Taubenjahre. Franziska C. Dahmen

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Taubenjahre - Franziska C. Dahmen

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an, laut und vernehmlich zu knurren.

      »Ei, a hübsch Zigeuner …Auf Freiersfüßen, was? Wenn's Geld hast, kannst eins haben. Is a gute Stärkung …«, rief ihm eine helle Frauenstimme zu, nicht ohne ihm ein zweideutiges Lächeln hinterherzuschicken.

      Rafael drehte sich nicht um. Er konnte Gadjeweiber nicht ausstehen, die meinten, dass jeder Zigeuner ein geiler Bock sei. »Und wenn ich verhungere, die kann sich ihre Würste sonst wohin stecken.«, brummte er missmutig vor sich hin.

      Seine Stimmung änderte sich erst, als sein Blick auf einen gegenüberliegenden Stand fiel, dessen Tische sich unter der Last frischer Semmeln und Teilchen bogen.

      Demonstrativ lenkte er seine Schritte dorthin und erstand mit laut klingender Münze zwei Milchsemmeln, was von der aller Illusionen beraubten Marktfrau mit einem verächtlichen Schnauben und einem: »Wohl was Besseres der Herr Zigeuner …«, kommentiert wurde.

      Jetzt erst recht!, dachte Rafael, und steuerte gezielt einen weiteren Stand an, an dem sich sein Besitzer auf luftgetrocknete Schinken und Jagdwurst spezialisiert hatte.

      Bestens ausgerüstet mit Fleisch in der einen und zwei Milchsemmeln in der anderen Hand, kehrte er zurück und schlenderte erneut an ihrem Stand vorbei, um zum nonverbalen Gegenschlag auszuholen, indem er direkt vor ihrer enttäuschten Nase genüsslich in seine Jagdwurst hinein biss.

      Die um ihren merkantilen Erfolg gebrachte Budenbesitzerin ließ einen kleinen empörten Aufschrei hören, ehe sie zum vernichtenden Schlag ausholte und ihm ein: »Dreckiger Hundsfot! Hast eh das Geld geklaut. Dei Sippschaft kann das gut!«, hinterher schoss .

      Schon wollte Rafael das Ganze mit einem: »Und du hast das über-den-Tisch-ziehen mit der Muttermilch aufgesogen …«, parieren, als sich mit einem weit über den Markt schallendem AMEN die Kirchentore weit öffneten, sodass die ersten ungeduldigen Kirchgänger die Messe verlassen konnten, um sich in den Niederungen des irdischen Lebens zu verlustieren.

      Amüsiert beobachtete Rafael, wie der gläubige Rest um einen Schlussakkord verzögert, das Tor zur Freiheit durchschritt, was die am Fuß der Kirche stehenden Händler endgültig aus ihrer Lethargie holte und in rege Betriebsamkeit versetzte.

      »Bänder, seidene Bänder und Spitzen«, konkurrierten mit einem Mal lautstark mit: »Würstchen«, »Essigmuttern«, »Spinatsamen« und »Besen« um die Wette. Doch ein Teil der so Beworbenen hatte anderes im Sinn. Statt in das Jahrmarkttreiben einzutauchen, strebte ein Großteil der Männer, die doch den Weg in die Kirche gefunden hatten, strammen Schrittes dem sonntäglichen Frühschoppen entgegen. Himmlisches Manna wollte trotz missmutig hinterher geworfener Blicke von Seiten der so verlassenen Ehefrauen gegen irdisch gebrautes Bier oder gar hochprozentigen Schnaps eingetauscht werden.

      Rafael musste unwillkürlich laut Auflachen, als er sah, wie selbst der Pfarrer, der mittlerweile seinen Talar gegen eine einfache, schwarze Soutane ausgetauscht hatte, geschickt einigen geschwätzeshungrigen Witwen auswich und treppab Richtung Grüner Bock eilte. Schon wollte er sich diesem irdischen Vertreter einer himmlischen Instanz anschließen, als er aus den Augenwinkeln ein junges Mädchen bemerkte, das auf das Markttreiben herabschaute. Ihr zu einem Kranz geflochtenes, weizenblondes Haar leuchtete golden im Sonnenschein und verlieh ihr einen unfreiwilligen Heiligenstatus, der allerdings durch die Lebensfreude, die sie ausstrahlte, zerstört wurde.

      Wie alt sie wohl sein mochte, fragte Rafael sich. Achtzehn? Neunzehn? Älter auf keinen Fall!

      Plötzlich wurde das Mädchen von einer alten Matrone fest am Arm gepackt. Beide wechselten kurz ein paar Worte miteinander. Die Mine des Mädchens verdunkelte sich dabei zusehends, während die alte Matrone zeitgleich ein paar grimmige Blicke auf das Marktgetümmel herabschoß.

      Aha, dachte Rafael, da wo Licht ist, ist auch Schatten; und was für ein Schatten! Wer mit einer derart grimmigen Miene herumläuft, darf sich nicht wundern, wenn ihm die Milch vor Schreck sauer wird. Schade! Das war es dann wohl.

      Mit einem letzten bedauernden Blick auf die helle Lichtgestalt, wollte Rafael sich abwenden, als er sah, wie sie die Stufen herabzutänzeln begann.

      Was für ein Gang! Rafael schüttelte ungläubig den Kopf und geriet ins Schwärmen: Da ist Musik …, da ist Harmonie …, da ist Grazie drin! Wie sie schwebt, wie sie tanzt … Oh, dio! Ein Gang zum Niederknien. Das Mädchen hat Musik im Blut. Diese Harmonie, diese Lebensfreude … Selbst mit dem schweren stereotypen Grundschlag der Matrone, der in einem immer gleichen, stapfendem Tam, Tam, Tam bestand, schien sie zu spielen, indem sie ihn in jeder dritten Stufe aufnahm, nur um ihn direkt wieder aufzubrechen und in ein beschwingtes Tamtam umzuwandeln. Das Mädchen war wirklich fleischgewordene Musik, war Rhythmus pur. Es war einfach unbeschreiblich!

      Ungewollt summte er mit. Niemals in seinem Leben hätte er es für Möglich gehalten, dass eine Gadje sich derart bewegen konnte. Doch halt! Ihr Gang hatte sich verändert. Etwas Zögerndes, Schweres, Erdiges hatte sich eingeschlichen und sie aus dem beschwingten Takt ihrer leichtfüßigen Schritte geraten lassen. Immer schwerer und langsamer war ihr Gang geworden, bis sie endgültig auf einer der noch wenigen, ihr verbliebenen Stufen stehen blieb.

      Rafael runzelte die Stirn, als er ihrem Blick folgte, der auf einem schlanken, jungen Mann verharrte.

      Wie ein im Wind schwankender Rohrkolben hatte er sich vor den beiden Frauen aufgebaut und fuchtelte mit den Armen, um einigermaßen aufrecht stehenzubleiben.

      Besoffen! Der Kerl ist schlicht und einfach besoffen, stellte Rafael nicht ohne ein gewisses Maß an Schadenfreude fest, während er neugierig das weitere Geschehen beobachtete.

      Innerhalb eines Sekundenbruchteils hatte das Gesicht der sauertöpfischen Matrone erst einen verschämten, dann einen trotzigen Ausdruck angenommen, ehe es das Leiden schlechthin manifestierte. Ein sich unmittelbar anschließender Wortschwall, der zielgerichtet auf den jungen Mann niederprasselte, sollte ihn wohl zur Räson bringen, aber die von ihr erhoffte Wirkung stellte sich nicht ein, sodass sie letztlich in einer gekrümmten Haltung erstarrte.

      Der junge Mann hingegen, der die Worte der Matrone mit einer harschen Handbewegung abgewehrt hatte, wandte sich dem Mädchen zu, welches den Schwankenden mit bleicher, ausdrucksloser Miene anschaute. – Die Gerade pariert die Schräge, schoss es Rafael durch den Kopf. Und was für eine Gerade! Bewundernd verfolgte er, wie das Mädchen der Hitze des jungen Mannes eine eisige Kälte entgegensetzte, die ohne ein einziges Wort oder eine überflüssige Geste auskam.

      Gleichwohl so ganz ans Aufgeben dachte das schwankende Schilfrohr auf zwei Beinen noch nicht. Je abweisender das Mädchen sich benahm, desto hitziger gebärdete sich der junge Mann, bis er schließlich an einen Punkt gelangte, an dem er sein Gleichgewicht verlor und der Länge nach hinfiel.

      Rafael lachte laut auf. Die Schräge war abrupt in die Horizontale geraten und bildete mit der Geraden einen perfekten Winkel von 180 °, während etwas abseits eine gramgebeugte Kurve verloren im Raum stand. Doch sowohl Krümmung, Gerade als auch Horizontale gerieten jetzt in Bewegung: Noch während die Matrone dem jungen Mann wieder auf die Beine verhelfen konnte, umrundete das Mädchen die beiden ineinander verhakten Körper und schritt hoch erhobenen Hauptes durch die kleine Menschentraube, die sich in einigem Abstand um das Trio gebildet hatte.

      Schade!, schoss es Rafael mit leisem Bedauern durch den Kopf. Aus dem vivace der tänzelnden Schritte war ein grave geworden. Und das nur, weil so ein besoffenes Schwein wie das da hier auftauchen musste.

      »Hanna! … Nun … sei doch nicht so! … Komm schon…, du … du musst mir helfen …«. Hilfe suchend streckte der junge Mann die Hände nach dem Mädchen aus und versuchte ihr mehr

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