Marsjahr. Sven Hauth

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Marsjahr - Sven Hauth

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sie zu putzen. Ich machte mich ans Aufräumen. Als ich die Plastikflasche mit dem Rohrreiniger zurück ins Regal stellte, fiel mir auf der Rückseite das Warnsymbol ins Auge, ein Totenschädel in leuchtoranger Raute. Einen Impuls folgend nahm ich die Flasche mit ins Wohnzimmer, stellte sie vor mich auf den Tisch Der Schädel bewegte sich. Zuerst hielt ich es für ein willkürliches Zucken der Augenhöhle, aber dann verstand ich. Er zwinkerte mir zu. Ein Signal der Ermutigung. Der Schädel wurde zum Verbündeten im Kampf gegen den Bogeyman.

      Ruckartig wanderten die Augenhöhlen nach oben, Richtung Schraubverschluss. Ich legte einen fragenden Finger auf den Plastikdeckel. Der Schädel nickte Bestätigung. Tu es!

      Ich drehte den kindergesicherten Deckel vom Rohreiniger. Die Flasche war bis zur Hälfte mit einem Granulat gefüllt, funkelnde Perlen, die aussahen wie versilbertes Halloween Candy.

      Der Totenkopf nickte ein weiteres Mal, diesmal drängender. Ich befand mich auf dem richtigen Weg. Ich schüttete eine esslöffelgroße Menge des Granulats in meine Handfläche, unsicher, was ich damit anfangen sollte.

      Selbst ohne Augen gelang es dem Schädel, genervt auszusehen Er drehte den Kopf Richtung Haustür. Ich folgte seinem leeren Blick zu dem Bastkorb mit den Schokoriegeln, die verteilbereit auf der Kommode warteten. Endlich begriff ich meine Aufgabe.

      Ich schüttete ein paar der Silberkügelchen vor mich auf den Glastisch, schob sie zu einer Kette zusammen und holte aus dem Bad mein Maniküreset. Auf dem Rückweg stoppte ich beim Candy-Körbchen. Ich entschied mich für einen Mars-Riegel.

      Mit der Nagelschere war es ein Leichtes, die schwarze Verpackung an ihrer Naht aufzutrennen. Feierlich platzierte ich den freigelegten Schokoriegel vor mir wie einen Laborfrosch auf dem Seziertisch. Der Schädel schaute mir von seiner Flasche aus zu und grinste - tot, aber zufrieden.

      Mit der Spitze der Schere ritzte ich auf die Oberseite des Riegels vier Linien, die einen Bereich von der Größe meines kleinen Fingernagels markierten. Vorsichtig hebelte ich das so entstandene Vollmilchquadrat heraus. Darunter kam Karamellmasse zum Vorschein. Ich schabte sie mit der Nagelfeile aus, bis eine kleine Mulde entstanden war, tief genug für einige Perlen Rohrreiniger. Perle für Perle versenkte ich mit der Pinzette in die Grube, eine meditative Aufgabe, die höchste Konzentration verlangte. Ich musste lachen (und wann hatte ich zuletzt gelacht?). Die perfekte Ersatzhandlung – ich hatte sie gefunden. Der Doc wäre stolz auf mich. Pasteur kehrte heim und beobachtete mein Treiben mit Missbilligung. Zum Teufel mit Pasteur. Ich wusste, dass ich das Richtige tat.

      Als die Mulde gefüllt war, hatte ich zwölf Perlen gezählt. Ich verschloss die Öffnung mit dem Schokodeckel. Er passte perfekt, wie das letzte Teil eines Puzzles. Bis auf einen feinen Haarriss war von meinem Werk nichts zu erkennen. Der Schädel grinste.

      Mit spitzen Fingern rangierte ich den Riegel zurück in seine Hülle und verschloss das Papier mit einem Tropfen Alleskleber. Der Mars-Riegel sah aus, als wäre er nie berührt worden.

      Jetzt sitze ich auf der Couch, mit dir, liebes Tagebuch, auf meinem Schoß. Draußen flackert der Plastikkürbis. Sein Leuchtfeuer wird sie zu mir locken. Voll kribbelnder Vorfreude sehne ich den nächsten Besuch herbei, denn dieses Jahr hat Halloween eine neue Bedeutung. Dieses Jahr bin ich unartig. Dieses Jahr ist meine Antwort auf Trick or Treat: Trick. Und das fühlt sich richtig gut an.

      Ich muss Schluss machen. Es hat an der Tür geklingelt.

      -

      Paul legte den Kopf in den Nacken und klopfte die letzten Tropfen aus dem Milchkarton, um damit den Rest des matschigen Rechtecks hinunterzuspülen, dass der Schulspeiseplan unverfroren als Pizza Mexicana bezeichnete und zwei Tage später mit Ananas statt Maiskörnern unter dem Namen Pizza Hawaii servieren würde.

      Den in müden Gelb- und Brauntönen gemusterten Tisch, den er sonst mit Mark und Ale teilte, hatte er für sich allein. Chemie war ausgefallen, so dass Paul sich eine Stunde vor seiner gewohnten Mittagspause in der Cafeteria befand. Mark schwitzte beim Schweißkurs. Ale war früh nach Hause gegangen, weil ihre Schwester auf Zeit irgendwelche kulturell inspirierten Pläne mit ihr hatte. Und Special Ed tauchte nie in der Cafeteria auf, was Pauls Vermutung bestätigte, dass Ed von einem anderen Planeten stammte und auf menschliche Nahrung nicht angewiesen war.

      Wenigstens hatte Paul auf diese Weise Muße, sich intensiv mit mit dem Welle-Teilchen Dualismus auseinanderzusetzen. Wenn er den Physikkurs nicht versieben wollte, war das auch bitter nötig. Er breitete zwei Kilogramm Physikliteratur vor sich aus und versuchte, zu verstehen. Doch je länger er auf die Seiten starrte, desto weniger sah er. Seine Augen fokussierten durch die Buchstaben hindurch, auf die Tischoberfläche. Die Beschichtung hatte unter dem täglichen Kontakt mit Schülerellenbogen und Essensresten kapituliert und war zu einem feinen Narbengeflecht ziseliert. Pauls Gedanken kreisten wie aus der Bahn geratene Satelliten. Joanne. Halloween. College. Joanne. Das Skateboard. Der Prom. Joanne.

      Gerade, als er einen zweiten Konzentrationsanlauf unternehmen wollte, filterten seine Ohren ein vertrautes Lachen aus dem mittäglichen Besteckgeklapper. Ein Lachen, dass er überall herausgefiltert hätte.

      Joanne. Sie war in der Nähe. Hatte sie um diese Zeit Freistunde? Paul machte sich eine mentale Notiz, später eine reale Notiz zu machen. Er stellte das Physikbuch aufrecht, ging dahinter in Deckung und suchte den Raum ab.

      Die Cafeteria besaß die Ausmaße einer halben Turnhalle. Eine ihrer Wände war der Kunst vorbehalten und wurde jedes Jahr von kreativen Schülern mit einem neuen Wandgemälde verziert. Zur Zeit zeigte es eine Ansammlung Hochhäuser, welche vermutlich die Skyline von Plainsville darstellen sollten (obwohl Paul auch einige Gebäude entdeckte, die er eher in Europe vermutete). An manchen aufgemalten Fenstern klebten getrocknete braune Hubbel, die verdächtig nach Tomatensoße Mexicana aussahen. Joanne saß direkt unter der etwas unrund geratenen Weltkugel des gepinselten Meteor Buildings, Plainsvilles einziges architektonisches Wahrzeichen. Natürlich war sie nicht allein, sondern wurde flankiert von

      zwei der Crostons, Leah und Amy (oder Holly?).

      Und ihnen gegenüber saß – der Neue! Der Junge mit dem Irokesenschnitt, den er heute nicht hochgestellt, sondern über sein linkes Auge geklappt trug. Diesmal waren die Haare kobaltblau gefärbt.

      Die Mädchen redeten ausgelassen durcheinander und kippelten mit den Stühlen, während der Junge ihrem Gequassel mit unbewegter Miene folgte und nur hin und wieder nickte.

      Paul spürte einen Doppelstich Neid und Eifersucht. Auf den Jungen, weil er neben Joanne saß. Aber auch auf Joanne, weil sie mit dem Jungen sprach. Auf die verdammten Crostons sowieso, auf ihre Unbefangenheit, ihre permanent gute Laune.

      Er duckte sich tiefer hinter sein Buch und spähte über die Kante.

      Viel geschah nicht. Die Crostons redeten auf Joanne ein. Joanne auf den Jungen. Der Junge nickte. Joanne pulte ein Maiskorn von der Pizza und warf es auf Leah oder Amy, die affektiert aufschrie. Der Irokese spielte mit den Metallketten, die er um sein Handgelenk trug. Es sah nicht aus, als ob er sich besonders wohl fühlte. Aber auch nicht, als ob er es nicht tat. Eher, als gehöre er überhaupt nicht dazu.

      Irgendwann schabten Stuhlbeine übers Linoleum. Joanne stand auf, die Crostons folgten wie das Eisen dem Magnet. Der Irokese blieb allein am Tisch. Er zog einen Walkman aus seinem Armee-Rucksack, legte in einer flüssigen Bewegung eine Kassette ein und setzte die Kopfhörer auf. Mit vor der Brust verschränkten Armen rutschte er tief in den Stuhl und starrte konzentriert auf die Tischplatte, als gäbe es dort mehr zu sehen als Essensreste.

      Paul spielte kurz mit dem Gedanken, Joanne zu folgen. Dann kam ihm eine bessere Idee. Eine viel bessere. Wie in der Physikpause würde er den indirekten

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