Waldesruh. Christoph Wagner

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Waldesruh - Christoph Wagner Hauptkommissar Travniczek ermittelt inHeidelberg

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brauchst nicht zu antworten. Ich bin schließlich auch ein Mann und kann mich noch recht gut an die Zeit erinnern, als ich in deinem Alter war. Natürlich willst du mit beiden zusammen sein und natürlich nicht nur beim Erstellen eines Buches. Anders kann das doch gar nicht sein.“

      Der Vater wartete lange auf eine Reaktion. Doch Bernhard stierte auf sein Weinglas, ohne daraus zu trinken.

      „Wovor hast du Bammel?“

      „Was heißt ‚Bammel‘? So was geht doch einfach nicht, vor allem nicht auf Dauer.“

      „Warum geht das nicht?“

      „Weil … weil …“

      „Weil unsere kulturelle Tradition das nicht zulässt? Weil die Natur – oder der liebe Gott – die Zweierbeziehung favorisiert?“

      „Ja … so etwa …“ und er lachte.

      „Ich sag dir mal eins. Es sind schon unzählige Menschen vor die Hunde gegangen, weil sie mit irgendwelchen religiösen oder bürgerlichen Moralgesetzen in Konflikt geraten sind. Sie haben sich entweder verbiegen müssen, um sie zu erfüllen, und sind deswegen seelisch krank geworden, oder sie wurden mit Ausgrenzung oder Sanktionen konfrontiert oder auch stigmatisiert, weil sie sie bewusst missachtet haben. Solche Moralgesetze können nicht gut sein. Man darf sie ignorieren.“

      Über einen solchen Frontalangriff auf die bürgerliche Moral war Bernhard schon fast entsetzt. Von seinem Vater hätte er das jetzt gar nicht erwartet.

      „Also kann jeder machen, was er will?“

      „Natürlich – solange er damit niemandem schadet. Das kannst du an prominenter Stelle nachlesen. Weißt du, wo?“

      Bernhard sah ihn nur fragend an.

      „Grundgesetz, Artikel 1! – Aber lass mich dir eine Geschichte erzählen, die dein spezielles Problem auf den Punkt bringt. Der junge Goethe, fünfundzwanzig war er da etwa, hat ein Theaterstück geschrieben über eine Dreierbeziehung. ‚Stella‘ heißt es. Kennst du es?“

      „Nein.“

      „Das alte Lied. Man lernt in der Schule nicht die wichtigen Dinge. Aber zurück zu Goethe. Das Stück endet in einem ménage à trois, also einer Ehe zu dritt. Da war vielleicht was los. Empörung allenthalben. Ein Schlag ins Gesicht der bürgerlichen Moral. Das Stück war kaum aufführbar. Und wenn, wurde es nach ein, zwei Aufführungen wieder abgesetzt oder sogar polizeilich verboten.“

      „Wen wundert’s, vor allem in der damaligen Zeit.“

      „Stimmt. Bis dahin war das auch nichts Besonderes. So etwas kam öfter vor, damals. Aber was etwa fünfundzwanzig Jahre später geschah, macht mich immer wieder fassungslos. Schiller, der rigorose Moralist, schlug Goethe vor, das Stück noch einmal herauszubringen, aber mit verändertem Schluss. Goethe machte jetzt eine Tragödie daraus. Die ersten vier Akte blieben unverändert, aber im fünften bringen sich jetzt zwei der drei Protagonisten um. So wurde das Stück jetzt noch einmal aufgeführt. Es war zwar nicht der große Erfolg. Aber moralische Bedenken hatte jetzt niemand mehr.“

      „Tja, so war das halt damals.“

      „Verdammt, wie kannst du das einfach so hinnehmen? Empört dich das nicht? Das ist doch eine völlig perverse Moral. Wenn sich drei Menschen lieben und beschließen zusammenzuleben, ist das angeblich unmoralisch. Es darf nicht sein, so was muss man verbieten. Wenn sich stattdessen zwei davon erschießen, dann ist alles o. k., eben eine menschliche Tragödie, da kann man nach Herzenslust mitheulen.“

      Der Vater hatte sich in Fahrt geredet und hielt einen Moment inne. Bernhard antwortete nicht, schüttelte nur unverständlich murmelnd den Kopf.

      „Und apropos ‚damals‘ “, fuhr der Alte fort. „Irrtum! Fast zweihundert Jahre später galt das auch noch so.“

      „Jetzt übertreibst du aber.“

      „Keine Spur. Pass auf! Der Bertelsmann Verlag machte es sich Mitte letzten Jahrhunderts zur Aufgabe, im sogenannten ‚Lesering‘ große Literatur auch dem kleinen Mann zugänglich zu machen. Dabei hatte er auch eine siebenbändige Goetheausgabe herausgebracht. Die steht heute noch in vielen Haushalten. Da ist auch ‚Stella‘ drin. Rat mal, in welcher Fassung.“

      „Wenn du schon so fragst, sicher die Tragödie.“

      „Natürlich, und jetzt kommt der Hammer. Auf die Urfassung wird nicht einmal mit einer Fußnote hingewiesen. Man durfte doch dem einfachen Volk nicht verraten, wie unmoralisch Goethe war.“

      Inzwischen hatten sie ihre Pizza gegessen und auch die dritte Halbliterkaraffe Montepulciano geleert.

      „Ich kann jetzt irgendwie nicht mehr. Ich muss jetzt schlafen“, meinte Bernhard erschöpft.

      Als sie gezahlt und das Lokal verlassen hatten, blieb der Vater plötzlich stehen.

      „Aber eines muss ich dir noch sagen. Ich fand es ganz toll.“

      „Was denn?“

      „Mit dir so offen sprechen zu können. Danke.“

      Er umarmte ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

      Bernhard wusste nicht recht, wie er reagieren sollte, so überrascht war er von dem ungewohnten Gefühlsausbruch seines alten Herrn. Seit seiner Kindheit hatte er das nicht mehr erlebt.

      Schweigend gingen Vater und Sohn nebeneinander her, bis sie zur Theodor-Heuss-Brücke kamen. Der Pulverdampf hatte sich verzogen und die Luft war wieder klar. Im silbrig-hellen Mondlicht glitzerte am gegenüberliegenden Neckarufer die tiefverschneite Altstadt mit Schloss und Alter Brücke, ein wahrhaft unvergleichlicher Anblick, der sie augenblicklich in seinen Bann zog. Lange blieben sie wortlos stehen, ehe der Alte sagte: „Mir wird kalt. Ich ruf uns jetzt ein Taxi.“

      8

      Es war noch dunkel, als Travniczek erwachte. Er konnte also noch nicht lange geschlafen haben. Er drehte sich auf die andere Seite und versuchte weiterzuschlafen. Da lief auf einmal wieder dieser Erinnerungsfilm ab, der in den letzten Monaten immer häufiger ungerufen kam. Er sah in die Mündung einer Pistole und hatte mit seinem Leben bereits abgeschlossen, denn an Händen und Füßen gefesselt gab es keine Gegenwehr mehr. Da fielen drei Schüsse und seine Kollegin Martina Lange tauchte aus dem Dunkel auf. Sie hatte geschossen und die Gefahr war gebannt. Das war vor eineinhalb Jahren. Sicher, seit diesem Ereignis war sein Verhältnis zu Martina ein ganz besonderes. Schließlich hatte sie ihm sein Leben neu geschenkt. Aber was hatte Bernhard gesagt? ‚Stell dir vor, mit ihr zu schlafen, mit ihr zusammenzuleben? Wie fühlt sich das an?‘

      Er versuchte, einen Zukunftsfilm mit Martina zu drehen, aber der Monitor blieb schwarz. Warum eigentlich? Hatte er Angst, noch einmal eine ähnliche Katastrophe zu erleben wie mit Marion? Oder sich einen Korb zu holen? Hatte er sich vielleicht schon so damit abgefunden, das Leben des einsamen Wolfs zu führen, dass ihn jeder andere Weg schreckte?

      Danach

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