Waldesruh. Christoph Wagner

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Waldesruh - Christoph Wagner страница 19

Waldesruh - Christoph Wagner Hauptkommissar Travniczek ermittelt inHeidelberg

Скачать книгу

langsam. Irgendwann zwang er sich doch, über seine Zukunft nachzudenken, um seinem Gedankenkarussell zu entkommen.

      In der JVA hatte er eine Schreinerlehre gemacht. Eigentlich hatte er einmal Arzt werden wollen. Aber damit war es jetzt wohl auch vorbei. Wer würde ihm noch ein Studium finanzieren? Bafög – für einen vorbestraften Schwerverbrecher? Gab es das?

      Sie hatten ihm ein paar Adressen gegeben von Schreinereien in der Nähe. Die würden auch ehemalige Strafgefangene nehmen. Vielleicht einfache Strafgefangene, aber sicher keinen Frauenmörder. Es war doch alles einfach aussichtslos. Er musste seine Unschuld beweisen. Sonst blieb ihm nur der Strick.

      Er kam an die Heiliggeistkirche*. Sie war offen. Drinnen war es einigermaßen warm. Er setzte sich in die letzte Reihe und sah hinauf in das Deckengewölbe. Der Raum beruhigte ihn. Der Altar war hell erleuchtet, flankiert von zwei großen Weihnachtsbäumen. Ihm kamen Erinnerungen an die Zeit, als noch alles gut war. Als Kind war er gerne in die Kirche gegangen. Die hatten dort schöne Geschichten erzählt. Und er hörte gerne der Orgel zu, obwohl er bei den Chorälen nicht mitsingen konnte. Er sei unmusikalisch, hatte zumindest sein Musiklehrer gesagt. Aber es war schön, wenn alle zusammen sangen. Noch mehr gefiel ihm das Sprechen. Ihm kam das Vaterunser in den Sinn. Er faltete die Hände und begann: „Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt … Bullshit! Es gibt keinen Gott, und schon gar keinen Vater im Himmel. Und wenn doch, dann ist er schlimmer als alle Väter hier auf der Erde. Ein gewissenloser Zyniker und Sadist!“

      Wenigstens hatte es aufgehört zu schneien, als er aus der Kirche trat. Es war jetzt kurz nach vier. Langsam ging er weiter zum Karlstor, vorbei am Kornmarkt* und am Karlsplatz*, wo immer noch viele Menschen unterwegs waren, die fasziniert nach oben zum schon rötlich angestrahlten Schloss sahen. Ihn interessierte das jetzt gar nicht.

      Als er zum Karlstor kam, sah er einen Bus wegfahren. Es war ausgerechnet der nach Heiligkreuzsteinach. Er musste jetzt eine halbe Stunde in der Kälte stehen und auf den nächsten warten.

      Im Bus gab es dann keinen Sitzplatz mehr. Die Fahrgäste standen dicht gedrängt. Die rochen anders, als er es aus der JVA gewohnt war, aber auch unangenehm. Warum konnte er nicht allein sein? Warum musste sein Vater ausgerechnet heute krank werden?

      Er hörte verschiedene Gesprächsfetzen. Zwei Frauen tauschten sich über ihre Erlebnisse beim Einkaufen aus. Es sei so schwer, etwas Vernünftiges zum Anziehen zu finden, wenn man schon etwas älter sei und nicht mehr dem jugendlichen Schlankheitsideal entspreche.

      Haben die Sorgen!

      Irgendwo wurde über Politik gesprochen. Vom Krieg in der Ukraine. Diesen Putin müssten sie doch endlich in die Schranken weisen, diese unfähigen Politiker. Das würde aber Krieg bedeuten. Wenn schon. Den Kalten Krieg hätten die Russen schließlich auch verloren.

      Wolfgang Maurischat hatte keine Ahnung, was in der letzten Zeit draußen vorgegangen war. Nach etwa drei Jahren JVA hatte er jedes Interesse an der Außenwelt verloren, keine Nachrichten mehr gesehen und keine Zeitung gelesen.

      Aber Krieg, das machte ihn jetzt doch unruhig.

      In Neckarsteinach* wurde endlich ein Sitzplatz frei. Er war froh, nicht mehr die anderen Menschen ansehen zu müssen.

      Plötzlich hatte er Berits Gesicht vor Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, aus einem Alptraum zu erwachen. Er war dankbar für diesen Sekundenbruchteil.

      Er roch Veilchenduft. Der kam von der jungen Frau, neben die er sich gesetzt hatte. Sie war so in Mantel, Schal und Mütze eingemummelt, dass man ihr Gesicht kaum sehen konnte.

      Veilchen waren Berits Lieblingsblumen gewesen. Vor allem wegen ihres Dufts. Nie war sie außer Haus gegangen, ohne ihr Veilchenparfüm aufgetragen zu haben. Es hatte so gut zu ihr gepasst.

      Berit.

      Was war damals wirklich geschehen? Sie hatten nie ihre Leiche gefunden. War sie überhaupt tot? Vielleicht saß sie ja in ihrer Wohnung und wartete auf ihn.

      Hör mit diesem Unfug auf! Red dir keine Hoffnung ein! Berit ist tot. Irgendein Schwein hat sie umgebracht. Und du hast für den im Knast gesessen. Die Welt ist nun mal ungerecht. Dumm gelaufen.

      Wenn ich den finde, erwürge ich ihn mit diesen meinen eigenen Händen. Danach sollen sie mir ruhig lebenslänglich geben. Das ist mir dann scheißegal.

      …

      In Heiligkreuzsteinach stieg er aus. Waldesruh hatte keine eigene Bushaltestelle. Das war noch genauso wie früher.

      Etwa einen Kilometer musste er zu Fuß weitergehen. Es war hier oben noch sehr viel kälter als unten in Heidelberg. Er hatte kein Gefühl mehr in den Füßen, kam mehrmals ins Rutschen und wäre einmal fast gestürzt. Schließlich erreichte er das Dorf. Es gab hier insgesamt nur vier Straßenlaternen. Entsprechend dunkel war es. Nur in wenigen Häusern brannte Licht. Hinten am Berghang konnte er die palastartige Villa Schittenhelm sehen. Hier residierte Ansgar Schittenhelm, der ungekrönte König von Waldesruh.

      Ihr Haus stand am Waldrand, gleich hinter dem Ortsschild, dort, wo der Hang steil wurde. Wolfgang klingelte. Es dauerte lange, bis der Vater ihm öffnete.

      „Da bist du ja endlich“, begrüßte er seinen Sohn traurig, aber doch mit einer Spur von Erleichterung. Eine Weile sahen sie einander an. Dann umarmten sie sich. Der Vater weinte. Wolfgang konnte nicht mehr weinen, schon lange nicht mehr.

      „Ich habe dir etwas zu essen gemacht, Frikadellen mit Bratkartoffeln. Das mochtest du doch früher so gerne.“

      So? Auch das hatte er vergessen.

      „Ich muss es nur noch mal aufwärmen. Ich hatte ja früher mit dir gerechnet.“

      Wolfgang hörte einen vorwurfsvollen Unterton, der ihm weh tat. Er warf seine Reisetasche auf den Boden, den Anorak hinterher und setzte sich an den Kachelofen. Die Wärme tat ihm gut.

      Der Vater brachte das Essen und sie setzten sich an den Tisch. Nach den ersten Bissen klingelte es an der Tür.

      „Erwartest du jemanden?“, fragte Wolfgang unruhig.

      Der Alte schüttelte nur den Kopf, stand auf, was ihm schwerfiel, und ging zur Tür. Er ahnte, was jetzt kommen würde.

      Draußen war niemand. Er wollte die Tür schon wieder schließen, da sah er, angelehnt an die Hauswand, das flache Paket. Er hob es auf. „Für Wolfgang“ stand darauf.

      „Es geht schon los“, sagte der Vater resignierend.

      „Was geht los?“

      „Unsere lieben Mitbürger. Sieh her. Das ist für dich abgegeben worden. Natürlich anonym.“

      Er reichte seinem Sohn das Paket. Der riss es mit zitternden Händen auf. Beide erschraken, als sie das Gemälde sahen. Wolfgang schien nicht zu verstehen, um was es ging. Der Vater erkannte als Erster, wen das Bild darstellen sollte. „Da war noch ein Zettel drin“, sagte er und deutete auf ein Blatt Papier, das auf den Boden gefallen war.

      Wolfgang hob es auf. Es war ein Brief. Er las:

      Hallo Wolfgang,

      wir haben dich nicht vergessen.

      Zur Begrüßung ein Geschenk.

      Das soll

Скачать книгу