Waldesruh. Christoph Wagner

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Waldesruh - Christoph Wagner Hauptkommissar Travniczek ermittelt inHeidelberg

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musste er beweisen, dass er Berit nicht getötet hatte, dass ihn damals jemand reingelegt haben musste. Und übermächtig trieb ihn der Hass auf die, die sein und Berits Leben zerstört hatten. Er musste herausfinden, wer das war, denn er wollte Rache.

      Auf der Hauptstraße fiel es ihm schwer sich zu orientieren. Alles erschien ihm unbekannt, fremd, als würde er es zum ersten Mal sehen. Sicher, in zehn Jahren hatte sich viel verändert. Aber er empfand es eigentlich gar nicht als so anders. Er wusste einfach nicht mehr, wie es vorher ausgesehen hatte. Die jahrelange Eintönigkeit zwischen Zelle, Hofgang und Werkstatt erschien ihm im Rückblick wie eine Ewigkeit. Alles, was davor lag, war dunkel und unscharf. Wie sah ein grüner Baum aus? Wie roch der Frühling? Wie hörte sich das pulsierende Leben in einer Fußgängerzone an? Wie schmeckte eine Pizza? Wie fühlte sich die zarte Haut einer Frau an? Weg, alles weg. Nur Leere.

      Er trottete in Richtung Bismarckplatz. Die Weihnachtsbeleuchtung sollte eine heimelige Atmosphäre schaffen, trotz der düsteren Witterung. Wolfgang erreichte das alles nicht. Er sah in das ein oder andere Schaufenster, ohne die Auslagen darin näher wahrzunehmen.

      Es waren viele Menschen unterwegs. Zwischen ihnen fühlte er sich völlig allein. Er gehörte nicht dazu. Die lebten alle ihr Leben. Und er? Er war ausgestoßen. Immer wieder schaute er sich verstohlen um. Deutete da nicht jemand mit dem Finger auf ihn? „Seht, das ist der Wolfgang Maurischat, der hat seine Freundin ermordet.“

      Verrückt ist das, dachte er da. Zehn Jahre lang hatte er nur kahle Wände und vergitterte Fenster gesehen, Metalltüren ins Schloss fallen hören. Und jetzt – endlich draußen – ertrug er die Welt und die anderen Menschen nicht.

      Berit, dachte er plötzlich, und alles um ihn herum verschwand. Er versuchte, sich ihr Gesicht vorzustellen, ihr helles Lachen, ihre dunklen Augen. Er erschrak. Es ging nicht. Auch da war nichts mehr.

      Hatte er sie am Ende doch getötet und diese Psychologen hatten recht? Immer wieder hatten sie versucht, ihm zu erklären, die eigene Tat hätte ihn so schockiert, dass sein Hirn dieses Geschehen aus seinem Gedächtnis getilgt hätte. Das sei ganz normal bei einer solchen Tat. Er müsse sich nur intensiv genug erinnern, dann würden die Bilder wiederkommen. Nur dürfe er sich nicht an die Vorstellung klammern, er sei wirklich unschuldig. Das würde die Erinnerung für immer blockieren.

      Aber verdammt noch mal, sein Hirn hatte nichts gelöscht! Er wusste, dass er Berit nicht getötet hatte. Warum hätte er so etwas tun sollen? Er fühlte sich im siebten Himmel, seit er mit ihr zusammen war. Und dass sie mit ihm Schluss machen wollte, war noch größerer Unfug. Ausgerechnet mit diesem Lackaffen Waldemar sollte sie ein Verhältnis angefangen haben? Den konnte sie doch überhaupt nicht ausstehen. Das hatte Waldemar frei erfunden.

      Aber keiner wollte ihm glauben. Immer und immer wieder hatten sie auf ihn eingeredet, er solle doch endlich gestehen, das würde auch ihn befreien. Nur so könne er seine Tat irgendwann verarbeiten. Und Berit würde wenigstens ein Grab bekommen.

      Nach fünf Jahren hatten sie dann begonnen, ihm Hafterleichterungen in Aussicht zu stellen. Offenen Vollzug, ja sogar von vorzeitiger Entlassung war die Rede, wenn er nur endlich gestehen würde. Mehrfach war er so am Ende mit seinen Nerven, dass er ihnen den Gefallen tun wollte. Aber sie hätten dann ja wissen wollen, wo er die Leiche versteckt hat.

      Er war wieder völlig in seinem seit Jahren immer gleichen Gedankenkarussell gefangen und merkte gar nicht, dass die Hauptstraße zu Ende war und er bereits am Bismarckplatz* stand.

      Der Schnee fiel jetzt dichter, aber immer noch ganz fein. Auch der Wind hatte noch mal zugelegt. An Hindernissen bildeten sich Verwehungen. Er fror fürchterlich. Er brauchte dringend etwas Wärmeres zum Anziehen, und außerdem wartete sein Vater sicher voller Ungeduld. Vielleicht hatte der sogar Mittagessen gekocht. Also sollte er doch ganz schnell nach Hause fahren.

      Es ging auch ein Bus vom Bismarckplatz nach Heiligkreuzsteinach*. Hektisch überquerte er die Sophienstraße, ohne auf die rote Ampel zu achten, und wäre fast in ein Auto gelaufen. Aber er musste dann zwölf Minuten auf die Linie 34 warten, wie er dem Fahrplan entnahm. Am Automaten zog er einen Fahrschein, wartete zitternd vor Kälte, trat von einem Fuß auf den anderen. Doch als der Bus kam, konnte er sich nicht von der Stelle rühren. Die Menschen drängten an ihm vorbei in den Bus, und als der abgefahren war, stand er allein an der Haltestelle. Die Angst vor Waldesruh war zu groß.

      Er spürte die Kälte nicht mehr und setzte sich ins Wartehäuschen. Den Fahrschein hatte er weggeworfen. Irgendwie vermisste er den geregelten Gefängnisalltag. Da hatte er wenigstens nie darüber nachdenken müssen, was er tun sollte.

      Was wollte er eigentlich noch? Wollte er überhaupt noch etwas? War es nicht völlig egal, wohin er jetzt ging? Oder ob er einfach sitzenblieb? Nichts mehr tun. Erfrieren tut nicht weh. Man schläft einfach nur ein.

      Doch da spürte er seinen Hass. Der riss ihn aus dieser Lethargie. Er konnte doch nicht zulassen, dass die, die ihm sein Leben kaputtgemacht hatten, einfach in Ruhe weitermachen konnten, als ob nie etwas passiert wäre. Die mussten dafür büßen und er musste seine Unschuld unbedingt beweisen.

      Er wollte also doch noch etwas.

      Gerechtigkeit.

      Und Rache.

      Dafür lohnte es sich noch zu leben.

      Langsam überquerte er wieder die Sophienstraße, setzte sich in der Darmstädter Hofpassage in ein Bistro und trank einen doppelten Espresso.

      Dann suchte er einen öffentlichen Fernsprecher, um endlich seinen Vater anzurufen.

      Der war ungehalten. Warum hatte er sich nicht schon viel früher gemeldet? Er hatte ihm extra sein Lieblingsessen gekocht. Irgendwie verstand er Wolfgang nicht. Er konnte sich doch eh nicht vor den Nachbarn verstecken.

      Wolfgang merkte, dass seinem Vater das Sprechen schwerfiel. Er hatte in der Nacht wieder eine Herzattacke gehabt. Wie so oft schon. Der Arzt sagte, organisch sei da nichts. Einfach die Nerven.

      Wolfgang versuchte, das Gespräch mit dem Vater so schnell wie möglich zu beenden. Er merkte, dass er jetzt keiner längeren Auseinandersetzung gewachsen war.

      Langsam ging er dann wieder in die Hauptstraße hinein, Richtung Karlstor, und seine Gedanken sprangen einmal mehr in die ausgefahrenen Gleise. Berit konnte ihrem Mörder nicht zufällig begegnet sein. Der musste von Anfang an geplant haben, ihm die Sache in die Schuhe zu schieben, anders machte der Autodiebstahl keinen Sinn. Aber …

      Schluss jetzt, unterbrach er sich. So kommst du nicht weiter. Du musst beweisen, dass diese Schittenhelms gelogen haben. Aber selbst wenn du das schaffst: Wer wird dir glauben in diesem Scheißkaff?

      Der Vater hatte ihm erzählt, er habe mit einem Kriminalisten Kontakt aufgenommen, dem man vertrauen könne.

      Wolfgang bezweifelte das. Die Polizei war doch einfach nur eine Scheißbande, die ihre Ruhe haben wollte. Möglichst nicht zu viel arbeiten. Oder auch Geld kassieren für angenehme Ermittlungsergebnisse. Die steckten damals doch alle unter einer Decke. Die wollten, dass er es war. Die hatten keine Lust, genauer zu ermitteln.

      Hunderte Male hatte er das schon gedacht, sich immer im Kreis gedreht.

      Bei der NORDSEE kaufte er ein Fischbrötchen, mehr aus Langeweile, als dass er wirklich Hunger oder gar Appetit verspürte. Etwas weiter hinten ging er zu Doctor Flotte*, um noch mal einen Kaffee zu trinken und sich wieder etwas aufzuwärmen. Vielleicht hatte die Kälte aber auch etwas Gutes. Wenn er jetzt eine Lungenentzündung bekäme, dachte er, bräuchte er wenigstens nicht auf die Straße raus

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