Taubenjahre. Franziska C. Dahmen

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Taubenjahre - Franziska C. Dahmen

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stellten sie mit den ganzen Bögen an, die tagtäglich München erreichten?

      Ein heftiger Ruck brachte die Töpfe im Innern seines Wagens zum Scheppern und katapultierte ihn aus dem fernen München ins Hier und Jetzt zurück. Die gedankliche Schieflage erreichte durch Kosaks scheppernden Fehltritt wieder eine Waagerechte und ließ Rafael einen Blick auf seine Umgebung werfen.

      Ohne es zu bemerken, hatte er fast schon sein Ziel erreicht. Denn unmittelbar vor ihm breitete sich das Panorama einer im Tal gelegenen Kleinstadt aus, deren rote Satteldächer das karge Grün der in Reih und Glied stehenden Baumkronen auflockerten. Da, wo die Baumkronen am akkuratesten standen, musste es sich um die Hauptstraße handeln. Sie wurde ihrerseits in der Mitte vom Rathausplatz unterbrochen, dem Rafael ein eigenes, großflächig angeordnetes Karree aus Baumkronen zuordnen konnte. Verlies man diesen Platz und folgte dem weiteren Verlauf der Straße, so wurde man auf den architektonischen Höhepunkt des Ortes geführt: Der auf einer leichten Anhöhe stehenden Kirche, die mit ihrem Glockenturm alle anderen senkrechten Bestrebungen überragte.

      Halb geblendet von den sich in den Dachfenstern spiegelnden Sonnenstrahlen, betrachtete er sie: Schwarz und selbstbewusst stieß sie ihr spitzes Dach in den blauen Himmel. Zusammen mit dem Markt bildete sie das Zentrum kleinstädtischen Lebens. Wie sollte es auch anders sein? Alles hatte eben seine Ordnung!

      Ein verschmitztes Lächeln stahl sich in Rafaels Gesicht.

      Und was für eine Ordnung!, dachte er breit grinsend. Denn genau gegenüber der Kirche würde man auch hier ein Haus finden, in dem sich das Bordell befand, das obligatorisch zu einer Kleinstadt gehörte, wie Hammer und Amboss in eine Schmiede. So war es immer: Himmel und Hölle lagen nun einmal dicht nebeneinander. Dem einem stand der Himmel näher, dem anderen die Hölle, beziehungsweise der Genuss irdischer Güter. Daran konnten auch nichts die Kirchenglocken ändern, die laut und vernehmlich anfingen zu läuten.

      Wer jetzt noch schlafen will, hat schlechte Karten, dachte Rafael. – Wie heißt es so schön? Carpe diem, nutze den Tag! Die Frauen würden beim ersten Glockenschlag in die Kirche hasten, während die Männer ganz andere Pfade gewillt waren einzuschlagen. Gemütlich würden sie das nächstbeste Wirtshaus ansteuern, um hier ihren sonntäglichen Frühschoppen zu genießen, ehe es sie Punkt 12 Uhr zu Schweinebraten und Kartoffeln wieder heimwärts führte. Alles hatte eben seine Ordnung. Nur heute nicht! Denn heute war Markttag.

      Markttag

      Jedes Jahr wurde in der Stadt am ersten Maiwochenende ein großer Jahr- und Viehmarkt abgehalten, und wie jedes Jahr waren auch er und seine Familie dabei. Mit etwas Glück würde er seinen Vater auf dem außerhalb der Stadtmauern angelegten Viehmarkt treffen. Ganz im Gegensatz zu seinen Schwestern: Die zogen den im Stadtkern abgehaltenen Jahrmarkt vor, um dort den gutgläubigen Backfischen aus der Hand zu lesen.

      Ein breites Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Die Wahrsagerei der Frauen war ein einträgliches Geschäft, das übers Jahr gerechnet, oft mehr einbrachte als der gesamte Pferdehandel. Seine kleine Schwester Lara konnte ein Lied davon zu singen. Sie wusste ganz genau, wie man den Gadje3 das Geld aus der Tasche zog. Das richtige Minenspiel zur richtigen Zeit gepaart mit einigen gezielt eingesetzten Ahs und Ohs und schon füllten sich bei ihr die Taschen mit Geld. Mit Leichtigkeit würde sie eines schönen Tages eine ganze Familie ernähren können. Der Mann, der sie bekam, konnte stolz auf sie sein. Er würde sich wie fast alle Männer seiner Familie deshalb fast ausschließlich dem Pferdehandel widmen können.

      »Was ich jetzt langsam aber sicher auch endlich tun sollte!«, ermahnte Rafael sich selber. »Wenn ich weiter so trödele, komme ich nie an!«

      Rafael schnalzte laut mit der Zunge und lenkte seinen Rappen in Richtung Viehmarkt.

      Je näher er kam, desto lauter wurden die Geräusche. Gänse schnatterten, Schafe blökten und Schweine grunzten. Und wie es aussah, waren auch schon die ersten Tiere verkauft worden. Von weitem hörte Rafael die neuen Besitzer Rufen und Schreien, während ihr neu erworbenes Vieh lauthals gegen seinen Abtransport protestierte. Ein Pferd wehrte sich derart vehement mit Püffen und Bissen gegen die unsanfte Untersuchung seines Gebisses, sodass sein potentieller Käufer laut fluchend von einer weiteren Betrachtung absah und trotz etlicher Beschwichtigungsversuche seitens des Händlers lieber das Weite suchte. Zum Ausgleich dazu wurden sich ein paar Meter weiter Verkäufer und Käufer über den Preis zweier Mastferkel einig. Beide spuckten gezielt in die eigene Hand und besiegelten den Handel lauthals mit einem Handschlag.

      Ja, es war Viehmarkt, und Rafael genoss es.

      »Rafael!«, hörte er plötzlich eine helle Knabenstimme rufen. Es war sein kleiner Bruder Kore, der sich durch die lauthals schimpfende Menge wand und aufgeregt auf ihn zugerannt kam. »Wir sind hier. Papa hat schon vor ner Stunde deinen Schimmel verkauft.«

      Rafael winkte ihm lächelnd zu und lenkte seinen Wagen auf einen etwas abseits stehenden Platz, wo sich zwei weitere Wagen befanden.

      »Warum hat das so lange gedauert?«, fragte Kore, der mittlerweile zu ihm auf den Bock geklettert war, um sich die letzten paar Meter bis zum Stellplatz fahren zu lassen. »Wir haben dich schon gestern Abend erwartet. Dahinten im Bach gibt es Forellen. Ich habe zwei gefangen. Die eine war soooo groß.« Kore breitete die Arme weit auseinander und strahlte ihn mit seinen nussbraunen Augen an.

      »Muss ja 'nen mächtiger Kampf gewesen sein!«

      »Wenn du mir nicht glauben willst, kannst du ja Popo fragen!«, gab er frech zurück und sprang im nächsten Augenblick vom Bock herunter. »Bis später Raf!«, dabei hob er lässig die Hand zum Gruß. »Hab 'nen Friesen entdeckt, den ich mir genauer anschauen muss.« Und schon war er im dichten Gedränge der Menge verschwunden.

      Nachdem Rafael Kosak ausgespannt und mit Futter versorgt hatte, steuerte er den Markt an. Mit etwas Glück würde er heute ein paar Pferde finden, die er im Herbst wieder mit Gewinn verkaufen konnte.

      Interessiert warf er einer kleinen, braunen Stute einen Blick zu. Unscheinbar stand sie neben einem schwarzen Hengst, der bei einigen Gadje Aufsehen erregte.

      Dass bisher niemand bemerkt hat, dass der Händler seine Blässe mit schwarzer Schuhwichse eingefärbt hat, grenzt an ein Wunder!, staunte Rafael. Dabei war das nun wirklich nicht zu übersehen! Und die stumpfe Stelle dort auf der Kuppe verriet eindeutig, dass das Tier zuvor mit Bier abgerieben worden sein musste. Wie sonst hätte es in der Sonne so glänzen können? Also wirklich, wie dumm die Gadje doch waren?! Kopfschüttelnd wandte er sich ab und machte sich auf den Weg in Richtung Innenstadt.

      Im Gegensatz zum lautstarken Treiben auf dem Viehmarkt herrschte auf dem Jahrmarkt kaum Betrieb. Die Händler warteten darauf, dass die ersten Kirchgänger endlich die Messe verließen, nutzten aber gleichzeitig die ihnen verbliebene Zeit, um ihre Waren noch ein letztes Mal umzustellen. So drapierte der eine ein Stück Stoff neu, während ein anderer in aller Ruhe die letzten frisch gebrannten Mandeln in eine rot-weiß-gestreifte Tüte füllte.

      Amüsiert beobachtete Rafael das gemächliche Treiben und schlenderte von einem Stand zum nächsten. Alles, was das menschliche Herz begehren konnte, war vorhanden: Stoffe, Seifen, Keramik, die ganze Palette der Handwerkskunst. Und auch für das leibliche Wohl war gesorgt. Der Duft von frisch gebackenem Brot vereinte sich mit dem von geräuchertem Speck und über offenen Feuerstellen brutzelndem Fleisch. Überall, wo man nur hinschaute, bogen sich die Stände unter der Last der Backwaren, Süßigkeiten und Fleischwaren. Einmach- und Marmeladengläser, in denen die Obstfülle des vorangegangenen Jahres eingefangen war, stapelten sich zu gefährlichen Höhen, während die dunkelrot und golden schimmernden Likörflaschen von den Sonnenstrahlen zum Funkeln gebracht

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