Wen oder was wir lieben. null michelle_werner

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Wen oder was wir lieben - null michelle_werner

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den meisten Häusern, in der Nähe des Fensters zur Straße, einige Gegenstände: ein Feldstecher, ein Schreibblock und mehrere Stifte. Diese Vorsorge ist allerdings nur tageslichttauglich, denn abends versagt sie gänzlich. Dies liegt daran, dass es in der ganzen Straße nur vier Straßenlaternen gibt, weswegen an den meisten Plätzen Dunkelheit herrscht. Erschwerend kommt hinzu, dass gerade die Abendzeit die Hauptverkehrszeit in dieser Straße ist, was später noch näher erklärt wird.

      Am Ende der Sackgasse befindet sich eine Art Umkehrplatz, jedenfalls, etwas das dafür gedacht ist. Wer also bis ans Ende der Straße hochfährt, bringt sein Fahrzeug zum Stillstand, schlägt die Lenkung ganz rechts ein und lässt sich wieder nach rechts unten rollen, in eine Ausbuchtung, die aber nur drei Meter lang ist. Dies bedeutet, dass man einige Male vor und zurückfahren muss, bis das Fahrzeug mit der Schnauze wieder bergab fahren kann.

      Um sich das besser vorstellen zu können hier eine kleine Skizze

      Man kommt also von unten, fährt bis ans Ende und lässt dann den Hinterteil des Fahrzeuges in den Bereich rollen, der rechts ausgebuchtet ist.

      Dieser Wendeplatz ist natürlich weit und breit der einzige freie Platz auf der Straße. Daher legen die Bewohner dieser Straße alles auf diesen Umkehrplatz, was sonst im eigenen Garten liegen müsste. Also beispielsweise den Sperrmüll, der in einigen Monaten abtransportiert wird, Sand, den man für den Umbau seines Häuschens benötigt, alte Autoreifen, die man nicht mehr benötigt, Mistkübel, die geruchsintensiv sind und vieles mehr.

      Die Polizei, welche immer wieder geholt wird, weil der Wendeplatz nicht frei ist, hat übrigens keine Schaufeln dabei. Der Schotter würde auch gar nicht ausreichend Platz im Streifenwagen haben.

      Das Ergebnis dieses Dilemmas ist, dass die Polizei deswegen auch nicht mehr kommt, sie ist einfach irgendwo anders gerade unabkömmlich.

      Eine Zeitlang versuchen es die findigen Anrainer mit anderen Bedrohungsszenarien, um die Polizei anzulocken, aber auch dies wird von den Beamten bereits durchschaut. Selbst bei herumstreunenden Einbrechen, jungen Mädchen, die vor einem Unhold flüchten, und anderen Erfindungen eilt die Polizei nicht mehr herbei. Vielleicht kommt sie ein paar Stunden später, wenn sie ohnehin auf Streife ist, oder sie kommt gar nicht.

      Die Nummer 27 – Herr Halmer

      Nachdem die Polizei inzwischen nur mehr am Vormittag, und auch dies nur fallweise, auf Streife vorbeischaut, kann der vergeudete freie Platz spätestens ab Mittag anderweitig genutzt werden. Einer der so denkt, ist Opa Halmer. Herr Halmer (1) heißt natürlich in Wirklichkeit nicht Halmer, weil dies eine erfundene Geschichte sein soll und er ist auch kein Opa, weil er sich unter Androhung einer Klage dagegen wehrt, Opa genannt zu werden.

      Erfüllen wir also seinen Wunsch und nennen wir ihn einfach Herrn Halmer. Er wohnt jedenfalls von Frühling bis Herbst auf dem Grundstück rechts oberhalb des Umkehrplatzes. Wie fein, dass er dann gleich neben seinem Grundstück diesen freien Platz für seinen Puch 500 hat, denn dieses Fahrzeug passt als echtes Zwergen-Auto genau dorthin. Der Begriff ‚Zwerg‘ ist übrigens nicht als Beleidigung gedacht, sondern hat einen anderen Grund, der in Kürze klar wird.

      Wenn Herr Halmer mit seinem Gefährt anreist – anders kann man sein Tempo nicht nennen – dann kann man hinter ihm schon zum Opa werden. Eine Geschwindigkeit von 15 km/h ist nach seiner Meinung für diese Steigung geradezu die angemessene Höchstgeschwindigkeit. Da hilft kein Hupen oder anblinken, denn dies macht ihn nur fuchsteufelswild.

      Wenn er wild ist, dann fährt er nicht, weil er weiß, dass erregte Fahrer Unfälle bauen. Geschieht es dennoch, dass der Nachkommende Ungeduld ausdrückt, dann bleibt er einfach auf dieser Stelle stehen, an der er sich gerade befindet. Er stellt dann den Motor ab, sichert das Fahrzeug und steigt genau dort aus. Noch wäre aber nicht alles verloren, wenn der drängelnde Fahrer sich demütig, mit einem Kniefall untertänig annähern würde.

      Wer nun den Fehler macht, sich bei dem Herrn, der wie ein Opa fährt – pardon das darf man ja nicht sagen, denn sonst wird mit der Klage gedroht – also nochmals:

      Wer nun den Fehler macht, sich bei Herrn Halmer zu beschweren, der riskiert, dass seine Abregungsphase noch länger dauert, und dann geht er einfach zu Fuß in sein Haus, in der Wahnsinnsstraße 27. Dort bleibt er dann stundenlang. Er bleibt dort, bis er wieder genug Ruhe und Muße verspürt, den Rest des Weges mit seinem Fahrzeug hinauf zu tuckern.

      In diesem Fall bleibt einem ungeduldigen Menschen nur, im Retourgang den ganzen Berg zurück zu rollen und irgendwo ganz unten zu parken. Da versteht eben Herr Halmer keinen Spaß! Da nützt nicht einmal das Argument, dass man zu seinem Grundstück 10 Meter weiter fahren möchte, um dort dann die Einfahrt zu benutzen.

      So gesehen ist man schon froh, wenn Herr Halmer nur den Umkehrplatz blockiert und nicht gleich die ganze Straße. Weil wir schon mal hier sind, statten wir Herrn Halmer einen kleinen Besuch auf seinem Grundstück ab. Herr Halmer wohnt dort vom Ende der Schneeschmelze im Frühjahr bis etwa Ende Oktober. Danach ist die Straße fallweise vereist und später dann mit Schnee bedeckt. Ein Schneepflug kommt hier wegen der schmalen Straße nicht hoch und daher bleibt Herr Halmer im Winter dem Garten ganz fern. Wer im Winter hoch will oder muss, dem bleibt nur der Marsch in Winterstiefeln, wobei der Schnee fallweise bis zur Kinnspitze reicht. Dies hat natürlich auch seinen romantischen Reiz, vorausgesetzt, dass man ein Romantiker ist.

      Herr Halmer ist kein Romantiker und war auch niemals einer. Wahrscheinlich weiß er nicht einmal, ob Romantik eine Wurstsorte oder eine Krankheit ist. Muss er auch nicht wissen, denn die Menschheit braucht auch Realisten, welche das Rad des Schicksals in Gang halten, so wie es Herr Halmer viele Jahre getan hat.

      Als er noch im Berufsleben stand, also vor etwa 20 Jahren, war seine Aufgabe, Waggons auf Eisenbahnschienen zu rangieren. Mit einer kleinen Lokomotive, einigen Handzeichen und einigen Verschiebern wurde dafür gesorgt, dass jeder Waggon zum zugeordneten Zug kam. Lachen Sie nicht, diese Bahnbediensteten heißen wirklich Verschieber.

      Da spielte natürlich Zeit keine Rolle, denn ob der Waggon drei Stunden früher oder später angekoppelt wurde, war wirklich gleichgültig. Die Routine der Zugsverspätungen hat eben Tradition und kommt nicht von ungefähr.

      Rendezvous gab es nur wenige im Leben dieses ehemaligen Bahnbediensteten. Fand doch manchmal ein solches privates Treffen statt, so gab es jedenfalls keine zweite Begegnung mit derselben Dame. Er war nicht gewillt, irgendetwas in seinem Leben umzustellen. Schon gar nicht wegen einer Frau.

      Nur einmal gab es eine junge Dame, die ihn unbedingt erobern wollte, aus welchen Gründen auch immer. Als sie dann von kleinen Kindern träumte, die in einer Wohnung herumtoben würden, da war dann die mikroskopisch kleine Glut sofort erloschen. Es nützte ihr ganzes Entgegenkommen nichts mehr. Für ihn war beim besten Willen eine gemeinsame Zukunft nicht mehr vorstellbar, da hätte er sich lieber ein Krokodil als Haustier genommen.

      Herr Halmer wurde dann mit 48 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Immer öfter verschwanden seine Waggons, die dann in Sizilien, Sibirien oder einem anderen Winkel der Erde auftauchten. Er hatte eben seine eigene Logik und der durfte niemand widersprechen.

      Wenn einer seiner Kollegen meinte, dass dieser Waggon auf den Zug ‚A‘ gehörte, dann fühlte er sich bevormundet. Da er dies auf den Tod nicht ausstehen konnte, landete der Waggon auf irgendeinen anderen Zug der gerade herumstand, nur nicht auf Zug ‚A‘.

      Nur mit Diplomatie, Engelsgeduld und viel Geschick konnte man ihn von etwas überzeugen, das anders in seinem Kopf abgespeichert war. Leider ist Diplomatie unter Bahnarbeitern

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