Die lichten Reiche. Smila Spielmann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die lichten Reiche - Smila Spielmann страница 6
Es war mitten in der Nacht als Lucthen das Tor durchschritt, das in den ersten Ring führte. Zielstrebig ging er auf die kleine Hütte zu, die seit seiner Geburt sein Zuhause gewesen war. Nach Stunden des Nachdenkens war Lucthen zu einem Schluss gekommen: es gab nur eine Person, die ihm vielleicht weiterhelfen konnte. Als er die Tür hinter sich ins Schloss zog, merkte er verwundert, dass in der Wohnstube noch Licht brannte. Er fand seinen Vater in dessen Lieblingssessel vor dem Kamin vor, eine warme Decke um die Beine gewickelt. Einst war Lucthens Vater ein Talosreiter gewesen, doch mittlerweile war er zu alt um seinem König zu dienen. In den letzten Jahren hatte ihn zusehends seine Kraft verlassen; sein Haar war ergraut und beim Gehen musste er sich auf einen Stock stützen. „Warum bist du noch wach, Vater?“, erkundigte sich Lucthen neugierig, als er zu ihm trat und ihm grüßend die Hand auf die Schulter legte.
„Ich habe mir Sorgen gemacht, weil du nicht heim gekommen bist“, erklärte der alte Mann mürrisch.
Lucthen unterdrückte ein Grinsen. Er war achtundzwanzig Jahre alt, ausgebildeter Magus und sein Vater sorgte sich, weil er sich ein paar Stunden verspätete… „Ich bin jedenfalls froh, dass du noch wach bist. Ich möchte mit dir reden“, meinte er, als er sich in den Sessel, der neben dem seines Vaters stand, fallen ließ.
„Ist es wichtig?“, erkundigte sich der alte Mann. „Ich meine, können wir nicht morgen Früh…“
„Es ist sehr wichtig und ich habe ohnehin schon zu lange gewartet.“
Lucthens barscher Tonfall ließ seinen Vater aufhorchen. „Was hat dich so aufgebracht, mein Sohn?“
Lucthen starrte in die Flammen. Er wusste nicht genau wie er beginnen sollte. So viel stand auf dem Spiel, denn wenn sein Vater ihm nicht weiterhelfen konnte, musste er seine Hoffnung, sie je zu finden, begraben. „Erinnerst du dich, dass ich früher manchmal von einem Mädchen geträumt habe?“, begann er. Seine Augen ruhten aufmerksam auf dem Gesicht seines Vaters und so entging ihm nicht, dass dieser sich anspannte, obwohl er sich bemühte möglichst unbeteiligt zu wirken.
„Das ist schon Jahre her.“
Langsam schüttelte Lucthen den Kopf. „Nein, ich habe nur aufgehört von ihr zu erzählen, weil niemand mir geglaubt hat.“
Eine tiefe Stille senkte sich über das Zimmer. Interessiert beobachtete Lucthen die Reaktion seines Vaters. Konnte er tatsächlich Schuldgefühle in dessen Miene lesen?
„Warum erzählst du mir das, Lucthen?“, fragte der alte Mann schließlich.
„Weil ich sie heute gesehen habe. Sie ist in Gefahr. Vater, wenn du irgendetwas weißt, dann musst du mir das sagen. Wenn ihr etwas zustößt…“, brach es aus Lucthen heraus.
„Aber wie kommst du darauf, dass ich irgendetwas…“
„Weil ich nachgedacht habe. Ich kenne dich, Vater – deine Reaktionen, immer wenn ich von ihr erzählt habe, waren … eigenartig.“
Der alte Mann starrte in die Flammen, als hätte er die Anwesenheit seines Sohnes vergessen und lange Zeit war nur das Knacken der Holzscheite und sein schweres Atmen zu hören. „Ich wollte es dir sagen, beim Licht, das wollte ich“, murmelte er irgendwann leise, wie zu sich selbst, „..aber ich habe einen Eid geschworen.“
Lucthen konnte sehen wie sein Vater mit sich rang. Es kostete ihm seine ganze Beherrschung ruhig zu bleiben und ihn nicht zu bedrängen. Schließlich schüttelte der alte Mann langsam den Kopf. „Lass uns ein anderes Mal darüber reden, mein Sohn.“
„Heute noch. Ich muss es wissen.“ Lucthens Stimme war fest und entschlossen.
Der alte Talosreiter schaute seinen Sohn traurig an. Er schien zu begreifen, dass die Zeit der Ausflüchte nun vorüber war. „Du warst noch sehr jung, vielleicht drei oder vier Jahre alt und deine Mutter war noch nicht lange tot, als ich einen Auftrag bekam. Ich sollte in die östlichen Wälder reiten und dort etwas abgeben. Damals war ich ziemlich lange fort, erinnerst du dich?“
Lucthen nickte bang. Er sagte nichts um seinen Vater nicht aus den Erinnerungen zu reißen, die ihn offensichtlich eingeholt hatten. Er schien im Feuer Dinge zu sehen, die Lucthen verborgen blieben.
„Doch als ich sah, was ich in die östlichen Wälder bringen sollte, da war mein erster Gedanke, dass ich mich weigern würde“, fuhr er schließlich fort. „Tagelang konnte ich mich zu keiner Entscheidung durchringen. Ich brachte sie her. Das kleine, süße Mädchen. Sie war noch ein Säugling und sie war blind.“
Lucthen ballte die Hände zu Fäusten um nicht unwillkürlich nach dem Netz zu greifen. Bei Lucis, das konnte nicht wahr sein!
„Du hast sie vom ersten Moment an geliebt – und sie hat dich geliebt. Wenn sie nicht in deinen Armen liegen durfte, hat sie nur geschrieen und gebrüllt, doch sobald du sie gehalten hast, sind ihre Tränen versiegt und sie hat dich mit ihren hellen Augen angesehen, als würde sie dich ganz genau erkennen.“ Dem alten Mann fiel es sichtlich schwer weiterzusprechen, doch er zwang sich dazu. „Lucthen, wenn du nicht alles gewesen wärst, das mir geblieben war, ich hätte dich in die Auen mitgenommen und dich bei ihr gelassen. Denn beim Licht, ich wusste, dass ihr ohne einander nicht glücklich werden würdet. Doch ich konnte es nicht. Ich konnte mich dem Befehl meines Königs nicht widersetzen und ich konnte dich nicht gehen lassen. Ich hatte doch gar keine Wahl.“
Lucthen war wie vor den Kopf gestoßen. All die Jahre hatte ihm sein Vater nichts gesagt, all die Jahre… „Warum?“, fragte er schließlich. Er konnte die Bitterkeit in seiner Stimme hören, doch er hatte nicht die Kraft sie zu unterdrücken. „Warum sollte Talos wollen, dass du einen Säugling in die Auen bringst?“
Lucthens Vater schwieg lange Zeit. „Er hatte seine Gründe, doch ich kann sie dir nicht nennen.“ Die Stimme des alten Mannes hatte einen stählernen Klang angenommen und Lucthen begriff dumpf, dass er von seinem Vater auf diese Frage keine Antwort erhalten würde.
„Ihren Namen, sag mir wenigstens ihren Namen.“
Wieder schwieg sein Vater lange Zeit und Lucthen dachte schon, er würde auch auf diese Frage keine Antwort erhalten. Doch dann hörte er ihn, den einen Namen, den zu hören er sein ganzes Leben gehofft hatte.
„Liisatiina.“
Die neue Baronin von Kornthal betrat Hand in Hand mit ihrer Nichte die große Halle der Burg. In den langen Tagen ihrer Abwesenheit hatte sich nichts verändert und doch spürte Crystal, dass alles anders war. Die Dienerschaft hatte sich in der Halle versammelt um sie zu begrüßen und Crystal blickte in die vertrauten Gesichter. Marthe, die Köchin, die sie kannte seit sie das Licht der Welt erblickt hatte, der Magus Horten, der Joys Lehrer war und der damals schon sie und Rhys unterrichtet hatte, die beiden Stalljungen, die sich so ähnlich sahen, dass Crystal sie ständig zu verwechseln pflegte und schließlich Prudence, das Mädchen, das als Amme für Joy angestellt worden war – sie alle schauten ihre Herrin erwartungsvoll an und obwohl Crystal gewusst hatte, dass dieser Moment kommen würde, hatte sie das Gefühl jetzt kein Wort über die Lippen zu bringen. Thorben stand nur ein paar Schritte hinter ihr. Er war in den letzten Tagen eine große Stütze gewesen; er hatte sich um ein Zimmer in einer Taverne für Joy und sie bemüht und veranlasst, dass die Leichen von Joys Eltern der Tradition gemäß den Flammen übergeben wurden, damit sie eingehen konnten in das Licht Lucis’. Crystal hatte sich beharrlich geweigert zur Burg zurückzukehren