Taubenjahre. Franziska C. Dahmen

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Taubenjahre - Franziska C. Dahmen

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auf sie herab.

      Seelisch getroffen, aber körperlich unversehrt, beschränkte sich Hannas Mutter auf ein wortloses Nicken, währenddessen sie sich innerlich auf einen erbitterten Kampf vorbereitete, der nur ein Ziel kannte: Die Unschuld ihres Sohnes mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen.

      »Und da ihnen«, fuhr derweil der Wachtmeister ungerührt fort und wies dabei auf den Händler, der ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken konnte, »das Ganze soviel Spaß bereitet, fangen wir direkt mit ihnen an!«

      »Also, der da«, der Händler wies auf Karl, der aus glasig wirkenden Augen dumpf vor sich hinstarrte, »hat sich auf den da«, er zeigte auf Rafael, »gestürzt. Warum weiß ich nicht. Der«, wieder ein Fingerzeig auf Rafael, »ist ausgewichen, sodass der da«, erneut ein Verweis auf Karl, »in meinen Stand geknallt ist. Das Ende sehen sie ja: Totalschaden, den der da«, erneut ein anklagender Fingerzeig auf Karl, »mir ersetzen muss!«

      »Das ist doch…«

      Ein warnender Blick und eine um zwei weitere Zentimeter verbreiterte Standbeinigkeit des Polizisten ließen Karls Mutter verstummen.

      »Geben sie mir ihre Personalien … Name?«

      »Alfons Jager. Imker.«

      »Und sie?«

      »Helene Schubek, geborene Fluffen. Mein seliger Mann war Hauptmann Heinrich Schubek. Er ist 1916 bei Verdun …«

      »Mutter!«, stöhnte Hanna auf, während Rafael, der eigentlich unbemerkt in der Menge hatte untertauchen wollen, Hannas unvermutete Nähe genoss.

      »Du kannst stolz sein auf deinen Vater.«, fuhr diese entrüstet ihre Tochter an. »Schließlich hat er sein Leben für unser Vaterland gelassen. Das muss einmal gesagt werden! Gott hab ihn selig. Ich brauch mich seiner nicht zu schämen. Schließlich …«

      Mit: »Name des Sohnes?«, wurde sie rigoros von der festen Stimme des öffentlichen Rechts übertönt.

      »… also wirklich!«, empörte sich Hannas Mutter. »Ich bin immerhin die Ehefrau eines Hauptmanns und …«

      »Name des Sohnes?«

      Statt einer Antwort erntete er nur ein missbilligendes Schnauben.

      »Name des Sohnes?«

      »Mein Bruder heißt Karl Schubek.«, sprang Hanna für ihre Mutter ein, die ihr einen verächtlichen Blick zuwarf.

      »Mhm …« Zum ersten Mal verringerte sich die Breitbeinigkeit des Polizisten um einen Zentimeter und wurde gegen ein tiefes Stirnrunzeln ausgetauscht. »Der Name kommt mir bekannt vor.« Die Augen des Polizisten verengten sich zu einem waagerechten Schlitz und fixierten Karl, der seinerseits vergeblich versuchte, sich in die Senkrechte zu begeben.

      Mit einem: »Natürlich ... Dich kenne ich!«, brach sich die polizeiliche Erkenntnis bahn. »Du bist einer von den Halbstarken, die entweder im Grünen Bock oder im Colette rumlungern und für nichts anderes als Ärger sorgen … Karl Schubek und Hans Widerring … Dein Gesicht kam mir doch gleich so bekannt vor, Bürschchen!«

      »Mein Sohn geht nicht ins … ich meine …, er verkehrt nicht …, er betritt nicht so ein Haus!«

      »Tja«, meinte der Ordnungshüter trocken, »vielleicht sollten sie mal ein wachsames Auge auf ihren Filius richten. Die Tatsachen sprechen für sich. Wenn ich mich recht erinnere, ist ihr feiner Sprössling letzte Woche von einem Kollegen im Colette aufgegriffen und wegen Randalierens im betrunkenen Zustand verwarnt worden. Bei mir kommt er nicht so leicht davon. – Ab mit dir auf die Wache …«

      »Ja, und der da?«, japste Karls Mutter empört auf und zeigte auf Rafael, der einzig und allein Augen für Hanna hatte.

      Die Breitbeinigkeit des Wachmeisters verringerte sich für einen kurzen Augenblick, ehe sie wieder ihre alte Ausgangsstellung einnahm. »Ich habe nichts gegen …«, hier stockte er einen kurzen Augenblick und runzelte die Stirn, ehe er weiterfuhr, »diesen Herrn vorzubringen. Von daher …«

      »Der ist ein Zigeuner!«

      »Ich wüsste nicht, dass das in unserem Staat etwas Unrechtes wäre, gnädige Frau.«

      »Sie wollen allen Ernstes den Sohn eines Hauptmanns verhaften und den da …, diesen Vagabunden, diesen Herumtreiber, der alles klaut, was nicht niet- und nagelfest ist, frei herumlaufen lassen? … Schauen sie nur, wie der Kerl alleine schon meine Tochter belästigt! – Hanna!«

      Aber ihre Tochter reagierte nicht. Im Gegenteil: In aller Ruhe und ohne das geringste Anzeichen von Ekel oder Abscheu erkennen zu lassen, unterhielt sie sich mit diesem Kretin. Unfassbar! – Helene Schubek, verstand die Welt nicht mehr.

      »Nun gut!«, die Breitbeinigkeit des Polizisten verbreiterte sich erneut, während er Rafael näher in Augenschein nahm. »Ich werde seine Personalien aufnehmen und mir seine Aufenthaltsbescheinigungen anschauen. Man kann ja nie wissen …«

      Hannas Mutter nickte erstmals zustimmend.

      Indessen hatte Rafael tatsächlich recht wenig, von dem, was um ihn herum geschah, bemerkt. Vergessen war der Gedanke, sich aus allen Angelegenheiten der Gadje herauszuhalten; vergessen sein Plan, unbemerkt in der Menge unterzutauchen und das, obwohl er sehr genau wusste, dass die meisten Gadje – egal ob Ordnungshüter oder nicht – nicht gerade gut auf Zigeuner zu sprechen waren. Letzteres eine Weisheit, die jeder Rom förmlich mit der Muttermilch aufsog und die sich im Laufe seines Lebens nur allzu oft bewahrheitet hatte, sodass er fast schon instinktiv Abstand zu den Gadje hielt.

      Sicher, es gab immer wieder Ausnahmen: So war selbst er mit einigen von ihnen befreundet. Wobei Freundschaft nicht so recht den Kern ihrer Beziehung traf. Eigentlich handelte es sich eher um Nutzbekanntschaften, die zur Zufriedenheit beider Seiten bestanden. So gab es über ganz Europa verteilt Wirtsleute und Landwirte, die als sogenannte Briefkästen fungierten. Kurze Nachrichten konnten bei ihnen ohne Bedenken hinterlegt werden. Man wusste, sie würden den Empfänger erreichen. Im Gegenzug erhielt der Wirt dafür Geld sowie die Zusicherung, dass weder ein Sinti oder Roma sich in irgendeiner Art und Weise an seinen Sachen vergriff.

      Neben diesen menschlichen Briefkästen gab es noch eine weitere Ausnahmegruppierung: Es waren ehemals zwangskolonisierte Roma oder Sinti. Einige wenige von ihnen benahmen sich gadjehafter als die Gadje und vermieden jeglichen Kontakt zu ihren Verwandten, da sie befürchteten unzähligen Ressentiments ausgesetzt zu werden. Andere hingegen, die den Sprung in die Sesshaftigkeit schon vor Generationen vollzogen hatten, pflegten einen wesentlich ungezwungeneren Umgang zu ihren nomadisierenden Verwandten.

      Hanna wiederum gehörte einer dritten Gruppe an. Einer sehr gefährlichen sogar, wenn Rafael ehrlich zu sich selber war. Sie schien sich allen Ernstes für ihn und sein Leben zu interessieren. Sicher, er hatte mittlerweile so einige kurze Affären zu diversen Gadjefrauen unterhalten und es hatte ihm stets großes Vergnügen bereitet. Schließlich musste er seine sexuellen Bedürfnisse irgendwie ausleben. Bei einem jungen Mann von 24 Jahren war das nur natürlich. Und sich an einem Mädchen seiner eigenen Sippe zu vergreifen, ohne es zuvor zu heiraten … – Rafael fuhr allein bei diesem Gedanken ein eisiger Schauer über den Rücken – hätte ihn in Teufels Küche gebracht. Er wäre vor die Kris geführt worden und die Richter hätten ihn zu Recht aus der Sippe verstoßen. Nein, in dieser Hinsicht war ihm nichts anderes übrig geblieben, als immer wieder die Nähe zu den Gadjefrauen zu suchen, die ihn bereitwillig empfingen. Abgewiesen hatte ihn noch

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