Für immer Rosa. Claudia A. Wieland
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Sein Blick fokussierte sich wieder und richtete sich auf ihre Augen, als er langsam, als sei er gerade aus einer Trance erwacht, erwiderte: »Ich dachte gerade nur, dass diese Aussicht ergreifend schön ist. Danke für diesen Ausflug, Rosa!« Unvermittelt griff er nach ihrer Schulter und drückte sie ganz sanft, wie in stillem Einvernehmen. Dann ließ er seine Hand sinken und Rosa versuchte, ihre Verwirrung zu überspielen.
»Es gibt eine alte Legende um diesen Ort. Sind Sie bereit, sie zu hören?«
»Ja, erzählen Sie!«, forderte Tom sie auf. Er war offensichtlich wieder ganz wach und konzentriert.
Und Rosa begann mit verschwörerischer Stimme zu erzählen:
»In der Nacht vor Imbolg, dem keltischen Feiertag, treffen sich die erfahrenen Seelen, will sagen, die, die schon einmal einen Menschen durch ein Leben geführt haben, auf diesem heiligen Hügel. Sie wollen sich bei den Hütern des Feuers, den Abgesandten des Gottes Taranis, Wohlwollen für ihre zukünftigen Aufgaben erbitten. Taranis erschafft aus dem ewigen Feuer die Funken der neuen Seelen und teilt ihnen eine menschliche Behausung zu. Sie aber, die kundigen Seelen, haben ein selbst gewähltes Ziel, für das sie um die Gewogenheit der Hüter nachsuchen. So wollen die einen sofort in den Kreislauf von Leben und Sterben, Liebe und Leid, zurückkehren, die anderen aber eine gewisse Zeit in der Zwischenwelt verharren. Sei es, um sich vor der Rückkehr in den irdischen Kreislauf auszuruhen und nachzusinnen. Sei es, um ihre zurückgebliebenen Lieben zu bewachen. Sei es, um sich von den irdischen Bindungen auf immer zu lösen und in das ewige Feuer heimzukehren. Und im Morgengrauen, mit den allerersten Sonnenstrahlen - so sagt man jedenfalls - stieben sie wie Funken über lodernden Flammen auseinander, ihrem göttlichen oder irdischen Leben entgegen.«
Die letzten Worte flüsterte Rosa nur noch, aber mit solcher Inbrunst und Leidenschaft, dass Tom sichtlich erstarrte. In diesem Moment versank, wie nach einem geheimen Drehbuch, die Sonne glühend in der Bucht von Morlaix, genau dort, wo früher fruchtbare Felder gewesen waren.
Rosa lächelte Tom zu und sagte in plötzlich verändertem, fröhlichem Tonfall: »Haben Sie Lust, mit mir essen zu gehen?«
»Oh ja, ich habe jetzt wirklich Hunger bekommen.« Tom schüttelte sich leicht, als wolle er sich aus dem Zauberbann dieses unwirklichen Ortes befreien. »Das war eine sehr eindrucksvolle Vorstellung! Sie haben durchaus schauspielerische Qualitäten! Danke Rosa!«
»Gern geschehen, Tom! Aber für den Sonnenuntergang kann ich nichts. Wirklich nicht!« Sie lachte ausgelassen.
Sie kehrten zu Rosas Peugeot, den sie auf einem Parkplatz am Fuß des Hügels abgestellt hatten, zurück und setzten ihre Fahrt fort.
Aus den Lautsprechern des CD-Players erklang eine melancholische Melodie. Es war wieder Melody Gardot.
»Darf ich?« Tom drückte auf den Lautstärkeregler, um die Musik lauter zu stellen. Nach einer Weile sagte er: »Die Melodie ist so schwermütig und dabei handelt das Lied von einer LEICHTEN Liebe. Hören Sie das? Wie die Musik den Text kontrapunktiert? Das gefällt mir sehr gut.« Tom kreiste wie zur Untermalung mit dem rechten Zeigefinger durch die Luft und Rosa sah, wie erstaunlich lang und feingliedrig seine Finger waren.
»Jedenfalls sollte man dieses Album nicht unbedingt anhören, wenn man unglücklich ist«, erwiderte Rosa. Sie bemerkte, dass Tom einen schnellen Blick auf ihr Profil warf. »Glauben Sie, dass Liebe überhaupt leicht sein kann?«, fragte sie, wobei sie versuchte, so beiläufig wie möglich zu klingen.
»Auf jeden Fall. Ich meine, Liebe sollte, wie es in dem Lied heißt, einfach wie Wasser dahinfließen. Wir werfen ihr ständig Hindernisse in den Weg mit unseren idiotischen Bedenken, mit unserem ständigen Wenn und Aber. Bullshit! Wenn sie zu einem kommt, muss man sie geschehen lassen. Muss man sie fließen lassen. Sie findet ihren Weg schon. Ich meine jedenfalls, dass die Liebe von Natur aus froh und unbeschwert ist. Man sollte sie nicht immer so kompliziert machen.«
Rosa dachte über seine Worte nach. Zweifellos war Tom ein nachdenklicher junger Mann, aber das, was er sagte, zeugte auch von einer wunderbaren Unbekümmertheit. War das Attitüde oder der authentische Tom?
Nach einer Weile des Schweigens fügte Tom hinzu: »Allerdings ist das im Film ein bisschen anders, ich meine mit der Liebe. Je bedeutungsschwerer sie ist, desto vielschichtiger und faszinierender ist die Rolle für den Schauspieler und desto interessanter ist die Geschichte für den Zuschauer. Wie in VICTOR UND CLAIRE.«
»Haben Sie deshalb die Rolle des Victor angenommen?«
»Das war einer der Gründe. Außerdem haben mich die Drehorte gereizt. Und die Aussicht auf französische Lebensart. L’art de vivre, n’est-ce pas?« Tom verdrehte die Augen.
»Sprechen Sie Französisch?«, fragte Rosa erstaunt. Sie fand seinen englischen Akzent äußerst anziehend.
»Nicht wirklich. Von meinem Französischunterricht in der Schule sind nur ein paar Worte hängengeblieben. Und dann kenne ich noch diese Sätze, die man so in Hotelbars hört.«
»Dann wollen wir es für heute lieber bei Ihren Kenntnissen belassen.«
»Kluge Frau!«, bemerkte er trocken und sie lachten.
XXX
Rosa hatte ein kleines Restaurant direkt an der Strandpromenade eines verschlafenen Küstenortes ausgesucht. Sie saßen gebeugt über die Menükarten und studierten das Speisenangebot.
»Ich kann leider so gut wie nichts verstehen.« Tom schaute angestrengt in die Karte, als könne er durch pure Konzentration die Worte ins Englische verwandeln. Rosa hätte ihn nur allzu gerne umsorgt, hätte ihm sogar Wort für Wort die komplette Speisekarte übersetzt, wenn es nötig gewesen wäre. Aber da fragte er schon: »Ist Côte d’agneau nicht Lammfleisch?«
»Ja, das ist Lamm, Tom.«
»Lamm ist gut. Sollen wir das bestellen?«
Rosa erwiderte mit gekräuselter Nase: »Ich bin Teilvegetarierin.«
»Was zum Teufel bedeutet Teilvegetarierin?« Tom machte einen verzweifelten Gesichtsausdruck.
»Na ja, ich kann nicht auf Fisch verzichten. Und gelegentlich esse ich noch Rindfleisch. Das ist aus der bretonischen Küche kaum wegzudenken. Wie man aus der Speisekarte ersehen WÜRDE, wenn man Französisch KÖNNTE«, neckte sie ihn. »Aber andere Fleischsorten esse ich überhaupt nicht. Vor allem aber esse ich keine Tierbabys.« Rosa schüttelte sich. Beim Gedanken an all die Lämmer und Kälber, die gerade zu dieser Zeit neben ihren Müttern auf den saftigen Weiden lagen und die ersten Sonnenstrahlen ihres jungen Lebens auf ihrem samtweichen Fell spürten, während die Schlachter wahrscheinlich schon ihre Messer wetzten, wurde ihr elend zumute. Es war einfach nur barbarisch. Und die Tatsache, dass sie nicht gänzlich auf Fleisch verzichten konnte, beschämte sie zutiefst.
»Okay, und was essen wir dann?«, fragte Tom zweifelnd.
»Ich kann den Bar empfehlen.«
»Was um Himmels willen ist BAR?«, fragte er und riss die Augen auf.
»Oh, das ist … wie heißt es doch gleich … das ist Wolfsbarsch, mein absoluter Fischfavorit.«
»Aha«, erwiderte Tom. »Dann nehme ich das Steak.«
Rosa