Kinder erzieht man nicht so nebenbei. Wilma Burk
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Mama machte sich so sehr Sorgen um Traudel, dass sie diesmal nicht so bald zurückkam. Und Papa drängte sie nicht, er fühlte sich wohl bei uns, wenn er abends zu uns kam. Doch sie fehlte ihm. Manchmal kam er mir richtig hilflos vor, wenn ich zu ihm ging und mitbekam, wie er verzweifelt nach Socken oder einem bestimmten Hemd suchte. Dann lachte er verlegen. „Das kommt davon, wenn man sich in vielen Jahren so gut ergänzt und aneinander gewöhnt hat“, meinte er.
Doch ich machte mir auch Sorgen um ihn. Wie oft erschien er mir jetzt müde, wenn er von der Arbeit zu uns kam. Es konnte passieren, dass er sich nach dem Essen in meinen Schaukelstuhl setzte und plötzlich, fast im Satz, den er sagen wollte, tief und fest einschlief. „Wird Zeit, dass er in Rente geht“, sagte Konrad. „In dem Alter, über sechzig, fällt einem bestimmt die Arbeit schwer.“
Bald begann er auch nach Mama zu fragen. Daraufhin kam sie zurück. Ihre Gedanken blieben aber bei Traudel und den Kindern. Sie beklagte sich bei ihm über die Art, wie Traudel mit den Kindern umging.
Er jedoch schüttelte nur müde den Kopf. „Was regst du dich auf? Sie sind alt genug, sie müssen wissen, was sie tun.“
„Du tust so, als wäre dir das egal“, empörte sich Mama. Sie schien nicht zu bemerken, wie müde und matt Papa geworden war.
Ich war froh, dass Mama wieder zurück war.
*
Nun wollte auch ich endlich meine kleine Nichte und meinen kleinen Neffen kennenlernen. So beschlossen wir, einen Kurzbesuch bei Traudel zu machen, ehe wir in diesem Sommer weiter in die Alpen zu unserem Urlaubsort fahren wollten.
An den Kontrollpunkten der DDR verlief wieder alles wie gewohnt, mit langen Wartezeiten und umständlichen Kontrollen. Dann rollten wir weiter ungehindert nach Hannover.
Drei Jahre hatte ich Traudel nicht mehr gesehen. Wie sie mir aus dem Haus entgegengelaufen kam, als wir auf den Hof fuhren, erkannte ich, das war nicht mehr meine kleine Schwester Traudel, das war eine selbstbewusste junge Frau von erst zweiundzwanzig Jahren. Die roten langen Haare hatte sie fest am Kopf und hinten zu einem Mozartzopf gebunden. Doch als sie mich umarmte, spürte ich wieder meine kleine Schwester in ihr. Ihre grünlich schimmernden Augen waren feucht, so freute sie sich über unser Kommen.
Ruhig und gelassen kam Karl-Heinz in seinem grauen Kittel aus der Werkstatt. „Das wurde aber Zeit, dass ihr endlich einmal herkommt!“, rief er uns entgegen.
Wir gingen hinauf, in die kleine Wohnung von Traudel und Karl-Heinz. Der Kaffeetisch war bereits gedeckt. Karl-Heinz verschwand in der Küche und ich hörte, wie er offenbar Schlagsahne zum Kuchen schlug, während wir ins Kinderzimmer gingen.
„Hast du eine tüchtige Küchenhilfe?“, fragte ich Traudel.
„Manchmal“, antwortete sie fröhlich.
Wir holten eine von der Mittagsruhe verschlafene kleine Susi aus dem Bettchen. Sie war noch nicht ganz wach, doch als sie mich sah, streckte sie mir die Ärmchen entgegen, als würden wir uns längst kennen. Ich war überrascht, nahm sie auf den Arm und drückte ihr blondes Lockenköpfchen an mich. Fragend sah ich zu Traudel.
Sie lachte und meinte: „Das ist die Verbindung des Blutes!“
Noch hatte ich keinen Blick auf Klaus in seiner Wiege geworfen, da machte er sich bemerkbar und begann zu schreien. „Jetzt geht die Sirene wieder los!“, sagte Traudel ungeduldig und nahm ihn hoch.
Konrad verzog sich lieber zu Karl-Heinz und hielt sich die Ohren zu.
„Wenn er uns wenigstens nachts schlafen ließe“, klagte Traudel und machte sich bereit, den Kleinen zu stillen.
Susi spielte inzwischen mit meinen Haaren, mit meiner Halskette, versuchte mir meine Schultertasche abzunehmen und kniff mir vergnügt in die Nase. „Aua!“
Traudel lachte. „Bei der musst du aufpassen, die untersucht bei jedem, was sie von ihm haben könnte. Onkel Oskar meint schon: Sie wird mal eine tüchtige Geschäftsfrau.“
„Und was bist du? Was ich so höre, bist du nicht weit entfernt davon.“
„Hat Mama das beklagt?“, vermutete Traudel sofort.
„Sie macht sich eben Sorgen, dass du zu viel tust.“
„Ach was! Ist alles eine Frage der Zeiteinteilung“, wehrte sie ab.
Und das sah ich dann in den wenigen Tagen, die wir dort waren. Obgleich Traudel sich so viel Zeit wie möglich für uns nahm, bemerkte ich doch, dass sie eigentlich nicht wusste, was sie zuerst machen sollte. So lastete die Arbeit auf ihr. Da steckte der Onkel Oskar seinen Kopf aus der Bürotür und rief sie über den Hof zu sich, da hatte Karl-Heinz eine Frage, da erschien die Bürokraft Frau Jäger und wollte wissen, was sie dem Kunden schreiben sollte.
„Ohne dich geht hier wohl nichts mehr?“, fragte ich.
Sie lächelte geschmeichelt. „Hier hat eben jeder seine Bereiche. Wenn einer ausfällt, merkt man das und es fehlt etwas.“
„Aber du hast noch die Kinder und den Haushalt?“ Ich war nun doch etwas fassungslos.
„Karl-Heinz hilft mir dabei“, versicherte sie mir, sah jedoch unsicher zur Seite.
Ich dachte mir meinen Teil. Ich hörte zwar von ihm, dass er sich bemühte, ihr zu helfen, ich erkannte aber auch, wie toll er sich schon fühlte, wenn er dem Kleinen das Fläschchen gab, das Geschirr abtrocknete oder den Staubsauger in die Hand nahm. Doch mir kam der Verdacht, dass er dabei dachte: ‚Nur nicht alles zu gründlich machen, die Frau könnte sich sonst daran gewöhnen’. Wenn er dann am Sonntag noch den Kinderwagen schob - was zu dieser Zeit für einen Mann noch keineswegs selbstverständlich war, weil der dann gern als Pantoffelheld angesehen wurde -, so mag er sich dabei wirklich als moderner Mann, einer emanzipierten Frau würdig gefühlt haben. Am liebsten aber entschuldigte er sich, dass er noch etwas in der Werkstatt zu erledigen hätte und Traudel konnte zusehen, wie sie alles schaffte. Traudel wirkte stets gehetzt, alles was sie tat, machte sie in Eile, selbst wenn sie einmal fünf Minuten still saß, hatte man den Eindruck, dass ihre Gedanken in ihrem Kopf umhereilten.
Onkel Oskar lachte zu alledem. Was Mama gar nicht gefiel. Er fand es „toll!“, wie Traudel sich einarbeitete und mit welcher Begeisterung sie neue Verpflichtungen übernahm. „Ist eine energische, tüchtige Person, die Traudel! Seit sie hier ist, gehen unsere Geschäfte viel besser“, lobte er.
Mama war nicht erfreut darüber. „Sie sollte lieber mehr Zeit für ihre Kinder haben, statt dem Onkel zu helfen, sein Geld zu verdienen“, meuterte sie mir gegenüber, als wir, von der Reise zurück, darüber sprachen.
„Aber Mama, das macht sie auch für sich. Bald gehört ihnen die Werkstatt, wenn sich der Onkel zur Ruhe setzt, dann muss sie Bescheid