Taubenjahre. Franziska C. Dahmen
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Читать онлайн книгу Taubenjahre - Franziska C. Dahmen страница 8
Aha, der besoffene Kerl hieß also Karl und war ihr Bruder, während es sich bei der entkrümmten Matrone um ihre Mutter handeln musste.
Rafael schüttelte den Kopf. Ein erwachsener Rom würde es niemals wagen, sich und seine Familie in der Öffentlichkeit derart bloßzustellen. Was dachte sich der junge Mann nur dabei?
Angewidert spuckte er auf den Boden. Noch während er sich von der ganzen Szenerie abwenden wollte, bemerkte er aus den Augenwinkeln, wie dieser Grobian seine Schwester unsanft zu packen bekam und ihr dabei einen derart heftigen Ruck versetzte, dass sie zu stürzen drohte. Doch alles ging gut. Noch bevor er ihr zu Hilfe eilen konnte, gelang es dem Mädchen sich im allerletzten Moment zu fangen.
»He, du …! Lass das Mädchen endlich in Ruhe!«, fuhr Rafael unwillkürlich den jungen Mann an.
»Misch … dich da … nicht ein!«, knurrte dieser zurück. Zugleich quetschte er Hannas Arm dabei dermaßen stark, dass diese vor Schmerz laut aufschrie.
Das reichte! Rafael bewegte sich drohend auf den jungen Mann zu. »Und ich hab dir gesagt, dass du das Mädchen loslassen sollst!«
»Und ich … hab dir gesagt, … dass dich das nichts angeht, … du Drecksfot!« Im nächsten Augenblick versetzte er Hanna einen Stoß, sodass sie unter einem lautem Aufschrei auf die Knie stürzte.
»Karl! … Mein Gott, Karl! … Junge!… deine Schwester, du kannst doch nicht …« Hilflos blickte die Matrone abwechselnd auf Tochter und Sohn. Noch während Erstere versuchte mit vor Scham gerötetem Gesicht und blutenden Knien wieder auf die Beine zu kommen, stürzte Karl sich schwankend auf Rafael, nicht ohne ein: »Dir werde ich’s zeigen!«, zu brüllen.
Doch Rafael gelang es, Karls Angriff geschickt auszuweichen, sodass dieser torkelnd an ihm vorbeistürmte und stattdessen in den Stand eines Imkers krachte, wo er begraben von einer wahren Flut herabstürzender Honiggläser auf dem Boden liegenblieb.
»Mein Junge! Mein armer Junge!«, hörte Rafael Karls Mutter in einer Mischung aus blankem Entsetzen und purer Besorgnis kreischen, während sie ihm hilflos eine klebrige Strähne nach der anderen aus der Stirn zu streichen versuchte.
»Das wirst du mir alles bezahlen!«, wütete derweil der aufgebrachte Imker in Karls Richtung.
»Nichts da! Der da…! Der da ist an allem Schuld!«, verteidigte Karls Mutter entschlossen ihren Sohn und schoss pfeilschnell einen hasserfüllten Blick auf Rafael, dem sich ein ebenso schnell auf ihn gerichteter Zeigefinger seitens der Matrone anschloss. »Der hat meinen Sohn angegriffen. Ich habe es ganz genau mit meinen eigenen Augen gesehen!«
Einzig der Imker ließ sich nicht beirren. Renitent, wie er in den Augen der Matrone war, stieß er ein unwilliges Schnauben aus und ließ Karl nicht für einen einzigen Augenblick aus den Augen. »Ich weiß ganz genau, wer mir die Gläser zertrümmert hat! Und das ist das Bürschchen hier gewesen! Und so wahr ich Alfons Jager heiße, wirst du mir dafür bezahlen!«
»Der ist es gewesen! Der da!«, beharrte Karls Mutter steif und fest.
»Ge … nau!«, unterstützte Karl lallend seine Mutter und fügte der süßlich duftenden Honiglache den säuerlich riechenden Inhalt seines Magens hinzu, sodass der Imker angewidert Abstand von ihm nahm.
»Das ist nicht wahr!«, mischte sich Hanna dieses Mal ein. »Du weißt genau, dass es Karl war! … Wie immer!«, fügte sie leise in einem Nachsatz hinzu.
»Du fällst deinem eigenen Bruder in den Rücken?! Schämst du dich den überhaupt nicht?«, kreischte die von blinder Mutterliebe beseelte Matrone ihre Tochter an. »Der da ist nur Abschaum …, der da ist ein erbärmlicher Zigeuner!«, und wies dabei verächtlich mit ihrem Kinn in Rafaels Richtung.
Rafael wohnte indessen dem Debakel mit versteinerter Mine bei. Es war stets das gleiche Spiel: Egal, wer von den Gadje der eigentliche Übeltäter auch war, am Ende schob man es den Zigeunern in die Schuhe. So war es immer! Schon wollte er sich angewidert umdrehen und seiner Wege gehen, als ihn Hannas Blick traf und seine steinerne Fassade Schlag auf Fall, wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzte.
Blau – grau – grün. Die Farbe ihrer Augen war blau – grau – grün! Wie ein tosender Wildbach, der alles mit sich reißt. – Oh, dio! Ich bin verloren! Rettungslos verloren!, schoss es ihm durch den Kopf.
»… du Heuchlerin!«, hörte er sie schimpfen, als er endlich wieder in der Lage war, auf seine Umgebung zu achten. »Du bist eben erst da oben in der Messe gewesen und hast nichts Besseres zu tun, als prompt dein unseliges Gift zu verspritzen. Mach endlich die Augen auf! … Du verschließt vor allem, was dir nicht passt, die Augen! … Ganz besonders, wenn es diesen Kretin«, sie wies dabei auf Karl, »betrifft!«
»Wie kannst du es wagen …?« Vor lauter Empörung schnappte ihre Mutter nach Luft, während sie ihrem Sohn mit einem frisch gestärkten, weißen Taschentuch übers Gesicht strich. Doch dieser wehrte sich gegen jegliche Form mütterlicher Fürsorge und würgte stattdessen erneut eine undefinierbar stinkende Masse hervor, die das ehedem blütenweiße Taschentuch innerhalb von Sekunden seiner Stärke und Reinheit beraubte.
»Mein armer Karl!«, seufzte sie, nicht ohne ihrer Tochter abschließend einen vernichtenden Blick zuzuwerfen.
Mit einem Harschen: »Was ist hier los?«, wurde den sich aufpeitschenden Unmutswogen ein Damm in Gestalt eines rundlichen Polizisten vorgeschoben. Er hatte sich seinen Weg durch die sich immer größer werdende Menschenmenge gebahnt und stand jetzt breitbeinig vor den Kontrahenten.
»Der besoffene Kerl hier hat mir mein ganzes Geschäft ruiniert. Schauen sie sich das an …«, brauste der Händler los und fackelte damit den Streit wieder an.
»Das ist nicht wahr! Wie können sie meinem Sohn dafür die Schuld geben?«, verteidigte Hannas Mutter ihren Sohn. »Der da ist an allem Schuld. Der hat meinen Sohn provoziert!«, und warf Rafael einen derart galligen Blick zu, dass dieser unbewusst einen Schritt zurückwich.
»Ich weiß nur eines, ihr Sohn ist gegen meinen Stand geprallt und hat alles zerstört. Er muss bezahlen!«, beharrte der Händler auf seinem Recht.
»Sie unverschämter Kerl! Sie stecken mit dem da unter einer Decke. Am Ende sind sie auch noch einer von diesem Zigeunerpack!«, fauchte sie ihn verächtlich an, ehe sie sich an die breitbeinig vor ihr stehende Personifikation von Recht und Ordnung wandte: »Herr Wachtmeister, heutzutage ist man seines Lebens nicht mehr sicher ...«, jammerte sie. »Man wird von diesem Pack verleumdet, bestohlen und betrogen. Dieses …«, verächtlich blähte sie die Backen, um zum Abschluss den zwar wortlosen, dafür aber um so beredeter wirkenden Rest auszublasen.
»Jetzt wollen wir mal sachlich bleiben. Was genau ist hier passiert?«, hakte der Ordnungshüter in aller Ruhe nach.
Ein: »Das habe ich ihnen doch schon gesagt …«, kreuzte sich mit einem: »Der da …«, und wurde im selben Augenblick von einem: »Stopp!«, geblockt.
»Einer nach dem andern oder ich nehme sie alle mit aufs Revier!«, verwarnte sie der Ordnungshüter und vergrößerte dabei gleichzeitig seine Breitbeinigkeit um einige Zentimeter. »Sie, Bürschchen«, er wandte sich dabei mit finsterem Blick an Rafael, »stellen sich da hin.« Er zeigte demonstrativ auf eine Stelle neben Hanna, die sich von ihrer Familie abgewandt hatte. »Und jetzt zu ihnen beiden. Sie reden nur dann, wenn ich ihnen sage, dass sie etwas zu sagen haben!«
»Also