Kinder erzieht man nicht so nebenbei. Wilma Burk
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„Die Forderungen von denen da drüben sind geradezu unverschämt.“ Konrad war empört.
„Aber was kann man dagegen tun?“ Mich ängstigte wieder dieser erneute Versuch, West-Berlin vom Westen zu trennen.
„Wenn uns die Westmächte nicht aufgeben, können die im Osten machen, was sie wollen, sie werden nichts erreichen. Nur das ist wichtig. Und ich glaube fest daran, dass sie zu uns halten.“ Konrad war davon überzeugt.
Doch je weniger der Westen sich aus der Ruhe bringen ließ, desto mehr nahmen die Schikanen zu. Gefährliche Störmanöver mit Stanniolstreifen, von sowjetischen Flugzeugen im Luftkorridor abgeworfen, sollten den Luftverkehr auf den Transitstrecken über der DDR erschweren. Die Verständigung über Funk und auch Radar waren dadurch gestört. Das bedeutete zugleich eine Gefährdung des Luftverkehrs zwischen West-Berlin und der freien Welt.
Glaubten die Machthaber im Osten, West-Berlin damit in der Falle zu haben? Wollten sie versuchen, diese einzige freie Verbindung nach dem Westen unter ihre Kontrolle zu bringen? So, wie sie es mit den Transitwegen zu Bahn, Wasser und Straße geschafft hatten? Auch die Maifeier in West-Berlin auf dem Platz der Republik am Brandenburger Tor wurde von der nahen Grenze her mit lauter Propaganda und Musik aus Großlautsprechern gestört. Sie ließen nichts aus, wenn es darum ging, West-Berlin ihre vermeintliche Macht spüren zu lassen.
Mama rief oft besorgt an. Plötzlich schien sie mehr Angst davor zu haben als wir, dass der Westen dem Druck aus dem Osten eines Tages nachgeben könnte. Doch das geschah nur so lange, bis sie mir wieder eine Neuigkeit berichten konnte. „Stell dir vor, Bruno ist Vater geworden“, teilte sie mir aufgeregt mit. Damit war für sie vorerst jede noch so aktuelle Nachricht zweitrangig.
„Nein“, staunte ich, „davon habe ich ja vorher gar nichts erfahren.“
„Ich auch nicht“, sagte sie. „Bruno scheint es zu lieben, mich vor vollendete Tatsachen zu stellen.“ Und dies klang fast gekränkt.
„Was ist es denn?“
„Ein Mädchen, eine kleine Belinda. Das ist mein drittes Enkelkind. Schade, dass ich es nicht sehen kann“, bemerkte sie traurig.
„Hast du nicht Lust zu Bruno nach Australien zu fliegen? Wenn Traudel und ich uns das Geld für das Flugticket teilen, vielleicht könnten wir dir damit den Flug ermöglichen“, schlug ich ihr vor. Ich wusste, wie brennend gern sie ihre neue kleine Enkelin einmal in den Arm genommen hätte.
Doch sie wehrte sofort ab: „Wo denkst du hin? Wer soll dann für Susanne und Klaus sorgen?“
„Aber, Mama, vorübergehend wird sich sicher mal Traudel um ihre Kinder kümmern können.“
„Hast du eine Ahnung! Da würde etwas Schönes bei herauskommen. Nein, nein, das wäre keine gute Idee. Die Kinder brauchen mich hier, und damit basta!“
Trotz aller Sehnsucht, die Kinder waren ihr wichtiger, als eine Reise zu Bruno.
*
Auch bei Margot und Helmut gab es eine freudige Neuigkeit für uns, auch sie erwarteten im nächsten Jahr ein Kind. Wie Konrad damals, als ich schwanger war, gab sich Helmut ebenso besorgt um Margot. Noch war nichts zu sehen, nur zu ahnen, da riet er ihr, Umstandskleider zu tragen, damit es das Kleine bequem hätte.
„Das meinst du nicht im Ernst!“, lachte Margot so laut auf, dass die Nachbarn aus dem Nebengarten neugierig zu uns herübersahen.
„Nun übertreibst du aber!“, wies auch ich ihn zurecht.
Das hielt ihn aber nicht davon ab, weiter besorgt um Margot herum zu sein.
Schließlich zog sogar Konrad ihn damit auf.
„Mit fast vierzig Jahren bin ich eben schon ein alter werdender Vater“, verteidigte er sich. „Und außerdem, fass dich mal an deine eigene Nase, Konrad, wie hast du dich gehabt, als Katrina schwanger war? Du hast wohl vergessen, dass deine Schwiegermutter sagen musste: Eine Schwangerschaft sei keine Krankheit!“, erinnerte er launig herausfordernd. Aber dann hielt er erschrocken inne und sah zu mir herüber.
Auch Konrad blickte besorgt zu mir.
„Ist schon gut!“; versicherte ich und winkte ab. Dennoch fragte ich mich, ob es jemals aufhören würde wehzutun, wenn ich an mein verlorenes Kind dachte. Lass dich von dem überängstlichen Helmut nicht unterkriegen!“, riet ich Margot. und lachte ihr zu.
*
Das Leben in der Stadt nahm seinen geschäftigen Gang. Die trennende Mauer wuchs. Die Männer, die daran arbeiteten, wurden von bewaffneten Grenzsoldaten der DDR schwer bewacht, damit sie keine Gelegenheit finden konnten, über die Grenze in den Westen zu springen. Der Todesstreifen hinter der Mauer zum Osten hin wurde wie eine Schneise durch die Stadt gezogen und immer breiter.
Doch die meisten Menschen hinter dieser Mauer und diesem Todesstreifen wurden nicht zufriedener mit ihrem ungeliebten Arbeiter- und Bauern-Staat. Bei vielen war der Wunsch zu fliehen mit der immer perfekter werdenden Abgrenzung zum Westen hin nicht zu unterdrücken. Da wurden die abenteuerlichsten Pläne geschmiedet, wie die Grenze überwunden werden konnte.
„Hast du gelesen?“, fragte mich frohlockend Konrad eines Morgens. „Passagiere eines Ausflugsdampfers haben den Kapitän aus Ost-Berlin betrunken gemacht und das Schiff dann auf das Westufer der Spree zu gesteuert.“ Diejenigen, die in den Westen wollten, sind dort hinuntergesprungen und sicher auch so manch einer, der die Gelegenheit ergriff und vorher gar nicht daran gedacht hatte zu fliehen.
Man freute sich über jeden, dem so eine abenteuerliche Flucht gelang. Doch leider erfüllten sich auch viele tragische Schicksale an dieser Mauer, wenn einem die Flucht nicht gelang, er gefasst oder sogar erschossen wurde. Wie viele versuchten die Spree bei Nacht zu durchschwimmen und kamen nie am Westufer an, weil auch sie zuletzt noch gefasst wurden oder ertranken. Tunnel wurden gebaut, durch die etliche unter der Mauer durchkrochen. Die Grenzsoldaten der DDR schossen auf wegstrebende Menschen wie auf Hasen. Und alle wollten nur von Ost nach West, niemand kam auf die Idee, die Mauer illegal von West nach Ost zu überwinden.
Wir hatten uns gerade unseren ersten Fernseher angeschafft. Wie gebannt und erschüttert saßen wir davor und glaubten, dass nicht wahr sein konnte, was wir sahen. Dies alles gezeigt zu bekommen, war doch etwas anderes, als es in der Zeitung zu lesen.
In Hannover hatte man sich schneller an die neuen Gegebenheiten in Berlin, die Mauer, gewöhnt als wir. Man war eben weit weg, hatte andere Interessen. Da war es wichtig, dass die Räumlichkeiten der Werkstatt langsam zu eng wurden. Traudel hatte eine glückliche Hand für den Betrieb.
„Sie zieht neue Kunden förmlich an“, betonte Onkel Oskar vergnügt und rieb sich die Hände. „Ihr müsstet mal erleben, wie sie mit einem Kunden verhandelt. Da holt sie glatt den höchsten Preis heraus, und der Kunde meint noch, er bekomme etwas geschenkt.“
Traudel protestierte sofort. „Übers Ohr gehauen habe ich noch niemanden.“
„Das habe ich auch nicht gesagt“, betonte Onkel Oskar. Aber schmunzelnd fragte er sie: „Doch wo hat nur deine Tochter Susanne das her? Wenn sie mit ihrem kleinen Bruder um