Kinder erzieht man nicht so nebenbei. Wilma Burk
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Mich beschlich fast Eifersucht. Wie sagte sie doch damals mahnend, wenn Konrad mich zu sehr umsorgte, bevor ich das Kind verlor: „Eine Schwangerschaft ist keine Krankheit!“
Doch nicht nur für die jetzt häufigen Anrufe und Gespräche mit Traudel war unser neues Telefon gut. Auch Bruno rief sofort zu Weihnachten an, als Mama und Papa bei uns waren. Sie hatte ihm unsere Telefonnummer brieflich mitgeteilt. Ich dachte zuerst, wir seien falsch verbunden, englische Sprache, die ich nicht verstand, dann Stille und endlich wie aus weiter Ferne Brunos Stimme. Ich holte Mama sofort ans Telefon. „Geht’s dir gut, mein Junge?“, fragte sie wieder und wieder, als hätte er es ihr nicht längst geschrieben. Dann lauschte sie und Tränen liefen über ihre Wangen. Papa musste ihr fast gewaltsam den Hörer aus der Hand nehmen, um auch ein Wort von Bruno zu hören. Seine Stimme zitterte verdächtig, als er fragte, ob es jetzt Sommer bei ihm in Australien sei. Dann lachte er und fuhr sich verstohlen über die Augen.
Als er danach den Hörer vorsichtig auflegte, sah Mama ihn gespannt an und sagte glücklich: „Das war Brunos Stimme!“ Sie sagte es so, als müsse sie es ihm erklären. „Heinrich, über das Telefon kann man wirklich mit ihm sprechen“, setzte sie noch hinzu.
Papa wusste, was das bedeutete. Und schon in den nächsten Tagen beantragten auch sie ein Telefon.
Mama und ihre Küken da draußen, außerhalb der Insel von West-Berlin!
2. Kapitel - 1956
Wie früher fuhr uns Helmut mit seinem Auto durch die Stadt, dabei in Gegenden, in die wir ohne Auto nie gekommen wären. So staunten wir jetzt, wie viel sich mit der Zeit verändert hatte. Überall wurde gebaut, so manche Ruine war verschwunden und hatte einem Neubau Platz gemacht. Leben war in den Straßen, die Geschäfte voller Waren. Unter den Menschen, die hier ihre Einkäufe tätigten, befanden sich viele aus Ost-Berlin oder der DDR. Zu einem hohen Kurs tauschten sie ihre Ost-Mark in D-Mark ein und besorgten sich dafür, was sie drüben nicht erhalten konnten. Wenn sie Glück hatten, so kamen sie damit auch gut nach Hause, ohne am Übergang von West-Berlin nach Ost-Berlin durch DDR-Beamte kontrolliert zu werden.
Wir fuhren auch an dem Flüchtlingslager Marienfelde vorbei. Hier ging es zu wie in einem Bienenhaus. Das Lager konnte die Flüchtlinge kaum noch fassen, die Tag für Tag aus Ost-Berlin und der DDR nach West-Berlin kamen. Allein 250 000 Menschen waren im letzten Jahr über die Grenze in den Westen gekommen. Und hier in Berlin konnte das noch ziemlich leicht mit der S-Bahn vom Ostteil der Stadt in den Westteil gelingen.
Für den Osten verlor der Westen nicht an Anziehungskraft. Die Verstaatlichung der Wirtschaft in der DDR ging weiter voran und der Flüchtlingsstrom aus Land und Stadt in den Westen riss nicht ab.
Doch bald interessierte sich Konrad für andere Dinge als Neubauten oder die sichtbaren Veränderungen der aufwärts strebenden Stadt, wenn Helmut mit uns durch die Straßen fuhr. Mit dem spürbar zunehmenden Verkehr war auch bei ihm der Wunsch nach einem Auto größer geworden. Plötzlich wollte er von Helmut wissen: „Wie viel PS hat dein Auto? Was verbraucht es Benzin? Welche Automarke hältst du für die Günstigste?“ Bald gab es nur noch ein Ziel. Wo wir mit Helmut auch entlangfuhren, stets hielten wir an jedem Platz, auf dem Gebrauchtwagen angeboten wurden.
Und davon gab es bald immer mehr im Stadtbild. Sobald ein Ruinengrundstück abgeräumt war, wurde dort eine kleine Bude aufgestellt und darum herum standen die ehemaligen blechernen Lieblinge von irgendwelchen vorherigen Besitzern, die sich nun wahrscheinlich ein größeres, besseres Auto leisten konnten. Der Gebrauchtwagenhandel begann zu florieren. Wir streunten durch die Reihen begehrter Gefährte, die täglich blank geputzt wurden, um Rost und kleine Beulen zu verbergen. Es machte auch mir Spaß und ich freute mich darüber, dass Konrad sich mit dem Gedanken trug, ein Auto zu kaufen. Helmut gab sich dabei ganz als der fachmännische Berater. Es war zum Lachen, wie sie eifrig debattierend durch die Reihen der Autos gingen und versuchten, dem Verkäufer, der sich beflissen sofort näherte, kluge Fragen zu stellen.
Jetzt waren die Männer wie Kinder, jeder wollte möglichst bald ein Auto haben. So mancher belastete die Haushaltskasse mit den Raten für die Kredite dazu über die Maßen. Da konnte es sein, dass so manche Frau genau genommen für ein Auto mitarbeitete.
Irgendwann in dieser Zeit begann es, dass auch viele Frauen eine Arbeit außer Haus, die bezahlt wurde, als wichtigen Teil ihres Lebens ansahen. Sie wollten ihre Berufe nicht umsonst erlernt haben. Eine „Nurhausfrau“, die nichts verdiente, was war das schon?! So hörte man es bald. Im Gegensatz dazu wurden berufstätige Frauen mit Kindern bald Rabenmütter genannt. In zwei fast unüberwindliche Lager zerfielen die Frauen mit ihren Lebenszielen.
Noch zögerte Konrad, wegen der Geldausgabe. „Ist ja doch eine ganz schöne Belastung“, überlegte er und schaute sehnsüchtig den vorbeifahrenden Autos nach.
Schließlich jedoch war der Wunsch bei ihm so groß, dass ich ihn zur Aufnahme eines Kredites überreden konnte. Für mich war es eine neue Erfahrung, dass er tatsächlich einmal auf mich hörte.
Wir gingen zu unserer Bank, bei der wir unser kleines Sparkonto hatten und stellten einen Kreditantrag. Wir waren richtig stolz, mit unserm Doppeleinkommen kreditwürdig zu sein.
„Die paar Zinsen Mehrkosten, auf die lange Zeit verteilt, das schaffen wir leicht, Konrad.“ Ich sah das zuversichtlich.
Auch vor unserem Haus würde nun bald ein eigenes Auto stehen.
Konrad musste zur Bestätigung seines Führerscheins, den er vom Krieg her hatte, noch einmal eine Prüfung abgelegen, dann konnten wir unser Auto, einen VW-Käfer, vom Händler abholen. Es war nicht das neueste Modell, aber preiswert, wie Helmut meinte. Was sollte es, wenn wir erst nach dem Kauf die kleine Beule am hinteren Kotflügel entdeckten, wenn die Motorklappe am Heck manchmal klemmte, wenn man bei höherer Geschwindigkeit – 100 km/h Höchstgeschwindigkeit, bergauf 80 km/h mit Rückenwind, bei 25 PS - innen erst gegen den Pfosten schlagen musste, damit der Winker heraussprang, den das Auto noch hatte. Es war unser erstes Auto. Und wir waren unsagbar glücklich damit.
Noch vor fast einem Jahr zu Traudels Hochzeit habe ich das nicht geglaubt, als uns Onkel Oskar prophezeite: „Sie werden auch bald ein Auto haben. Bald geht keiner mehr zu Fuß.“ Nun stand es also vor unserer Tür. Ich lief immer wieder ans Fenster, ich musste es sehen, ich war sicher ebenso stolz darauf wie Konrad.
Von nun an gehörte auch Konrad zu denen, die häufig am Kanal in der Nähe mit ihren Autos zu finden waren, Wasser aus dem Kanal schöpften und mit Ausdauer und Liebe ihre Kostbarkeiten auf vier Rädern schrubbten und putzten, bis sie nur so blitzten. Da wurde aber auch der geringste Kratzer nicht übersehen und möglichst gleich beseitigt. Das war schon seltsam, Männer, die es unter ihrer Würde fanden, zu Hause auch nur einen Waschlappen in die Hand zu nehmen, zogen mit Eimer, Bürste und Lappen los zum Putzen des Objekts ihrer Eitelkeit, außen und innen, aber gründlich! Noch hatte ja nicht jeder ein Auto oder sogar zwei oder drei wie heute. Da gab es noch jede Menge Parkplätze, keinen Kampf darum und keine Markstücke fressenden Parkuhren. Ein Auto zu besitzen, das war eben noch etwas!
Glücklich fuhren wir damit durch die Gegend. Ich kam in Ecken von Berlin, die ich nie gesehen hatte. Berlin wurde klein für uns, von Grenze zu Grenze. Noch hätten wir auch nach einer Kontrolle durch DDR-Volkspolizisten nach Ost-Berlin fahren können, aber dort zog uns nichts hin.
Auch mit dem Auto verreisen konnten wir jetzt. Wir packten in den ersten warmen Maitagen des Jahres unseren