Waldesruh. Christoph Wagner

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Waldesruh - Christoph Wagner Hauptkommissar Travniczek ermittelt inHeidelberg

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in seinen Bann gezogen? Schubert war wohl einer der einsamsten Menschen, die je gelebt haben. Einsam, weil ihm in seiner Zeit niemand in seine Welt folgen konnte. Und je näher er seinem viel zu frühen Tod kam, umso mehr komponierte er. Bei dem Pensum seiner letzten zwei Lebensjahre musste er eigentlich Tag und Nacht geschrieben haben. War er glücklich, wenn er komponierte? Die Antwort darauf konnte er nur in Schuberts Musik finden. Er musste nur noch genauer hinhören.

      Er stand auf, kochte sich einen starken Kaffee und nahm ihn mit ins Wohnzimmer.

      Das neue Jahr sollte ich mit einigen Präludien und Fugen von Bach begrüßen, dachte er und setzte sich ans Klavier. Aber bald schlug er wieder die große Schubertsonate auf und spielte zunächst bis dorthin, wo er sich vor zwei Tagen wie ein Bergsteiger gefühlt hatte, der über allen bedrohlichen Wolken im strahlenden Sonnenlicht angekommen war. Aber jetzt kam ihm das Sonnenlicht gar nicht mehr so strahlend vor, denn Schubert verwandte hier noch einmal die resignative absteigende Melodie vom vorangegangenen Abschnitt. Zudem trübten einzelne Töne das Licht weiter ein, Begleitfiguren sorgten für Nervosität.

      Er glaubte, Schuberts Angst vor der Helligkeit zu hören. Für einen Augenblick kam ihm der schwarz bleibende Monitor in Erinnerung, als er vorhin seinen Zukunftsfilm drehen wollte.

      Etwas später fühlte er sich dann doch in eine heile Welt versetzt. Idylle pur: Hirten mit ihren Schäfchen auf der Weide im warmen Licht der mediterranen Sonne. Nymphen und Satyrn neckten sie. Es gab keine Leiden mehr, nur Freude und Schönheit. Travniczek wusste, dass das so nicht bleiben würde.

      Da öffnete sich langsam die Tür und Bernhard sah herein.

      „Darf ich zuhören?“

      „Nur zu, komm rein.“

      Der Alte überlegte, seinem Sohn die Musik zu erklären, so wie er sie sich selbst bis zu diesem Punkt klargemacht hatte. Aber dann besann er sich doch anders und spielte die komplette Sonate einfach durch. Bernhard hörte fasziniert zu. Er hatte bisher noch nie wahrgenommen, zu welcher Gefühls­­intensität sein Vater fähig war.

      Als die Musik verklungen war, blieben beide lange schweigend sitzen, bis Bernhard plötzlich die Stille unterbrach: „Vadder, ich sag‘s noch mal, du brauchst wieder ‘ne Frau. Und die kann sich glücklich schätzen, wenn du sie so behandelst wie diese Musik.“

      „Hm, das hast du aber schön gesagt. Seit meiner Schulzeit hat mir niemand mehr ein solches Kompliment gemacht.“

      Da schlug Bernhard mit der flachen Hand auf den Couchtisch.

      „Und jetzt machen wir ein ordentliches Sektfrühstück!“

      Tagebuch - 21.1.

      Ich konnte lange nicht schreiben, denn ich war sehr krank. Tagelang hatte ich ganz hohes Fieber und mußte so viel husten wie noch nie. Alles hat weh getan. Dann habe ich furchtbare Sachen geträumt. Drachen wollten mich fressen. Und ein Drache sah genauso aus wie Vater. Manchmal wußte ich gar nicht, ob ich jetzt träume oder wach bin. Dr. Maurer hat immer so ein ernstes Gesicht gemacht. Einmal habe ich mitbekommen, wie er zu Mama was vom Sterben gesagt hat. Ich hatte große Angst.

      Aber jetzt ist das Fieber etwas weniger geworden und ich kann auch wieder ein wenig essen. Aber eines ist gut. Vater hat mich wenigstens in Ruhe gelassen die ganze Zeit.

      Es fing am Tag nach Neujahr an. Ich mußte Mama beim Putzen helfen. Ich sollte die Sachen abstauben, die auf der Anrichte und im großen Wohnzimmerschrank offen herumstehen. Da steht auch eine große Vase, die hat Papa mal Mama zum Geburtstag geschenkt. Sie ist aus Kristall und das ist sehr wertvoll. Ich will solche Sachen eigentlich nicht anfassen. Ich bekomme dann furchtbare Angst, sie könnten mir aus der Hand fallen und kaputt gehen.

      Und dann ist es auch passiert. Ich hatte die Vase schon fast ganz saubergemacht, da rutschte sie mir aus der Hand und zerschlug in tausend Stücke …

      Der Vater kommt. Ich muß das Tagebuch verstecken.

      in B-Dur https://www.youtube.com/watch?v=_MzNAAuwfLE

      in Es-Dur https://www.youtube.com/watch?v=qKjwFeVe6-k

      Freitag, 2. Januar 2015

      9

      Mit einem dumpfen Schlag fiel die schwere Eisentür hinter ihm ins Schloss.

      Freiheit. Endlich. Nach zehn langen Jahren. Darüber hätte sich Wolfgang Maurischat eigentlich freuen müssen. Der Faule Pelz* war für ihn Vergangenheit. Jetzt konnte er wieder anfangen zu leben. Aber er fühlte nichts. Ihm kam alles öd und leer vor.

      Über Nacht waren tiefhängende dunkle Wolken aufgezogen und hielten die Gipfel der Odenwaldberge verborgen. Sogar die Straßenbeleuchtung brannte noch, obwohl es schon lange nach neun war. In seinem viel zu dünnen knallroten Anorak fühlte er nur den eisig kalten Wind und sah ihm zu, wie er den feinen Schnee in sich ständig schlangengleich windenden Schlieren über den Boden fegte und kleine Wirbel in die Luft zog.

      Mit schweren, schleppenden Schritten trat er auf die Kettengasse hinaus und sah sich um. Er suchte nach seinem Vater, aber der war nicht gekommen. Das enttäuschte ihn sehr, obwohl ihm ein Aufseher schon ausgerichtet hatte, seinem Vater ginge es so schlecht, dass er nicht Auto fahren könne. Aber sein Verlassenheitsgefühl war zu stark, um sachliche Gründe gelten lassen zu können.

      Wolfgang Maurischat überlegte, ob er sofort zum Karlstorbahnhof* gehen sollte, um mit dem nächsten Bus nach Hause zu fahren. Das wäre wohl das Vernünftigste, denn sicher wartete der Vater sehnlichst auf ihn, und zudem war er für die Kälte viel zu dünn angezogen. Aber da war diese abgrundtiefe Angst vor den anderen Dorfbewohnern. Sie würden ihm mit Ablehnung, ja Hass begegnen, ihm, dem Mörder.

      Also entschloss er sich, einen Bus zu nehmen, der ihn erst nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause bringen würde. Wenigstens in Ruhe ankommen wollte er, mit dem Vater sprechen und dann weitersehen.

      Mit gesenktem Kopf wandte er sich Richtung Hauptstraße, ohne auf die Umgebung zu achten. In der Haftanstalt hatten sie ihm dringend geraten, aus Waldesruh wegzuziehen, irgendwo

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