Kinder erzieht man nicht so nebenbei. Wilma Burk
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Alle verabschiedeten sich gegen Morgen in guter Laune, wenn auch müde. „Wann sehen wir uns wieder?“, wurde gefragt.
„Bei der nächsten Hochzeit“, sagte jemand.
Doch einen hörte ich murmeln: „Vielleicht auch bei der nächsten Beerdigung.“
Ärgerlich wollte ich etwas erwidern. Doch Konrad zog mich zur Seite. „So ist das nun einmal mit Familienfeiern“, sagte er.
Und es stimmte ja. Entfernte Verwandte, wann sah man sie? Zu Hochzeiten oder zu Beerdigungen.
Karl Heinz verabschiedete sich hier schon von seinen Eltern, während das junge Paar mit zu Mama und Papa gingen.
Obgleich Karl-Heinz nach der Feier nicht mehr so ganz sicher auf den Beinen war, ließ er es sich nicht nehmen, sein neues, kleines Auto die paar Meter in der Straße bis vor das Haus von Mama und Papa zu fahren. Traudel hatte sich fröhlich beschwipst dazu neben ihn geklemmt. Myrtenkrönchen und Schleier waren längst verschwunden, doch den weiten Rock in dem engen Auto unterzubringen, hatte sie Mühe. Ich stopfte ihr noch die letzen Zipfel von Rock und Petticoat mit hinein. Die Hochzeitsgesellschaft umstand johlend das Auto. Da waren wohl alle Leute in der Umgebung wach geworden. Alle winkten zum Abschied, als gingen Traudel und Karl-Heinz auf Hochzeitsreise. Alle lachten und winkten immer noch, als sie nur ein paar Meter weiter wieder hielten, ausstiegen und mit Mama und Papa im Haus verschwanden.
Die Hochzeitsgäste zerstreuten sich. Die einen gingen zur U-Bahn, die andern zur S-Bahn und einige zur Straßenbahn wie wir.
Als die Bahn mit uns so gemütlich, manchmal quietschend, nach Hause zuckelte, dachte ich an Traudel und Karl-Heinz. Doch ich erinnerte mich auch an unsere enttäuschende Hochzeitsnacht von damals, bei der Konrad vor Trunkenheit einfach eingeschlafen war. Im Nachhinein musste ich darüber lachen.
„Na, ob Traudel und Karl-Heinz eine bessere Hochzeitsnacht haben werden als wir?“, neckte ich Konrad.
Er grinste. „Bei denen ist es bestimmt nicht das erste Mal wie bei uns. Und außerdem konnte er tatsächlich noch ein Auto bewegen, dann ist er wohl nicht so betrunken, wie ich es damals war.“
„Mein Gott, ist das schon lange her!“, stellte ich fest, gähnte und sah müde aus dem Fenster der Straßenbahn auf die noch stillen Straßen und verschlafenen Häuser dieses Morgens.
*
Am nächsten Tag verabschiedete sich Traudel ohne Wehmut von Mama und Papa und von ihrem bisherigen Leben. Sie stieg zu Karl-Heinz in ihr vollgepacktes Auto. Da war alles drin, was ihnen mitnehmenswert erschien, Erinnerungsstücke neben praktischen Dingen und Geschenken. Sie hatten nicht mehr in der Hauptsache Glaswaren und mehrere Likörservice zur Hochzeit bekommen, wie wir damals. Bei ihnen hatte sich jeder vorher informiert und gezielt gekauft, was sie brauchen konnten. Eingeklemmt zwischen Beuteln, Kisten, Taschen und Koffern saß Traudel neben Karl-Heinz und strahlte glücklich.
„Da werden bei euch die Vopos an der Grenze zur DDR ganz schön was zu kontrollieren haben“, vermutete Konrad.
„Ich fürchte auch, dass wir den Wagen auspacken müssen“, befürchtete Karl-Heinz. „Dabei haben wir bereits vieles zu Paketen verpackt, die Mama uns mit der Post zuschicken will.“
„Ach was“, meinte Traudel optimistisch, „dann dauert die Kontrolle an der Grenze eben länger als sonst. Wir werden es überstehen. Haben ja nichts Verbotenes dabei.“ Und sie fuhr zuversichtlich ab, nach Hannover in ein neues Leben. Ich wusste, sie war froh, Berlin verlassen zu können, da sie meinte, es werde nie aufhören, Spannungen um diese Stadt zwischen Ost und West zu geben.
*
Mama und Papa blieben nun allein zurück. Es war ruhig bei ihnen geworden, alle Kinder aus dem Haus. Abends, nach meiner Arbeitszeit in einem Verlag, fuhr ich jetzt manchmal für kurze Zeit zu ihnen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie weiterleben sollten, nur sie beide, kein Lachen, kein Rufen mehr von einem ihrer Kinder, für die sie doch immer da gewesen waren.
Mama freute sich, wenn ich, das einzige Kind, das noch in Berlin lebte, zu ihnen kam. Kaum hatten wir die ersten Worte gewechselt, lief sie schon und holte von Traudel oder Bruno einen Brief, den sie mir vorlas. Und Traudel schrieb zuerst fleißig. Sie berichtete von ihrer kleinen Wohnung, die Onkel Oskar ihnen in seinem Haus eingerichtet hatte. Es war außerhalb Hannovers, da, wo die Stadt begann, wo eine schon lebhaft befahrene Landstraße aus der Stadt hinausführte und sich weiter im Land verlor. Das Haus stand in einem großen verwilderten Garten. Daneben gab es einen geräumigen Hof, auf dem stets irgendwelche Autos standen, nicht nur zur Reparatur, sondern auch einige zum Verkauf. Dahinter befand sich die Werkstatt und dann dehnten sich nur noch weite Wiesen neben der Landstraße bis hin zu einem kleinen Fluss und weiter bis zu einem Waldesrand.
Den Garten würde Traudel am liebsten gleich in Ordnung bringen, berichtete sie. Sie schwärmte aber auch davon, dass man sie in dem Büro der Werkstatt zu beschäftigen wusste. Dabei betonte sie, wie sehr sie sich Mühe gab, alles zu verstehen, was dort geschah.
„Warum hat ein Tag nur so wenige Stunden?“, schrieb sie. „Ich würde am liebsten alles auf einmal tun. Und da ist ja auch noch der Haushalt. Jetzt weiß ich erst, wie viel Arbeit du immer hattest, liebe Mama. Noch ist mein Haushalt klein und doch ist es nicht so einfach, alles Nötige zu tun, weil ich so gern im Betrieb mitarbeite. Onkel Oskar begrüßt das sehr. Er lobt mich, ich hätte gute Ideen. Seine alte Bürohilfe, die Frau Jäger, meint auch, auf mich höre er bestimmt, ich sollte versuchen, ihm abzugewöhnen, alles auf irgendwelche Zettel zu notieren, die sie dann zusammensuchen muss. Sie sagt, an mir hätte er einen Narren gefressen. Ich mag Onkel Oskar besonders gern. Karl-Heinz ist sehr fleißig. Sooft ich will, kann ich ihn durch das Fenster vom Büro aus zur Werkstatt hin sehen, wie er in seinem grauen Kittel an den Autos arbeitet, manchmal unter ihnen liegt, manchmal halb in ihnen steckt.“
Mamas Augen glänzten, ihre Jüngste war glücklich. Dann lachte sie leise. „Kommt uns doch bald einmal besuchen, so schreibt sie noch. So ganz ohne Sehnsucht geht es eben doch nicht, wenn man aus der Heimat weggeht.“
Auf Briefe von Bruno musste sie länger warten. Und sie wartete sehnsüchtig darauf. Australien war weit. Sie berichtete mir von ihm, dass er als Elektromeister in einer kleinen Firma arbeitete, und dass sich für ihn zu dem Besitzer, einem Handwerker, eine freundschaftliche Verbindung entwickelt habe.
„So hat der Junge wenigstens Familienanschluss“, stellte Mama erleichtert fest. „Bruno ist offensichtlich sehr fleißig“, betonte sie noch.
Sie musste es mir nicht sagen, ich spürte, wie sehr sie ein Wort von Heimweh oder Sehnsucht in seinen Briefen vermisste. Irgendwann bemerkte ich, dass in dem Kleiderschrank in meinem alten Jungmädchenzimmer die Sachen von Bruno hingen, die er hiergelassen hatte, als er vor drei Jahren nach Australien ausgewandert war. Das Zimmer war immer ordentlich aufgeräumt, als könne jeden Moment einer einziehen. Ich glaube, Mama hoffte insgeheim, er könnte eines Tages zurückkommen.
Wenn Papa abends von der Arbeit nach Hause kam, ihn keine Probleme um die Kinder empfingen, wenn er wirklich ungestört seine Zeitung genießen konnte, während Mama in der Küche