Taubenjahre. Franziska C. Dahmen
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Auch Rafaels Gedanken liefen Sturm. Er war unsicher, was er mit Hanna anfangen sollte. Zum Lager führen? – Ein Unding! Gadje, insbesondere Gadjefrauen brachte man nicht ins Lager. Man vergnügte sich mit ihnen an abgelegenen Orten oder bei ihnen daheim, mehr nicht! Er konnte sich schon jetzt vorstellen, wie man im Lager darauf reagieren würde: Die Frauen würden sie mit keinem einzigen Blick würdigen, während die Männer entweder anzügliche Bemerkungen von sich geben oder sie gänzlich ignorieren würden. Nein, dachte er, er konnte Hanna unter keinen Umständen mit ins Lager nehmen.
Ein entschlossener Zug breitete sich in seinem Gesicht aus, als er sagte: »Das Beste ist, sie gehen jetzt nach Hause.«
Hanna fühlte sich verletzt. Gerade als sie den Entschluss gefasst hatte, sich von ihm überreden zu lassen, ihn ins Lager zu begleiten, wies er sie ab und schickte sie nach Hause. Ob er wohl verheiratet war? Vielleicht hatte er Kinder? – Hannas Herz verkrampfte sich bei dem Gedanken. Bestimmt war er verheiratet und wollte nicht, dass seine Frau sie sah! Unwillkürlich schossen ihr die Tränen in die Augen. Wie konnte sie nur so abgrundtief dumm sein? Sie war eine dumme Gans! Ja, das war sie! Sie hätte auf seine Hand schauen sollen. Verheiratete Männer trugen immer einen Ehering!
Verstohlen warf sie einen Blick auf seine rechte Hand, konnte aber keinen entdecken. Erleichtert atmete sie aus, nur um im nächsten Moment wieder in Panik zu geraten: Vielleicht trugen Zigeuner gar keine Eheringe? Was wusste sie schon von seinen Sitten und Gebräuchen? Nichts! – Sie war eben doch eine dumme Gans! »Tragen sie Eheringe?«, entfuhr es ihr unwillkürlich. – Am liebsten wäre sie vor lauter Scham im Boden versunken.
Rafael starrte sie perplex an.
»Vergessen sie es!«, stieß Hanna hervor und merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss.
»Manche ja.«, antwortete er zögernd und fragte sich im gleichen Atemzug, wohin das Ganze nur führen sollte. Dieses Mädchen war eine Gadje, hielt er sich zum x-ten Mal vor Augen. Mochte sie noch so schön sein, mochte sie nach Heu duften, mochten ihre Bewegungen getanzte Musik sein, sie war und blieb eine Gadje und dementsprechend sollte er jeden weiteren Kontakt zu ihr abbrechen. Punkt, Schluss, aus! Etwas Gutes konnte dabei nicht herauskommen.
»Warum nicht alle?«, hakte Hanna nach.
»Weil…, ja weil nicht alle Roma gleich sind.«
»Nicht gleich?« Hannas Stirn runzelte sich für einen Sekundenbruchteil, dann lächelte sie ihn unbefangen an. »Sie müssen entschuldigen, ich habe ganz vergessen, dass sie ja gar nicht Rom mit Nachnamen heißen …«
»Wie?« Irritiert schaute er sie an, dann lachte auch er. »Nein, das tue ich wirklich nicht. So wie es bei ihnen Franken, Friesen oder Sachsen gibt, gibt es bei uns Roma; Sinti, Lowara, Calé…«, Rafael vollführte eine entsprechende Handbewegung. »Und ich heiße schlicht und ergreifend einfach Rafael, Rafael Zlobek.«
»Hanna Schubek.«
Hanna streckte ihm lächelnd die Hand entgegen.
Warm, weich und fest in einem fühlte sie sich an und passte genau in seine Hand.
»Freut mich sie kennenzulernen Fräulein Schubek.«
»Mich auch, Herr Zlobek.«; wobei es Rafael so vorkam, als betone sie seinen Nachnamen besonders.
Noch immer hielten sie einander fest und schauten sich in die Augen. Unendlich vertraut und fremd in einem, dachte Hanna, während Rafael auf dem besten Weg war, vollends zu kapitulieren. Jegliche Vernunft hatte sich in Schall und Rauch aufgelöst. Was übrigblieb, war ein mittlerweile irisblau gewordener Bergquell, der ihn mit sich riß. Ein Zurück war nicht mehr möglich. Die geduldete scheinbar alltägliche Berührung hatte sich in eine Fessel verwandelt, die ihn vollends band.
»Hätten sie Lust, heute Abend unser Gast zu sein? Es wird ein Fest geben.« Die Worte sprudelten wie von selber aus ihm heraus. Rafael verfluchte sich innerlich selber für seine Dummheit und jubelte doch im gleichen Augenblick.
»Ja, gerne! Wann soll…, ich meine…, wann darf ich denn kommen?« Das strahlende Lächeln, das Hanna ihm daraufhin schenkte, setzte ihn endgültig Schachmatt.
»Wann sie wollen.«
Hanna nickte. »Ich …, ich geh dann mal besser …«
»Ja …«
»Der Hengst …, er ist gar nicht mehr aufgeregt.«
Rafael warf seiner vierbeinigen Neuerwerbung einen irritierten Blick zu. Er hatte Fusco vollkommen vergessen. Friedlich an einem Grasbüschel knabbernd, kümmerte sich dieser um keinen von ihnen. Erst als er merkte, dass er wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der beiden Zweibeiner stand, wurde er nervös und fing an, zu tänzeln. Rafael hatte Mühe und Not ihn einigermaßen im Zaum zu halten und zu beruhigen. »Ganz ruhig, mein Schöner!«, murmelte er leise. »Keiner tut dir was.«
»Ich bringe ihn wohl besser ins Lager.«, wollte er gerade an Hanna gewandt sagen, doch diese befand sich schon auf dem Weg nach Hause.
Im Lager
Schon aus der Ferne hörte Hanna das fröhliche Geschrei und Lachen tobender Kinder, in das sich aufgeregtes Hundegebell mischte. Es konnte nicht mehr weit bis zum Lager sein. Rafael hatte ihr erzählt, dass sie direkt an einer kleinen Furt kampierten. Das muntere Plätschern von Wasser verriet ihr, dass sie sich ganz in der Nähe des Bachs befinden musste. Tief atmete sie die würzige Luft ein. Der intensive Geruch feuchter Erde und modrigen Holzes verband sich mit dem austretenden Harz der Tannen und dem Aroma wilder Kräuter, bis er erst kaum wahrnehmbar, dann immer starker vom köstlichen Duft gegrillten Gemüses und Fleischs überlagert wurde.
Hannas Magen knurrte. Vor lauter Aufregung hatte sie den ganzen Tag über keinen Bissen essen können, sodass sie sich nicht darüber wunderte, dass sie hungrig war. Egal was sie versucht hatte, um sich abzulenken, ihre Gedanken waren einzig und allein um Rafael gekreist. Immer wieder hatte sie sein Gesicht, seine von langen Wimpern umrandeten, dunkelbraunen Augen und seine feingliedrigen Hände vor sich gesehen. Selbst ihre Mutter hatte bemerkt, dass sie sich anders als sonst verhielt, es aber letztlich auf den Umstand zurückgeführt, dass man Karl zu Unrecht hatte einsperren lassen wollen.
»Es ist unverschämt, was sie deinem Bruder antun. Kein Wunder, dass du so durcheinander bist!«, hatte ihre Mutter gemeint, als sie aus Versehen eine reich verzierte Keramikvase fallen gelassen hatte. »Aber soweit sind wir noch nicht, dass ein dreckiger Zigeuner es schafft, deinen Bruder ins Gefängnis zu bringen. Ich werde mich beschweren … Noch, besitze ich – Gott hab deinen Vater selig – ein paar Verbindungen …«
Ein bitteres Lachen quälte sich aus Hannas Kehle. Als ob Karl jemals in seinem Leben an etwas Schuld gewesen wäre oder man ihn für irgendetwas zur Rechenschaft gezogen hätte … In den Augen ihrer Mutter besaß er einen Heiligenschein. Egal, was er ihr an Lügen auftischte, sie glaubte ihm alles.
Hanna stolperte über den Ausläufer einer Birkenwurzel, konnte sich aber im letzten Moment fangen. Das fehlt mir noch, dass ich hinfalle!, schalt sie sich selber aus. Fast die ganze Strecke über war sie gerannt und hatte sich dabei unbewusst, immer wieder umgeschaut. Man könnte meinen, dass ich auf der Flucht bin. Hanna ärgerte sich über sich selber. Dabei interessiert es wirklich niemanden, was ich heute Abend tue. Ihrer Mutter hatte sie erzählt, dass sie nach all der Aufregung