung Rechnungslegung der Versicherungsunternehmen wortlos ihre Plätze einnahmen, trat ich vor das Pult. Der Marketing-WiMi schenkte mir keinerlei Beachtung. Stattdessen kämpfte er verbissen mit der Technik. Immer wieder warf er einen kurzen Blick auf die Leinwand, die beharrlich das Menübild des Beamers zeigte. Das Notebook schien neu zu sein. Da ich mich damit ein bisschen auskenne, erlöste ich den angehenden Creative Director mit der richtigen Tastenkombination. Er sah verblüfft zu mir auf. Auf der Leinwand erschienen der Titel der Veranstaltung und sein Name.

      »Vielen Dank«, sagte er, und wie er mich dabei ansah, versuchte er wahrscheinlich, mein Gesicht einzuordnen. Es gelang ihm offenbar nicht, denn gleich darauf fügte er hinzu:

      »Für einen Einstieg in das Übungsseminar ist es leider zu spät.«

      »Das beabsichtige ich auch nicht. Ich wollte mich bei Ihnen nach Sascha Kessler erkundigen.«

      Der WiMi musterte mich für einen kurzen Moment. »In welcher Angelegenheit?«, fragte er distanziert.

      »Seine Mutter hat seit über drei Wochen nichts mehr von ihm gehört und macht sich sorgen.«

      »Sind

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