Kinder erzieht man nicht so nebenbei. Wilma Burk
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Als dann noch die Nachricht von Traudel kam, dass sie eine Tagesmutter für die Kinder suche, war Mama nicht mehr zu halten. „Ist sie denn noch gescheit, einer fremden Frau ihre Kinder zu überlassen!“ Nun zögerte sie keine Sekunde mehr. Sie packte ihre Koffer und fuhr ab nach Hannover zu Traudel und den Kindern.
„Sie soll sich aber nicht einbilden, dass ich ihr ihre Kinder großziehe. Ich bleibe nur, bis sie diese verrückten Kurse hinter sich hat. Dann muss sie sich ihre Zeit besser einteilen, damit sie auch Zeit für die Kleinen findet. Kinder erzieht man nicht so nebenbei!“ So schimpfte sie noch, bevor sie in den Interzonenzug stieg.
Wochen vergingen. Der Herbst zog ins Land, Weihnachten näherte sich. Jetzt erst begann Mama davon zu sprechen, dass sie nach Hause kommen wollte. Sie wollte zu Papas Grab. Traudel aber und besonders Karl-Heinz redeten ihr zu, wenigstens über Weihnachten bei ihnen zu bleiben.
„Wo kann man besser zu Weihnachten aufgehoben sein, als dort, wo Kinder sind. Es sind doch Ihre Enkelkinder“, schaltete sich auch Onkel Oskar ein.
Das sah Mama ein. Danach aber wollte sie bestimmt zurückkommen.
6. Kapitel - 1960
Doch Mama blieb nicht nur über Weihnachten, sie blieb auch über Sylvester. Das neue Jahr begann. Jetzt dauerte es nicht mehr lange, bis feststand, Mama wird für immer in Hannover bei Traudel und den Kindern bleiben. „Das kann man nicht mit ansehen, wie die armen Würmchen herumgeschoben werden“, sagte sie.
Der Onkel von Karl-Heinz hatte sich bereit erklärt, für sie im Dachgeschoss seines Wohnhauses, das an dem Hof zur Werkstatt mit dem großen Garten dahinter stand, eine kleine Mansardenwohnung auszubauen.
„Traudel ist für den Betrieb unbezahlbar. Was tut man da nicht alles für eine tüchtige Kraft“, sagte er dazu.
Und der Kfz-Betrieb schien immer besser zu gehen, was man so hörte.
Auch bei uns begann man zu staunen, wer sich alles in der Nachbarschaft ein Auto leisten konnte. Was Wunder! Hochkonjunktur herrschte in der Wirtschaft, Vollbeschäftigung war erreicht, Gastarbeiter aus der Türkei wurden nach Deutschland geholt. Wer nichts mehr erlernen wollte, fand irgendwo in der Industrie eine Beschäftigung. Die Löhne stiegen. Die Arbeitslosigkeit erreichte ihren tiefsten Stand seit Kriegsende. Die Bautätigkeit boomte, Häuser, ganze Häuserblöcke wuchsen schneller aus dem Boden, als man es mitbekommen konnte. Und doch war die Nachfrage nach Wohnraum noch immer größer als das Angebot. Zwar gab es inzwischen den freien Wohnungsmarkt, dort wurden aber Wohnungen zu so hohen Mieten angeboten, dass sie sich niemand so leicht leisten konnte. Gefragt waren in der Hauptsache preiswerte, an das Mietengesetz gebundene oder im sozialen Wohnungsbau erstellte Wohnungen.
Zwar stiegen die Einkommen allmählich Jahr für Jahr, doch auch die Kosten für den Lebensunterhalt und die gesetzlich festgesetzten Mieten. Man sprach von einer schleichenden Inflation.
*
Mama kam nur noch einmal nach Berlin, um ihre Wohnung aufzulösen. Als sie ihre Kündigung dafür abgab, sagte sie: „Nun schau dir an, was wir für die Wohnung gezahlt haben, als wir hier vor dem Krieg eingezogen sind, ganze vierundfünfzig Reichsmark. Und jetzt? Wie lange könnte ich wohl die Wohnung für mich allein noch halten, wenn die Miete weiterhin so steigt?“
„Die Reichsmark hatte damals aber auch einen anderen Wert, als heute die D-Mark“, gab ich ihr zu bedenken.
„Du vergisst, dass meine Witwenrente aus der Angestelltenversicherung nicht allzu hoch ist“, antwortete sie.
Ich half Mama beim Zusammenpacken ihrer Sachen, so viel wie es meine Zeit zuließ. Klein und energisch, so, wie ich sie immer gekannt habe, ordnete sie alles, bestimmte, wovon sie sich trennte und was sie mitnahm. Nur manchmal sah ich sie versonnen dasitzen mit irgendetwas aus der Vergangenheit in ihren Händen. Dann war auch ein schmerzlicher Ausdruck in ihrem Gesicht. Doch bald räumte und packte sie weiter.
Schließlich stand der Möbelwagen vor der Tür. Zurück blieben nur die Sachen, die sie wirklich nicht mitnehmen konnte. Ein Trödelladen, so, wie es diese jetzt an manchen Straßenecken gab, sollte den Rest aus der Wohnung abholen.
Traudel, die inzwischen einen Führerschein gemacht hatte, wollte sich einen Tag frei nehmen und mit einem Auto nach Berlin kommen, um Mama abzuholen.
„Du kannst die Kinder nicht allein lassen“, protestierte Mama sofort. „Ich bin doch immer mit dem Zug zu euch gekommen. Und wenn dir das nicht schnell genug ist, dann spendiere ich mir eben ein teures Flugticket. Der neue Flughafen Tegel ist gerade eröffnet worden, dann komme ich eben von da aus nach Hannover geflogen.“
Traudel lachte. „Du und fliegen!“, sagte sie nur, gab ihre Kinder zu einer Freundin und kam mit dem Auto nach Berlin, um Mama abzuholen.
„Na“, sagte sie, als sie das Gepäck sah, was Mama noch zurückbehalten hatte, „damit wolltest du fliegen? Mir scheint, ich wäre besser mit einem kleinen Lastwagen hergekommen.“
Dann war der Moment des Abschieds da. Mama sah mit Tränen in den Augen noch einmal hoch zu dem Haus, zu den Fenstern, hinter denen sich fast ihr ganzes Leben mit Papa abgespielt hatte. Danach richtete sie sich energisch auf. Ein neues Leben begann für sie, doch viele Gedanken ließ sie hier zurück.
Ehe sie endgültig abfuhr, versäumte sie nicht, mir noch Anweisungen zu geben, wie ich Papas Grab zu pflegen hätte, und dass ich dies ja nicht vergessen dürfe.
*
Für die Besucher aus dem Osten wurde West-Berlin zum „Schaufenster des Westens“, wie man es nannte. Sie kamen in Scharen, besonders zur Grünen Woche und zur Industrieausstellung. Aber auch die DDR strengte sich an, auch Ost-Berlin begann stellenweise sein Gesicht zu verändern. Da entstanden Hochhäuser in neuer Bauweise mit vorgefertigten Platten, besonders zum im Krieg zerstörten Alexanderplatz hin. Die DDR strebte danach, international neben West-Berlin beachtet zu werden.
Helmut, der durch seine Baufirma manchmal quasi über die Grenze schauen konnte, sagte: „Ihr glaubt nicht, wie das da drüben ist. Für Ost-Berlin ziehen sie aus dem Land alle möglichen Kräfte und Materialien zum Bau zusammen, nur um neben uns renommieren zu können. Dafür klagen die Leute auf dem Land, dass oft das Nötigste fehlt, um eine Straße oder ein Dach zu flicken.“
Hier vom Westen der Stadt berichtete er von einem Kummer ganz anderer Art, der ihm am Bau zu schaffen machte: „Die Arbeiter sind jetzt zu überheblich. Wenn die mehr Geld fordern, so gleich eine geschlossene Kolonne. Gehst du darauf nicht ein, so kündigen sie alle. Andere Betriebe nehmen sie mit Kusshand zu dem höheren Lohn. Hier und da wird schon über Abwerbung geredet.“
„Das kann doch auch nicht gesund sein“, überlegte Konrad.
„Was willst du machen? Die wissen, wie begehrt sie sind. Nur steigen auf diese Weise die Baupreise ins Uferlose.“
Das war eine Folge davon, dass statt Arbeitslosigkeit, nun ein Mangel an Arbeitskräften herrschte.
Helmut war der Einzige, der jetzt mal sonntags zu uns kam, seit Mama in Hannover war. Klein war die Runde unter unserem Kirschbaum in unserem Garten geworden.
Manchmal fehlte mir richtig etwas, jetzt, da ich von unserer Familie plötzlich allein in Berlin war. Wo war die Zeit hin, als es uns beinahe