Das Erbe der Ax´lán. Hans Nordländer
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Читать онлайн книгу Das Erbe der Ax´lán - Hans Nordländer страница 19
Nicht überall ging es so still und gefasst zu wie in den Leseräumen. Anderenorts gab es rege Gespräche, wurde gelacht und gespielt, wurde gesungen und gab es Aufführungen. Trywfyn begegnete Verwandten, Bekannten und alten Mitstreitern, die vor ihm dort angekommen waren. Die Hallen der Ahnen waren also kein ausschließlich gedankenversunkener Ort, wie Trywfyn anfangs erwartet hatte. Doch eines vermisste er, was er in seinem irdischen Dasein durchaus geschätzt hatte. Es gab keine Mahlzeiten. Es wurde weder gegessen noch getrunken. Aber er stellte bald fest, dass es dafür auch nicht das Bedürfnis gab.
Elveran hatte Recht gehabt. Trywfyn war zu seinen irdischen Zeiten kein besonders eifriger Leser gewesen und so wenig verlockend ihm die Aussicht darauf erschien, die Zeit in den Hallen der Ahnen bis zum Großen Auszug mit Lesen zu verbringen, so innig vertiefte er sich jetzt in sein vergangenes Leben. Natürlich gab es auch andere Beschäftigungen und die mit seinem abgelaufenen Dasein nahm nur einen Teil seines Aufenthaltes ein.
Er lernte durch das Studium seines Buches, wo Gutes und wo weniger Gutes geschehen war, aber es gab nichts, was für ihn schlimmere Folgen gehabt hätte als seine Gewissensbisse und den festen Vorsatz, nicht wieder so zu handeln, falls er noch einmal in eine ähnliche Lage kommen würde. Und nichts anderes war die Absicht des Lebensstudiums. Kein Ogmari wurde durch anderes bestraft als durch sein eigenes Gewissen. Genauso wenig gab es Lob von anderen. Trywfyn merkte bald, dass sich sein Urteilsvermögen unter den Bedingungen in den Hallen der Ahnen änderte und vor allem erweiterte und gerechter wurde. Doch jetzt hatte er nicht mehr über andere zu urteilen, sondern nur noch über sich selbst.
Trywfyn entschied sich, dankbar für die Zeit in den Hallen der Ahnen zu sein. So lange sie auch dauern würde, er wollte sie nutzen, um sich auf das Dasein vorzubereiten, das in nicht weiter Ferne auf ihn wartete. Auch wenn es ihm nicht bewusst wurde und er es auch durch niemanden erfuhr, so keimte in ihm der Wunsch auf, in allen zukünftigen Ereignissen gerechter und milde zu entscheiden und die Bedingung dafür war, ihnen furchtlos zu begegnen.
Von dem, was in der irdischen Welt geschah, erfuhren sie in den Hallen der Ahnen wenig. Auch wenn immer wieder neue Ogmari dort ankamen, so konnten sie meistens doch nur darüber berichten, was sich in ihrem eigenen Land ereignete. Und so blieb Trywfyn auch verborgen, was aus seinen Freunden geworden war.
Mit der Zeit stellte er eine bemerkenswerte Veränderung an sich selbst fest. Hatte er am Anfang noch oft an sie gedacht, so wurden ihm ihre Abenteuer allmählich immer gleichgültiger. Es war nicht so, dass er sie vergaß, aber er maß ihren Taten weniger Bedeutung bei. Und vielleicht hatten sie auch wirklich nicht die Bedeutung, die sie ihnen immer zugeschrieben hatten, möglicherweise nicht einmal die Suche nach den Fragmenten des Chrysalkristalles.
Zuerst wunderte sich Trywfyn, dass sich sein neues Dasein nicht so deutlich von seinem irdischen unterschied, wie er gedacht hatte. Er hatte sich seinen jetzigen Zustand himmlischer, überirdischer vorgestellt. Und doch musste er mit der Zeit erkennen, dass seine Anteilnahme an den irdischen Ereignissen geringer wurde.
Schließlich kam die Zeit des Großen Auszugs und der Verwandlung Elverans. Die ersten Anzeichen dafür wurden jedoch im irdischen Teil des Volkes der Ogmari sichtbar.
Seit dem Tod Trywfyns hatte das Leben in Ogmatuum seinen gewöhnlichen Gang genommen. Viele Ogmari hatten den Wechsel in ihrem Herrscherhaus mit einer gewissen Gleichgültigkeit zur Kenntnis genommen. Elgen Damoth war fern und ihre eigenen Geschäfte standen ihnen näher.
Irgendwann und anfangs unterschwellig begannen sie, eine ungewöhnliche Unruhe und Rastlosigkeit an sich festzustellen. Wann es genau anfing, konnten nicht einmal die Gelehrten sagen. Anscheinend hat es unmerklich begonnen. Aber jeder Ogmari litt unter den gleichen Anzeichen und es wurde offensichtlich, dass das ganze Volk von dieser Entwicklung betroffen war.
Zuerst schien die Unruhe in dem Volk frei von jeder Ursache zu sein. Die Ogmari konnten ihre Gedanken stets nur noch kurze Zeit auf ihre Tätigkeiten ausrichten. Ständig machten sie sich davon und andere kamen ihnen in den Sinn. Meister Horxir, einer der Hofschmiede in Erzbünden, erlebte zum ersten Mal, wie er eine wunderschön gearbeitete Axt auf dem Amboss ruinierte. Das war ihm noch nie passiert, und es erschütterte ihn zutiefst.
Auch konnten die Ogmari kaum noch schlafen und wurden immer fahriger und ungeduldiger. Mehr und mehr Arbeiten blieben liegen und wurden nicht vollendet. Es war nicht zu fassen, wie die Ogmari ihre alltäglichen Aufgaben zunehmend vernachlässigten.
Und schließlich, es war ungefähr drei Tage vor dem Großen Auszug, spürten alle Ogmari, die sich außerhalb ihres Reiches befanden, den inneren Zwang, nach Ogmatuum zurückzukehren.
Zu dieser Zeit befanden sich drei Ogmari bei Ilanhorn. Seit einigen Tagen bemerkte er, dass irgendetwas mit ihnen nicht stimmte. Er erkundigte sich auch offen und ehrlich bei ihnen, aber außer, dass sie genauso offen und ehrlich zugaben, dass sie ihre Ruhelosigkeit ebenso merkwürdig fanden, hatten sie keine Erklärung. Und schließlich kamen sie eines Abends zu ihm und teilten ihm mit, dass sie ihn verlassen und heimkehren würden.
Ilanhorn bedauerte ihren Entschluss, achtete ihn aber, denn er hatte sie nie als seine Leibeigenen betrachtet. Sie trennten sich in Freundschaft und mit der Zusage der Ogmari, dass sie zurückkommen würden. Aber vorher mussten sie herausfinden, was in ihrer Heimat geschah. Einen anderen Grund als die dortigen Verhältnisse konnten sie sich für ihre Unrast nicht vorstellen.
Ilanhorn ahnte jedoch, dass sie nicht zurückkehren würden. Und wahrscheinlich würden auch keine anderen Ogmari jemals wieder auf sein Gut kommen. Dass sich seltsame Dinge in Ogmatuum ereigneten, hatte er bereits aus anderen Quellen erfahren, deshalb wusste er vermutlich mehr als die drei Freunde, die jetzt für immer heimkehrten. Irgendetwas geschah mit dem Volk und Ilanhorn hielt es für mehr als wahrscheinlich, dass sich bald die Wahrsagungen erfüllen würden, von denen er schon einiges gehört hatte und die mit dem Ende des Volkes der Ogmari auf dieser Welt zusammenhingen.
Ilanhorn hatte mehr als einmal von dem Großen Auszug gehört. Trywfyn selbst hatte ihm von dem letzten Weg seines Volkes erzählt, und auch, wenn es bis dahin nur Legenden waren, so glaubte er fest an ihren wahren Kern. Er wusste damals nichts über den Zeitpunkt, doch jetzt deutete manches darauf hin, dass er nahte und wenn sich Ilanhorns Erwartungen erfüllten, würde es die Einleitung bedeutender Veränderungen für seine Heimatwelt Elveran bedeuten. Bei diesen Gedanken erfüllte ihn selbst eine erwartungsvolle Spannung, denn er konnte nicht ausschließen, dass sich auch für ihn, seine Familie und all seine Freunde manches änderte, ohne dass er dabei an ihrem Tod dachte.
Einen Tag vor dem Großen Auszug war der letzte Ogmari in sein Land zurückgekehrt. Immer klarer deutete sich die Ursache an, warum die Ogmari so rast- und ruhelos, in einem gewissen Sinne sogar sehnsüchtig und erwartungsvoll geworden waren. Sie strebten alle einen bestimmten Ort an, den vorerst nur der Edoral Glanlaird mit einem Namen benennen konnte, den er wiederum von Trywfyn erfahren hatte. Es waren Drans Hallen. Es schien, als rief dieser Ort die Ogmari zu sich und die Ersten von ihnen begannen, sich bereits dort zu versammeln.
Die Gewissheit kam für Glanlaird am Abend dieses Tages. Während er in seinem Regierungszimmer saß und über die Entwicklung in seinem Reich nachdachte, tauchte plötzlich ein seltsames Wesen auf. Glanlaird hatte es weder durch die Tür hereinkommen noch aus der Wand heraustreten sehen. Es war einfach da gewesen. Das Wesen nannte sich Gründel.
Ohne lange Umschweife teilte er Glanlaird mit, dass am folgenden Tag der Große Auszug stattfinden würde. Besondere Vorbereitungen könne der Edoral nicht treffen, aber bei Sonnenaufgang (an der Oberfläche seines Landes) sollte er sich bereithalten.