Die lichten Reiche. Smila Spielmann
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Читать онлайн книгу Die lichten Reiche - Smila Spielmann страница 8
Dawn unterdrückte ein Grinsen. Sie würde die Taverne nicht in Brand stecken, dessen war sie sich gewiss. Drei Fackeln sausten durch die Luft und Dawn fing sie mit leichten Drehungen ihres Handgelenks mühelos auf und schickte sie gleich wieder in die Luft. „He“, rief ihr Corus vom Bühnenrand aus zu. Er hielt eine weitere Fackel in der Hand und sobald ihm Dawn den Kopf zugewandt hatte, warf er sie ihr zu. Dawn tat, als wäre sie davon völlig überrascht und als würde sie Gefahr laufen, alle vier Fackeln fallen zu lassen. Der Wirt keuchte erschrocken auf. Doch noch war die Feuershow nicht zu Ende. Dawn brachte die vier Fackeln unter Kontrolle. Höher und immer höher ließ sie sie in die Luft fliegen, bis sie schließlich, als sie sich sicher war, dass alle, aber auch wirklich alle Augen im Raum auf sie gerichtet waren, eine fallen ließ. Dawn hörte die Menschen erschrocken aufschreien, doch sie wusste, dass nichts passieren würde. Corus stand mit einem Eimer bereit und hatte die Fackel gelöscht, noch bevor sie wirklich am Boden aufschlug. Achtlos fing Dawn die restlichen Fackeln in einer Hand auf und steckte sie in den bereitstehenden Wassereimer, so dass sie zischend verloschen. Jetzt kam Dawns liebster Teil ihres allabendlichen Auftrittes. Corus reichte ihr fünf Messer, deren Klingen so lang waren wie ihre Hand. Die Messer waren perfekt ausbalanciert und scharf. Dies war der einzige Teil, der wirklich Dawns gesamte Konzentration erforderte, ihre Handflächen vor Aufregung feucht werden ließ und ihr Herz dazu brachte schneller zu schlagen. Sie warf die Messer der Reihe nach in die Luft, bis sie sicher war, einen Rhythmus gefunden zu haben, den sie halten konnte. Geduldig wartete sie auf den richtigen Moment, fing mit ihrer rechten Hand ein Messer auf und schickte mit ihrer linken eines in die Luft. Schneller als irgendjemand schauen konnte, schlug sie unter den wirbelnden Klingen einen Salto, kam wieder zum Stehen und fing das nächste Messer. Tosender Applaus brandete auf und Dawn gestattete sich ein befreites Grinsen. Wieder ließ sie die Messer tanzen bis sich ihr Herzschlag beruhigt hatte, dann fing sie in ihrer Linken zwei Messer und in ihrer Rechten drei. Noch bevor jemand merkte, dass sich die Klingen nicht mehr in der Luft befanden, warf sie die fünf Messer fast gleichzeitig in die Höhe. Im selben Moment sprang Dawn nach hinten ab, bog ihren Rücken, so dass sie mit den Händen auf dem Boden landete, stieß sich mit aller Kraft ab und kam schließlich auf beiden Beinen zum Stehen. Einen Augenblick später schlug das erste Messer ein und blieb knapp neben Dawns rechtem Bein im Boden stecken. Dawn hielt die Augen geschlossen, bis sie auch das letzte Messer einschlagen hörte. Dann war die Gefahr vorbei. Als sie die Augen öffnete, sah sie, dass die fünf Klingen einen perfekten Kreis um sie herum bildeten. Dawn grinste glücklich. Dieser Teil ihres Auftrittes gelang ihr nicht immer fehlerfrei, wie eine lange Narbe an ihrem linken Oberarm bewies. Doch heute war alles gut gegangen. Dawn verbeugte sich so schwungvoll, dass ihr dunkler Zopf in hohem Bogen nach vorne und wieder zurück geschleudert wurde und die Leute klatschten begeistert. Das war ihr Leben und für diesen Moment liebte sie es. Ihr Vater, Corin, war der Anführer der kleinen Gauklertruppe und ein talentierter Messerwerfer. Die Leidenschaft für scharfe Klingen hatte sie wohl von ihm geerbt und obwohl er ein strenger Lehrmeister war, der nur selten ein Lob aussprach, wusste Dawn, dass er stolz auf sie war. Ihre Mutter Maija war ebenfalls Mitglied der kleinen Gruppe und so war Dawn bei den Gauklern aufgewachsen und kannte kein anderes Leben als das Umherziehen von Ort zu Ort. Die Truppe war ihre Familie. Madame Fate, die die Zukunft vorhersagen konnte; Nadia, die als Tänzerin die Männer verführte und Corus, der Zauberkünstler. Corus reiste erst seit zwei Jahren mit ihnen. Er war davor bei einer anderen Truppe gewesen, hatte jedoch von dort verschwinden müssen. Soweit Dawn wusste wegen eines Mädchens. Doch seit er bei ihnen war hatte es diesbezüglich nie Probleme gegeben und Dawn war froh, dass er mit ihnen reiste. Die anderen waren alle erwachsen; nur Corus war in ihrem Alter und so waren die Beiden gut befreundet.
„Ich wünschte wirklich, ich könnte dich davon überzeugen, dass du den Schlussteil deiner Nummer änderst“, meinte Maija seufzend, als Dawn von der Bühne gesprungen war und sich alle in einem Hinterzimmer versammelt hatten.
Dawn entwand sich ärgerlich der mütterlichen Umarmung. „Mama, du weißt genau, dass das der einzige Teil ist, der mir wirklich Spaß macht!“
„Ja ja, schon gut. Ich meine ja nur, wenn du dich bemühen würdest, könntest du vielleicht etwas weniger Gefährliches finden, das auch Spaß macht.“
Dawn schüttelte den Kopf. Dieses Gespräch hatten sie schon oft geführt. Ihre Mutter würde nie den Reiz verstehen, den die Gefahr auf sie ausübte. Doch Dawn liebte ihre sanfte, zarte Mutter. Sie wollte nicht streiten und so verließ sie das Zimmer, das ihnen der Wirt zur Verfügung gestellt hatte, nachdem seine Gäste – angeheizt von den Darbietungen – mehr Bier tranken als sonst und ihm die Gaukler so zu einem guten Geschäft verhalfen.
Dawn hatte vor, draußen ein wenig frische Luft zu schnappen. Die Sonne war schon vor einiger Zeit untergegangen, der Schankraum war jedoch immer noch gut gefüllt. Dawn schlüpfte unbemerkt zwischen den Tischen und Bänken hindurch. Auf den ersten Blick sah sie aus wie ein zu schmal gebauter Junge und so schenkte man ihr nicht besonders viel Aufmerksamkeit. Als sie an einem der Tische vorbeikam, blieb sie jedoch unwillkürlich stehen. Irgendjemand hatte seinen Geldbeutel liegen lassen. Sie zögerte einen Moment lang, dann ging sie weiter. Ihre Finger zuckten unauffällig in Richtung des Beutels und dieser verschwand zwischen den Falten ihrer weiten Leinenbluse. Dawns Herz hatte zu rasen begonnen, doch sie ging unauffällig und scheinbar ruhig zur Tür. Erst als sie draußen war stieß sie den Atem aus, den sie unwillkürlich angehalten hatte und holte ein paar mal tief Luft. Sie entfernte sich von der Taverne und untersuchte den Inhalt des Beutels. Ihre Lippen verzogen sich zu einem glücklichen Lächeln. Vor ihrem geistigen Auge sah sie sich schon wunderbare Dinge kaufen. Entschlossen verdrängte sie das schlechte Gewissen, das sie jedes Mal überkam, wenn sie etwas gestohlen hatte und steckte den Beutel wieder weg. Seit sie vor einiger Zeit herausgefunden hatte, dass sie ihre Geschicklichkeit nicht nur zum Jonglieren von Messern einsetzen konnte, lebte sie wesentlich angenehmer als zuvor – und noch hatte niemand etwas bemerkt…
Später an diesem Abend schlichen sich Dawn und Corus nach draußen. Gemeinsam erkundeten sie die Gegend. Dawn hatte Corus in Richtung der Felder geführt. Heute Abend hatte sie keine Lust in einem beengten Dorf zu bleiben und als sie schließlich einen Feldweg entlang spazierten, schlug Dawn ein Rad nach dem anderen um mit Corus, der gemütlich den Weg entlang spazierte, auf gleicher Höhe zu bleiben. Nach ein paar Minuten ließ sie sich erschöpft auf den Boden fallen. „Ich kann nicht mehr“, lachte sie.
Corus setzte sich neben sie mitten auf die schmale Straße. Um diese Tageszeit war es mehr als unwahrscheinlich, dass sie jemandem im Weg sein würden. „Du hast ohnehin länger durchgehalten, als ich dachte.“
Lachend boxte Dawn ihm in die Seite. „Du solltest mich nicht unterschätzen, Zauberlehrling.“
Corus nickte lächelnd. Sie hatte Recht. Obwohl Dawn klein und zierlich war, besaß sie eine nicht zu unterschätzende Kraft. Er war um einen ganzen Kopf größer als sie und doch zweifelte er nicht daran, dass sie ihn im Armdrücken jederzeit besiegen würde. Corus war weit davon entfernt Dawns Fähigkeiten zu verkennen. Irgendwie wusste er, dass sie etwas Besonderes war und diese Erkenntnis hatte nichts damit zu tun, dass sie von Tag zu Tag hübscher wurde, nun da ihre Brüste langsam anfingen die richtigen Formen anzunehmen und ihr Gesicht weiblicher wurde. Nein, da steckte mehr in ihr – ihre seltsamen Augen verrieten es. Dawn hatte es sich im weichen Gras gemütlich gemacht und ihren Kopf auf ihre Unterarme gebettet. Gedankenverloren starrte sie in den Nachthimmel. Corus tat es ihr gleich. Eine Weile schwiegen sie Beide, dann begann er ihr verschiedene Sternbilder zu erklären. Dawn lauschte geduldig, lachte nur manchmal, wenn sie nicht erkennen konnte, warum eine bestimmte Formation Bauer hieß oder Hütte. Schließlich stützte sich Corus auf einen Ellenbogen. „Denkst du, dass Madame Fate tatsächlich das Schicksal vorhersagen kann?“, erkundigte er sich gespannt.
„Genauso gut wie du echte Magie wirken kannst.“
Corus